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sich nun der Mensch?

      Er verständigte sich so, wie es ihm möglich war – mit Hilfe seines ganzen Körpers. Da er noch kein spezielles Organe für die Sprache besaß, so sprach er die Sprache der Gesichtsmuskeln, die Sprache der Schultern, der Beine, aber am meisten sprachen seine Hände.

      Habt ihr schon einmal mit einem Hund gesprochen? Wenn unsere Hunde uns etwas zu erklären versuchen, so blicken sie uns in die Augen, stoßen uns mit der Nase an, legen uns ihre Pfoten auf den Schoß, krabbeln an unseren Beinen hoch, wedeln mit dem Schwanz, strecken sich und gähnen vor Ungeduld oder stellen sich an die Tür. Sie können nicht mit Worten sprechen, daher sprechen sie mit ihrem ganzen Körper, von der Nasenspitze bis zur Spitze des Schwanzes. Der vorzeitliche Mensch vermochte ebenfalls nicht mit Worten zu sprechen. Dafür halfen ihm bei der Verständigung mit anderen die Hände, denn mit ihnen arbeitete er, und die Verständigung war ein notwendiger Teil seiner Arbeit. Anstatt zu sagen: „Hacke“, schlug er mit der Hand; statt zu sagen: „Gib“, streckte er seine Hand vor, und statt zu sagen: „Komm her“, winkte er auf sich zu. Dabei verschaffte der Mensch seinen Händen mit der Stimme Nachdruck: er heulte, brüllte und schrie, um die Aufmerksamkeit seiner Hordenmitglieder auf sich zu lenken und sie zu zwingen, seinen Zeichen zu folgen.

      Woher wissen wir das aber?

      Jedes in der Erde gefundene Bruchstück eines Steinwerkzeugs ist ein nachweisbares Bruchstück der Vergangenheit. Wo aber findet man die Bruchstücke der Gesten? Wie stellt man die Bewegungen längst verwester Hände wieder her?

      Das wäre ganz unmöglich, wenn die Urmenschen nicht unsere Vorfahren wären und uns, den heutigen Menschen, eine gewisse Erbschaft hinterlassen hätten. Bei den Indianern, die die englische Sprache wie auch die Sprache ihres Stammes fließend sprechen, können wir beispielsweise eine Sprache entdecken, die den Indianern aus sehr alten Zeiten überliefert wurde. Es ist die einfachste Sprache der Welt. Wenn ihr sie erlernen wollt, braucht ihr euch nicht mit Deklinationen und Konjugationen abplagen. Bei dieser Sprache aus vergangenen Zeiten denkt niemand an Dinge wie Konjunktive, Partizipien, Gerundien und so weiter, die für uns so schwer zu erlernen sind. Auch die Erlernung der Aussprache würde euch keine Zeit kosten, da es nichts auszusprechen gibt. Die Sprache, die die Indianer sprechen konnten, war keine Sprache der Laute, sondern eine Sprache der Zeichen. Ein Wörterbuch dieser Sprache sieht etwa so aus:

      Der Bogen – die eine Hand hält den unsichtbaren Bogen, die andere spannt die unsichtbare Sehne.

      Der Wigwam – ein Dach, durch die gekreuzten Finger der Hände nachgebildet.

      Der Wolf – eine Hand mit zwei nach vorn gestreckten Fingern, die wie zwei Ohren aussehen.

      Wolken – zwei Fäuste über dem Kopf, um die hängenden Wolken nachzubilden … und kennt das Wörterbuch unserer noch nicht sprechenden Vorfahren eine ganze Reihe anderer Begriffe und Zusammenhänge – Wortbilder. Auch wir benutzen im heutigen Alltag noch die längst vergangene Sprache der Zeichen und Signale: Statt „Ja“ nicken wir oftmals nur mit dem Kopf, bei „Nein“ schütteln wir ihn – in manchen Gegenden ist es umgekehrt. Wenn wir „Guten Tag“ sagen, verbeugen wir uns manchmal, wir zucken mit den Achseln, ziehen die Augenbrauen in die Höhe, schlagen die Hände zusammen, greifen uns an den Kopf und so weiter.

      Wie aber ging es weiter, wie erwarb sich der Urmensch den Verstand und wie lernte er sprechen?

      In der Welt wimmelt es von Signalen: Jedes Geräusch, jeder Geruch, jede Spur im Gras, jedes Schreien oder Pfeifen oder donnernde Dröhnen bedeutet irgendetwas und erfordert irgendetwas. Auch der Urmensch lauschte auf diese Signale, die ihm aus der Umwelt zugesandt wurden. Aber außer diesen Signalen lernte er bald auch die anderen Signale verstehen, die von den Leuten seiner Horde kamen.

      Der Jäger hat irgendwo im Wald die Spur eines Hirsches gefunden. Mit einer Bewegung seiner Hand signalisiert er dies den anderen Jägern, die ihm folgen. Sie sehen das Tier zwar noch nicht, aber das Signal hat sie veranlasst, auf der Hut zu sein und die Waffe fester in die Hand zu nehmen, als hätten sie schon selbst das gablige Geweih und die gespitzten Ohren der Hirsche vor sich.

