Скачать книгу

sah sie den Gegenstand ihrer Furcht und ihres Hasses mitten darauf. Wie aber, wenn das Menschenwesen gar nicht auf der Jagd nach ihr und den Ihrigen war? Heute war Sabor, der Löwin, das völlig gleichgültig. Unter anderen Umständen hätte sie ihn unbelästigt seines Weges ziehen lassen. Aber heute war die Löwin nervös und ängstlich – ihre Mutterliebe vereinigte sich in dreifacher Stärke auf diesen letzten nun dreimal so teuren am Leben Gebliebenen – darum wartete sie nicht erst ab, ob der Mensch die Sicherheit ihres Kleinen bedrohte; sie schlich ihm vielmehr entgegen, um ihn aufzuhalten. Aus der zärtlichen Mutter war ein mordgieriges Raubtier geworden, dessen Hirn nur von dem einzigen Gedanken besessen war – zu töten.

      Ohne das geringste Warnungszeichen hören zu lassen, sprang sie vor. Die erste Andeutung, die der schwarze Krieger davon erhielt, dass sich ein Löwe innerhalb von zwanzig Meilen in der Runde befand, war das Schrecken einflößende Auftauchen dieser ein teuflisches Gesicht machenden Katze, die mit der Geschwindigkeit eines Pfeiles quer über die Lichtung auf ihn zu schoss. Der Schwarze war keineswegs auf der Löwenjagd. Hätte er geahnt, dass ein Löwe in der Nähe war, er wäre im weiten Bogen um ihn herumgegangen. Jetzt noch hätte er die Flucht ergriffen, wenn sich ein Zufluchtsort geboten hätte. Aber es gab keine Hoffnung. Die Bestie war ihm schon ganz nahe, und hinter ihr zeigte sich ein kleines Löwenjunges. Der Mann führte einen wuchtigen Speer. Diesen zog er jetzt mit der rechten Hand weit zurück und schleuderte ihn gerade in dem Augenblick, als Sabor absprang, um ihn zu packen. Fast im gleichen Augenblick, in dem der Speer das Herz der Löwin durchbohrte, klappte der riesige Rachen über dem Gesicht und dem Schädel des Kriegers zusammen. Die Wucht der anspringenden Löwin warf beide krachend zu Boden, wo sie nach wenigen krampfhaften Zuckungen der Muskeln tot liegen blieben.

      Das verwaiste Junge blieb zehn Schritte entfernt stehen und betrachtete mit fragenden Augen dies erste große Unglück seines Lebens. Es wollte sich seiner Mutter nähern, aber die angeborene Furcht vor der Menschenwitterung hielt es zurück. Da begann es in einem Tone zu winseln, der seine Mutter immer schleunigst an seine Seite gebracht hatte. Aber diesmal kam sie nicht – sie hob nicht einmal den Kopf, um nach ihm zu sehen. Der kleine Löwe verstand das nicht und war ganz verwirrt. Er fuhr fort zu weinen und fühlte sich immer betrübter und verlassener. Schritt für Schritt kroch er seiner Mutter näher. Er sah, dass sich das fremde, von ihr getötete Wesen nicht regte, und fühlte allmählich weniger Scheu davor, bis er endlich genug Mut fasste, seine Mutter zu beschnüffeln. Er rief sie winselnd an, aber sie gab keine Antwort. Leise dämmerte es ihm schließlich, dass hier etwas nicht stimmte – dass seine große, schöne Mutter nicht so war wie früher – dass eine Veränderung mit ihr vorgegangen war. Aber er klammerte sich immer noch an sie und schrie voll Jammer, bis er endlich eng an ihren toten Körper geschmiegt in Schlaf fiel.

      So fand ihn Tarzan, der mit Jane, seiner Gattin, und ihrer beider Sohn, Korak, dem Töter, von dem geheimnisvollen Land Pal-ul-don zurückkehrte, aus dem die beiden Männer Jane gerettet hatten. Bei ihrer Annäherung öffnete das Junge die Augen, raffte sich auf und wich, mit breitgestellten Ohren sie anknurrend, dicht an seine tote Mutter zurück.

      »Mutiger kleiner Teufel«, sagte Tarzan bedauernd, als er mit einem Blick den ganzen traurigen Vorgang erfasste. Er trat zu dem fauchenden kleinen Löwen und dachte, dieser werde sich umdrehen und fortlaufen. Stattdessen knurrte der Kleine nur wilder und kratzte nach Tarzans ausgestreckter Hand, als dieser sich bückte und ihn nehmen wollte.

      »Was für ein tapferer, kleiner Bursch!«, rief Jane. »Armes Waisenkind! Wie schade, dass er sterben muss.

      »Er muss nicht sterben«, erwiderte Tarzan.

      Tarzan ließ nicht von seiner Aufmerksamkeit gegenüber dem Jungtier ab. Plötzlich griff er zu, packte den kleinen Löwen am gesträubten Nackenfell und streichelte ihn sanft, während er ihm in leisem, brummendem Tone zusprach. Der Kleine hörte alsbald auf, sich zu wehren, und suchte nicht länger die streichelnde Hand zu kratzen oder zu beißen. Nach einer Weile nahm Tarzan ihn auf und hielt ihn im Arm. Das Löwenjunge entblößte jetzt nicht einmal mehr Zähne oder Krallen gegen den eben noch so gehassten Menschen.

