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Waisenjunge. Harald Skrobek
Читать онлайн.Название Waisenjunge
Год выпуска 0
isbn 9783742756022
Автор произведения Harald Skrobek
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie unterhielten sich über dies und jenes, so auch über Sex. Dave erzählte Jonny das Abenteuer mit der flotten Apachin. Jonny lachte nur. „Wir nehmen es nicht so genau damit, wer mit wem schläft. Hauptsache es macht Spaß!“ Er erzählte Dave, dass er mit 15 unsterblich in seine Kusine verliebt gewesen sei und unzählige Male mit ihr Liebe gemacht habe. Dann wurde sie von ihren Eltern mit einem Häuptlingssohn eines befreundeten Stammes verheiratet. Das sei unter anderem der Grund gewesen, warum er seinerzeit von zu Hause weglief. Dave war drauf und dran, von seinen eigenen ersten Liebeserfahrungen, die denen Jonnys auffallend ähnelten, zu erzählen, tat das dann aber doch nicht. Stattdessen erging er sich über seine Erlebnisse mit Liebesdamen in den Bordellen von Bristol, Lissabon, Teneriffa und Charleston. Auch Jonny konnte von Bordell-Besuchen berichten.
Eines schönen Tages entdeckten sie durchs Fernglas eine große Bisonherde. Der Anblick war unbeschreiblich. Sie konnten sich daran kaum satt sehen, wagten aber nicht, sich ihnen zu nähern, aus Angst, auf indianische Jäger zu treffen.
Es war Herbst geworden. Sie hatten die Hochebene von Jicarilla durchritten. Die Sonne stand nach wie vor am wolkenlosen Himmel und sorgte für klare und trockene Luft. Des Nachts schien der Mond. Eingehüllt in ihre Decken lagen sie lange wach und konnten sich am Sternenhimmel nicht sattsehen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Auch tagsüber ritten sie meist schweigend nebeneinander her. Besonders Jonny gab sich einsilbig und wirkte mehr und mehr entrückt. Sie erreichten Anfang Oktober Albuquerque am Rio Grande.
Sie stellten ihre Maultiere in einem Mietstall ein, mieteten ein Hotelzimmer, gönnten sich ein warmes Wannenbad, ließen ihr dreckiges Unterzeug waschen sowie ihre Kopf- und Barthaare schneiden, aßen ein T-Bone-Steak, tranken drei große Gläser Bier, vergnügten sich mit 1-Dollar-Mädchen und fielen todmüde in die Betten.
Als sie am nächsten Morgen das Frühstück-Restaurant betraten, war dieses schon recht voll. In der hintersten Ecke entdeckten sie noch zwei freie Plätze. Am Tisch saß bereits ein Mann in einer auffallenden Kleidung. Er trug ein hirschledernes Wams und hatte eine Waschbär-Mütze auf dem Kopf. Er nickte ihnen freundlich zu und sagte mit theatergeschulter Stimme: „Hereinspaziert und reichlich Platz genommen, ihr edlen Herren!“
Die beiden sahen sich ob dieser Anrede etwas verwirrt an. Dave reagierte als erster und antwortete, indem er den gerade gehörten Tonfall nachahmte: „Verbindlichsten Dank Eure Durchlaucht! Danke, dass Ihr uns unwürdigen Gesellen erlaubt, unter Eurer Tafel unsere Beine auszustrecken und uns an Eurem reichlich gedeckten Tisch zu laben.“
Der Fremde sah den Sprecher mit großen Augen an, dann brach er in ein fröhliches, nicht enden wollendes Gelächter aus. Dave und Jonny mussten zwangsweise mitlachen und auch die anderen Gäste fielen vereinzelt in das Gelächter ein. Es verebbte abrupt, weil der Fremde einen heftigen Hustenanfall bekam, der sich erst Minuten später legte.
„Ich nenne mich Peter de Swan, bin ehemaliger Schauspieler, jetzt, wie Sie sehen, Trapper.“
„Wir heißen Jonny Jones und Dave Andrews und sind ehemalige Krieger für die Sache der Südstaaten, jetzt neugierige Prärie-Bummler,“ stellte Dave sie vor, indem er aber diesmal den breiten Texas-Jargon und nicht das gestelzte Dramen-Englisch, benutzte. Peter stutzte unmerklich, als er die Namen hörte, schüttelte dann aber gedankenverloren den Kopf.
Sie bestellten ein reichhaltiges Frühstück und ließen sich beim Essen Zeit.