      Die Fußspur auf dem Boden – das ist ein Signal. Die Bewegung der Hand, die von der gefundenen Spur kündet – das ist ein Signal eines Signals. Jedes Mal, wenn einer der Jäger eine Spur auf der Erde sieht oder das Geräusch des schleichenden Tieres hört, gibt er den übrigen Mitgliedern der Horde ein Signal dieses Signals. So folgt den Signalen, die die Natur dem Menschen gibt, die Sprache – „Signal der Signale“-, die der Mensch der Horde zusendet. Sprachforscher bezeichnen die menschliche Sprache als das „Signal der Signale“.

      Zunächst gab es nur Gesten und Rufe. Von Augen und Ohren aufgenommen, gelangten sie ins Hirn des Menschen wie in eine Telefonzentrale. Das „Signal eines Signals“: „Ein Tier nähert sich“, gelangt zum Hirn; das Hirn gibt den Händen den Befehl, den Jagdspieß fester zu packen, mit den Augen eindringlich das Laub zu mustern und mit den Ohren genau auf knarrende und knackende Geräusche zu lauschen. Noch war das Tier nicht zu sehen oder zu hören, aber der Mensch war schon vorbereitet, ihm zu begegnen.

      Je mehr Gesten es gab, umso häufiger gelangten „Signale von Signalen“ ins Gehirn, umso mehr Arbeit bekam die „Zentrale“, die hinter der Stirn des Menschen liegt. Dadurch musste sich die Zentrale immer mehr ausbreiten. Im Gehirn bildeten sich neue Zellen, und die Verbindungen der Zellen untereinander wurden immer verwickelter. Das Hirn wuchs und nahm an Umfang zu.

      Der Schädel des Neandertalers hat einen um vierhundert bis fünfhundert Kubikzentimeter größeren Rauminhalt als der des Pithekanthropus. Das Hirn des Menschen entwickelte sich kontinuierlich über die Jahrtausende weiter. Der Mensch lernte denken. Wenn er das Signal, das „Sonne“ bedeutete, hörte oder sah, so dachte er an die Sonne, selbst wenn es zu dieser Zeit tiefe Nacht war. Wenn man ihm zeigte, dass er gehen und einen Speer bringen sollte, so kam ihm der Speer in den Sinn, obwohl keiner zur Hand war. Die gemeinschaftliche Arbeit lehrte den Menschen sprechen. Und indem er sprechen lernte, lernte er denken. Ein wechselseitiger Prozess. Der Mensch hat seinen Verstand nicht von der Natur als Geschenk erhalten. Er hat ihn sich mit seinen eigenen Händen mühsam erworben.

      Nun wollen wir im Zeitraffer darstellen, wie Sprache und Hand ihre Rollen vertauschten. Als es noch nicht viele Werkzeuge gab, als die Erfahrung des Menschen noch nicht groß war, genügten zur Übermittlung der Erfahrungen die einfachsten Gesten. Je komplizierter die Arbeit wurde, umso komplizierter wurden die Gesten. Für jede Sache bedurfte es einer eigenen Geste, die die Sache genau darstellte. So entstand die Bild-Geste. Der Mensch zeichnet das Tier, die Waffe, den Baum in die Luft – alles recht kompliziert und doch äußerst primitiv. Die Sprache der Gesten war zugleich arm und reich. Sie war reich, weil sie die Dinge und Ereignisse lebhaft und eindringlich darstellte. Zugleich aber war sie arm. Mit einer Geste konnte man wohl das linke oder rechte Auge darstellen, aber einfach „Auge“ zu sagen war unmöglich.

      Mit einer Geste kann man ein bestimmtes Ding bezeichnen, aber man vermag keinen abstrakten Begriff damit auszudrücken. Auch noch andere Nachteile hatte die Gestensprache: Man kann sich in der Nacht nicht verständigen. Nicht einmal bei grellem Sonnenschein kann man sich immer mit Gesten verständigen. Auch im Wald, wenn zwischen den Jägern Bäume stehen, ist eine Unterhaltung per Geste unmöglich. Hier wurde es für den Menschen notwendig, sich in Lauten auszudrücken.

      Angangs gehorchten ihm Zunge und Kehle noch schlecht. Nur schwer war ein Laut vom anderen zu unterscheiden. Die einzelnen Laute flossen in ein Gebrüll, Gekrächze, Geschrei, Gekreisch zusammen. Viel Zeit verging, ehe der Mensch seine eigene Zunge beherrschte und sie zwingen konnte, deutlich zu sprechen. Zunächst half die Zunge nur den Händen. Aber je klarer und deutlicher sie sprechen lernte, umso öfter übernahm sie die Rolle der ersten Geige im Orchester. Die Lautsprache, die anfänglich nur eine bescheidene Helferin der Händesprache war, trat an den ersten Platz.

      Die Bewegungen der Zunge im Mund waren wohl von allen Gesten am wenigsten sichtbar. Aber sie hatten den Vorteil, dass man sie hören konnte. Am Anfang war die Lautsprache der Sprache der Gesten sehr ähnlich. Sie war ebenso bildhaft, ebenso ausdrucksvoll. Und sie vermochte jedes Ding, jede Bewegung lebendig darzustellen. In der Sprache des Stammes Ewe sagt man nicht einfach „Gehen“, sondern: „so dze dze“ – mit

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