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Waisenjunge. Harald Skrobek
Читать онлайн.Название Waisenjunge
Год выпуска 0
isbn 9783742756022
Автор произведения Harald Skrobek
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es war Nachmittag. Die Sonne stand schräg am Himmel. Sie saßen gesättigt vor der Hütte und genossen die Ruhe und den Sonnenuntergang. Dave konnte sich an der schönen Landschaft nicht sattsehen.
„Es war fast genau vor 20 Jahren,“ ergriff Peter, nachdem er einen seiner Hustenanfälle überwunden hatte, unvermittelt das Wort. Der vor sich hindösende Dave merkte, dass da noch mehr kommen würde, und wurde plötzlich hellwach.
„Unsere Schauspieler-Truppe musste ich aus persönlichen Gründen verlassen. Ich fand mich in St. Louis wieder. Mit meinen 30 Jahren wusste ich nicht so recht wohin, als mich ein etwa gleichaltriger Trapper überredete, mit einer Gruppe von Jägern und Fallenstellern auf Pelztier-Fang zu gehen. Er borgte mir das Geld für meine Ausrüstung und los ging es mit Kanus den Missouri Fluss aufwärts. Das harte aber ungebundene, freie Leben gefielt mir, sagte mir zu.“
Peter machte eine schöpferische Pause.
„Wir verdienten eine Reihe von Jahren ganz gut, aber verschleuderten unser Geld meist für Whiskey und Kartenspielen. Dann aber kam es zu Konflikten mit den Indianern, denen es unter anderem nicht gefiel, dass wir mit ihren Weibern herummachten. Sie belagerten eine ganze Weile unser Fort. Die Vorräte gingen zur Neige, wir hatten keine Munition mehr. Zum Glück konnten wir mit ihnen freien Abzug aushandeln.“
Peter musste wegen eines Hustenanfalls wieder eine Pause machen.
„Wieder in St. Louis beschlossen wir, wie andere Pelzjäger auch, nach Westen zu gehen. Wir erstanden vier Ponys und machten uns auf den Weg. Das Jagen von Bisons war nicht unser Ding. Dazu fehlte uns zum einen die Treffsicherheit, zum anderen machte uns dieses stumpfsinnige Abschlachten wirklich keinen Spaß. Wir suchten ein flussreiches Gebiet, in dem wir unsere Fallen einsetzen konnten, und kamen schließlich nach Colorado. In Colorado City, das heute Denver heißt, erfuhren wir von Goldfunden. Keiner wusste aber etwas Genaues.
Wir brachten das Goldsuchen immer mit unendlicher Plackerei in Verbindung, sei es beim Goldwaschen, sei es beim Arbeiten mit Spitzhacke und Schaufel, deshalb interessierten wir uns nicht besonders dafür.
Wir bewegten uns stattdessen den South Platte River Flussaufwärts in der Hoffnung, auf ein Bibergebiet zu stoßen. Als wir eines Abends auf einer oberhalb des Flusses gelegenen, von Felsgestein umsäumten Lichtung unser Nachtlager aufschlagen wollten und an deren Rande eine Grube für unsere Notdurft auszuheben begannen, stießen wir auf zwei Nuggets. Fürs Weitergraben war es schon zu dunkel.
Am nächsten Morgen schaufelten wir wie verrückt darauf los. Wir fanden schätzungsweise an die 200 bis 300 Unzen Gold.“
Es folgte eine längere Pause. Dave fühlte, was Peter jetzt berichten wollte, fiel ihm mehr als schwer.
„Wir arbeiteten wie verrückt und hörten nicht, was um uns herum vor sich ging. Plötzlich stand ein bärtiger, heruntergekommener Vagabund mit gezogenem Colt unmittelbar vor uns. Er behauptete, wir haben auf dem Claim gegraben, der ihm gestern zugesprochen worden sei. Wir sollen ihm das gefundene Gold aushändigen und dann verduften. Dabei sah sein Gesichtsausdruck so aus, als ob er uns so oder so erschießen würde. Mein Partner schleuderte mit einer raschen Bewegung den Handspaten nach ihm, gerade als jener den Abzug des Revolvers betätigte. Zu unserem Glück hatte er aus Sicherheitsgründen die oberste Revolverkammer nicht geladen. Er hätte den Abzug zweimal betätigen sollen, damit sich ein Schuss löst. Dazu kam er aber nicht. Die Schneide des Spatens durchtrennte seine Kehle. Er griff instinktiv an die Wunde, bekam riesige Augen und war tot.“
Peter atmete schwer. Die Erinnerung ein seine damalige Todesangst verfolgte ihn offensichtlich noch heute.