Peter erzählte, dass er sich seines Hustens wegen im trockenen Hochland von New Mexico aufhalte und im Winter in den Wäldern nordwestlich von Santa Fe schon seit mehreren Jahren Pelztiere jage. Das sei ein einträgliches Geschäft. Sie seien immer zu zweit gewesen, aber sein Partner sei vor einigen Wochen plötzlich gestorben. „Man sollte es nicht für möglich halten, aber er starb infolge eines Herzstillstandes im Bett eines Mädchens. Na ja, wenigsten hatte er einen schönen Tod.“ Peter lachte sarkastisch. „Habt Ihr nicht Lust, seinen Platz einzunehmen?“
Peter rückte spontan mit dieser Schnaps-Idee heraus. Offenbar neigte er dazu, aus dem Bauch heraus Entschlüsse zu fassen. Wie oft im Leben mochte er wohl damit schon auf eben diesen Bauch gefallen sein?
Aber er konnte es eben nicht lassen, zumal besonders Dave ihm vom ersten Anblick an sympathisch war und vage Erinnerungen in ihm erweckt hatte. Er war sich des Risikos wohl bewusst. Wie, wenn es sich bei den Beiden um vagabundierende Revolverhelden, um eiskalte Killer, handeln würde. Er kannte sie gerade mal eine Stunde. Aber ein Blick in ihre offenen, ehrlichen Gesichter ließen keinen Platz für Zweifel. Peter bildete sich auf seine Menschenkenntnis, die er in den Jahren als fahrender Schauspieler erworben hatte, viel ein.
Für Dave und Jonny kam dieses Angebot mehr als überraschend. Jonny, der bisher an der Unterhaltung nur sporadisch teilgenommen und stattdessen längere Zeit mit einem prüfenden Blick mal Peter mal Dave beobachtet hatte, meldete sich plötzlich zu Wort: „Warum eigentlich nicht? Aber lass uns den Plan überschlafen. Morgen sehen wir weiter. Wir treffen uns wieder hier beim Frühstück.“
Sie gingen auseinander. Dave stellte Jonny zur Rede: „Erzähl mal. Weißt Du was, was ich nicht weiß? Ich kenne Dich und sehe Dir an, dass Dich wieder eine Eingebung bedrückt.“
Aber Jonny grinste ihn nur an, nahm ihn am Arm und schleppte ihn zu den 1-Dollar-Mädchen.
Erst am Abend, als sie auf ihren Betten saßen, setzte Jonny zu einer Rede an, seiner längsten, die er je gehalten hatte:
„Weißt Du Dave, wir kennen uns schon über vier Jahre. Ich hatte nie einen besseren Freund als Dich. Du bist ein stets fröhlicher, liebenswerter, verlässlicher Kumpel. Aber jetzt glaube ich, unsere Wege müssen sich trennen.“
Er machte eine Pause.
„Wir haben zusammen den großen Krieg erlebt. Es war ein Krieg der Weißen untereinander. Ich spüre es genau, jetzt kommt der Krieg der Weißen gegen uns Ureinwohner. Und wir werden diesen Krieg verlieren; Ihr seid einfach zu viele. Ich bin zwar nur ein halber Indianer, aber mein Herz hängt mehr an meinem Stamm, als ich mir das eingestehen wollte. Das weiß ich, seit ich meine Mutter in die Berge getragen habe.
Du kannst nicht mit mir mitkommen. Ich weiß, wie die Weißen kämpfen und kann den Meinen helfen, unsere Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Es wird mein letzter Kampf sein!“
Er musste sich vor Rührung räuspern.
„Geh mit Peter in die Berge. Glaube mir, Ihr beide seid Euch überaus ähnlich und werdet gut miteinander auskommen. Vielleicht kommt mehr als eine gute Freundschaft dabei heraus!“
Er legte sich hin und machte keine Anstalten, noch etwas zu sagen. Wenige Augenblicke später war er eingeschlafen.
Dave war erst einmal schockiert. Er konnte vor Aufregung nicht einschlafen. Er musste sich eingestehen, Jonny doch nicht so gut zu kennen, wie er es geglaubt hatte. Ihr Denken und Fühlen stimmte offenbar nur zu einem Teil, und zwar zu einem unwesentlichen Teil überein. Er erinnerte sich, dass Jonny während ihres Ritts oft mit seinen Gedanken abwesend war und bildete sich plötzlich ein, Jonny habe ihre Begegnung mit Peter vorhergesehen und ihn, Dave, nur so lange begleitet, bis er ihn in sicherer Obhut wusste. Er schlief erst gegen Morgen ein.
Als er aufwachte, blieb er noch eine Weile auf dem Rücken liegen und ordnete seine Gedanken. ‚Ich war 15, als ich von zu Hause weglief und auf einem Schiff anheuerte. Mit 17 wurde ich mir nichts, dir nichts Soldat. Jetzt bin ich 21, warum sollte ich nicht etwas Neues anfangen, zum Beispiel Trapper werden?‘ Seine Unbekümmertheit kehrte zurück.
Er sprang wild entschlossen und gut gelaunt auf, spritzte sich Wasser ins Gesicht und zog sich seine Oberkleidung über. Jonny wartete schon draußen vor dem Hotel auf ihn. Sie begrüßten sich so unbefangen, als ob es den gestrigen Abend nicht gegeben hätte.
*
Sie mussten mit dem