      Da Tarzan den kleinen Numa als Pflegling annehmen wollte, musste er alsbald dessen Lebensbedürfnissen Rechnung tragen. Das Junge konnte vorerst nicht ohne Milch leben. Löwenmilch konnte nicht in Frage kommen, aber glücklicherweise befanden sie sich auf dem Wege durch einen verhältnismäßig dichtbevölkerten Landstrich mit zahlreichen Dörfern, in denen der große Herr der Dschungel bekannt, gefürchtet und hochgeehrt war. Deshalb betrat Tarzan am Nachmittag des gleichen Tages, an dem er den jungen Löwen gefunden hatte, ein Dorf, in der Absicht, dem kleinen Tier Milch zu verschaffen.

      Anfangs zeigten sich die Eingeborenen mürrisch und gleichgültig und sahen mit Verachtung auf diese Weißen, die ohne große Safari reisten. Fremde ohne Karawane konnten keine Geschenke mit sich führen, die man zu erwarten gehabt hätte, oder mit denen sie andernfalls die zweifellos gewünschte Verpflegung bezahlen konnten. Die Eingeborenen stellten sich also mürrisch und gleichgültig, obgleich ihre Neugierde durch die ungewöhnliche Bekleidung und Ausrüstung dieser Weißen erregt wurde. Sie sahen, dass sie gleich ihnen selbst fast unbekleidet gingen und wie sie bewaffnet waren; nur der jüngere Mann hatte ein Gewehr. Alle drei trugen die urweltliehen und barbarischen Schmucksachen von Pal-ul-don, die den Augen der einfältigen Schwarzen ganz fremdartig erschienen.

      »Wo ist euer Häuptling?«, fragte Tarzan, als er mitten unter Weibern, Kindern und kläffenden Hunden das Dorf betrat.

      Ein paar müßige Krieger erhoben sich aus dem Schatten ihrer Hütten, in denen sie gefaulenzt hatten, und näherten sich den Ankömmlingen.

      »Der Häuptling schläft«, erwiderte einer. »Wer seid ihr denn, dass ihr ihn wecken wollt? Was wünscht ihr?«

      »Ich habe mit eurem Häuptling zu reden. Geh und hole ihn.«

      Der Krieger sah ihn erstaunt mit großen Augen an und brach dann in lautes Lachen aus. »Der Häuptling muss für ihn geholt werden!«, rief er, sich an seine Genossen wendend, dann klatschte er sich, wieder laut lachend, auf seine Oberschenkel und stieß die Nächststehenden mit dem Ellenbogen an.

      »Sage ihm«, fuhr der Affenmensch fort, »dass Tarzan mit ihm zu sprechen wünscht.«

      Augenblicklich vollzog sich eine bemerkenswerte Veränderung in der Haltung seiner Zuhörerschaft – sie wichen vor ihm zurück und hörten auf zu lachen – ihre Augen wurden groß und rund.

      Der lauteste Lacher wurde ganz feierlich. »Bringt Matten zum Sitzen für Tarzan und sein Gefolge«, rief er, während ich den Häuptling Umanga hole. Damit sauste er davon, als ob er froh wäre, eine Ausrede zu haben, sich aus der Gegenwart des mächtigen Herrn zu entfernen, den er beleidigt zu haben fürchtete.

      Dass sie weder Safari noch Geschenke mit sich führten, machte jetzt nichts mehr aus. Die Dorfbewohner wetteiferten miteinander, ihnen Ehren zu erweisen. Noch ehe der Häuptling herbeikam, hatten sie schon viele Geschenke an Lebensmitteln herbeigebracht. Jetzt erschien Umanga. Er war ein alter Mann, der schon vor Affentarzans Geburt Häuptling gewesen war. Sein Benehmen war patriarchalisch und würdevoll und er begrüßte seinen Gast, wie ein großer Mann einen von seinesgleichen begrüßt, aber er ließ sich unleugbar Freude darüber merken, dass der Herr der Dschungel sein Dorf mit einem Besuch beehrte.

      Als Tarzan seinen Wunsch dargelegt und den kleinen Löwen gezeigt hatte, versicherte Umanga, Tarzan solle Milch in Hülle und Fülle haben, solange er ihn mit seinem Besuche beehre – warme Milch, frisch, wie sie von des Häuptlings eigenen Ziegen komme. Während sie noch verhandelten, fielen des Affenmenschen scharfe Augen auf eine große Hündin, die sich unter den zahlreichen Dorfkötern befand. Der Anblick ihres von Milch strotzenden Euters gab Tarzan einen Plan ein. Er deutete mit dem Finger auf das Tier und sagte zu Umanga: »Ich möchte sie kaufen.«

      »Sie ist ohne Entgelt dein, Bwana«, erwiderte der Häuptling. »Sie hat vor zwei Tagen geworfen, aber letzte Nacht wurden ihr wahrscheinlich von einer großen Schlange alle ihre Jungen aus dem Lager geraubt. Ich will dir dafür lieber jüngere und fettere Hunde geben, denn diese wird ein ziemlich zähes Essen liefern.«

      »Ich will sie nicht zum Essen«, erwiderte Tarzan. »Sie soll dem Löwenjungen Milch geben.

Скачать книгу