„Wir sahen uns genau um in der Erwartung, seine Kumpane werden jede Sekunde auftauchen. Wir atmeten erleichtert auf, als wir merkten, dass wir alleine waren. Wir packten unser Gold in zwei Tabakbeutel, warfen in Windeseile den Toten in die Grube, die wir eben ausgehoben hatten, schaufelten das Loch zu, verteilten den übriggebliebenen Aushub, verwischten so gut es ging alle Spuren und ritten wie mit Hunden gehetzt davon. Das Pferd des Toten nahmen wir mit. Unterwegs entsorgten wir dessen Zaumzeug und Sattel und überließen es auf einer weiten Ebene sich selbst. Wir ritten eilig drei Tage mit wenigen Pausen nach Süden, wobei wir uns ständig umschauten, ob wir nicht verfolgt werden.“
Peter leierte seinen Bericht herunter, als ob er immer noch fürchtete, verfolgt zu werden. Er atmete dreimal tief durch, ehe er fortfuhr.
„Als wir den Rio Grande erreichten, begannen wir uns sicherer zu fühlen. Wir erreichten ein Indianerdorf. Sie errieten beim Anblick unserer abgehetzten Pferde, dass wir auf der Flucht waren. Nach langem Palaver überließen sie uns für unsere vier Pferde und eines unserer Gewehre das Kanu, mit dem wir beide übrigens gerade hierher gepaddelt sind. Mit Kanus kannten wir uns vom Missouri her bestens aus. Wir paddelten entspannt mit der Strömung Fluss abwärts. Das Gefühl sagte uns, dass wir das gesuchte Biber Revier gefunden hatten. Wir versuchten es zunächst mit dem Nebenfluss Chama dann mit dem Jemez.
Hier fanden wir, was wir suchten. Wir lagerten unterhalb der Wasserfälle und entdeckten oberhalb dieser ein ideales Jagdrevier rund um eine versteckte Lichtung. Wir fingen im Handumdrehen an die zwanzig Nutrias und schossen einen zweijährigen Grizzly. So beladen paddelten wir weiter Fluss abwärts bis wir Albuquerque erreichten, denn ohne eine Schutzhütte hätten wir den Winter nicht überlebt.
Im nächsten Sommer fuhren wir, beladen mit Werkzeugen, Nägeln und so weiter, wieder Flussaufwärts. Mein Kompagnon hatte mal Zimmermann gelernt, das zahlte sich jetzt aus. Bevor der erste Schnee fiel, war die Hütte fertig. Es wird dieses Jahr das sechste Mal sein, dass ich hier überwintere.“
Hier beendete Peter seinen Bericht. Dave hatte staunend zugehört. Das hörte sich mindestens so abenteuerlich an, wie seine Kriegserlebnisse.
„Das ist meine Geschichte und die Geschichte dieser Hütte. Jetzt kennst Du fast mein ganzes Geheimnis.“
Er musste wieder husten.
„Auf unserer Paddeltour habe ich nachgedacht. Ich habe Dich zu meinem Compagnon gemacht und dabei eine gute Wahl getroffen. Ich fühle es, es war die beste Wahl meines Lebens. Wer weiß, wie lange ich mit meinem Husten noch zu leben habe. Jetzt sollst Du auch den Rest wissen.“
Wie auf der Theaterbühne machte er eine Pause, um die Spannung beim Zuschauer zu erhöhen.
„Zunächst einmal eine Frage an Dich. Du trägst stets den Revolver an Deiner Seite und behältst auch Dein Gewehr immer in Reichweite. Kannst Du damit auch treffen? Ich beobachte, wie Du jede freie Minute Trockenübungen damit machst. Ich selber muss gestehen, ich würde mit der Knarre auf fünf Meter Entfernung nicht einmal ein Haus treffen.“
Dave wollte die Stille des Abends nicht durch Gewehr- oder Revolverfeuer stören. Er stand auf, deutete auf einen Baum in zehn Metern Entfernung mit einem Astloch und stellte sich gegenüber auf. Er warf mit der linken Hand einen Apfel in einem Bogen auf das Ziel. Dann schleuderte er mit der rechten Hand blitzschnell das Messer hinterher. Es traf den Apfel und nagelte ihn genau ins Astloch.
Peter bekam den Mund vor Staunen nicht zu. „Damit könntest Du glatt im Zirkus auftreten,“ meinte er, immer noch den Kopf schüttelnd.
„Meine Treffsicherheit mit welcher Waffe auch immer hat mir im Krieg so manches Mal das Leben gerettet,“ merkte Dave ganz sachlich und bescheiden an.
„Das beruhigt mich in Bezug auf mein Geheimnis enorm. Wo meinst Du, ist das Gold?“
Er platzte damit so unvermittelt heraus, dass Dave seinerseits verblüfft dreinschaute.
Dave überlegte blitzschnell. Was hätte er an Peters Stelle getan? Wäre er und sein Partner in Albuquerque so mir nichts,