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also auf und qualifizieren sich weiter, vielleicht sogar bis hin zu einer Professur. Der akademische Durchlauferhitzer sorgt also für die bildungsbezogene Aufladung der fachlichen Qualifikation und Potenziale.

      Nun will aber nicht jeder Mensch, der in dieses System eintritt, dort verbleiben. Viele machen ihren Abschluss oder ihre Promotion nicht, um in der Forschung zu verweilen, sondern um mit ihrem akademischen Abschluss oder Titel in die Wirtschaft, die Verwaltung, die Politik oder in die Freiberuflichkeit zu wechseln und dann dort erfolgreich ihre Brötchen zu verdienen. Auch dort braucht es schließlich wissenschaftlich gut ausgebildete Fachkräfte.

      Dem Prinzip eines Durchlaufsystems folgend muss die Menge der einströmenden Materie wieder hinaus, weil das System ansonsten nicht funktioniert. Passiert das nicht, drohen physikalisch gesehen Überhitzung und Überdruck.

      Natürlich braucht das Wissenschaftssystem Nachwuchs.Anforderungen an Nachwuchskräfte Es benötigt Ersatz für ausscheidende Fachkräfte, Expert:innen für neue Forschungsthemen und -aufgaben oder frische Talente mit neuen Ideen und dem nötigen Ehrgeiz. Sie sollen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen und sich durch ihre Arbeitsergebnisse und damit verbundene Publikationen oder andere Auszeichnungen wissenschaftlich hervortun und qualifizieren.

      Wenn man sich die entsprechenden öffentlich zugänglichen Statistiken anschaut, kann man feststellen, dass letztlich nur für knapp 20 Prozent der Menschen, die in das Wissenschaftssystem eintreten, auf Dauer Platz bleibt. Ergo: 80 Prozent müssen sich nach einer gewissen Zeit nach anderen Tätigkeitsfeldern umsehen, unabhängig davon, ob sie lieber bleiben wollen oder nicht.

      Genau aus diesem Grund gibt es ein spezielles Arbeitsmarktinstrument für den Wissenschaftsbereich. In Deutschland trägt es den sperrigen Namen ‚WissenschaftszeitvertragsgesetzWissenschaftszeitvertragsgesetz‘. Das Äquivalent dazu gibt es im Rahmen des UniversitätsgesetzesUniversitätsgesetz (Österreich) ebenfalls in Österreich und in der Schweiz gelten ähnliche Restriktionen. Die dafür geschaffenen gesetzlichen Grundlagen sind recht komplex und verändern sich stetig.

      Um es kurz zu machen und nicht auf die zahlreichen Ausnahmen und Sonderregelungen einzugehen – diese Vorschriften besagen Folgendes: Wissenschaftliche Beschäftigte, egal ob einfache wissenschaftliche Fachkraft, Doktorand:in oder PostDoc, dürfen über verschiedene Einzeltätigkeiten und die damit verbundenen Arbeitsverträge in Deutschland zusammengerechnet nicht länger als maximal zwölf Jahre zeitlich befristet beschäftigt werden. Speziell für den medizinischen Bereich gelten 15 Jahre, weil hier das Studium bis zur Approbation längere Zeit in Anspruch nimmt.

      Mit anderen Worten: Ist die Maximalzeit ausgeschöpft, muss die Forschungsorganisation den betroffenen Beschäftigten entweder eine DauerstelleDauerstelle anbieten oder die Betroffenen müssen sich deshalb sechs Jahre nach der Promotion beziehungsweise neun Jahre nach der Dissertation in einem medizinischen Fachgebiet eine anderweitige Beschäftigung außerhalb des Wissenschaftsbetriebes suchen. Das gilt selbst dann, wenn sie lieber im Wissenschaftsbereich bleiben wollen.

      Das bedeutet, dass alle, die als unbefristete Beschäftigte oder gar als verantwortliche Gruppen- beziehungsweise Abteilungsleiter oder im sicheren Wissenschaftsolymp als Professor oder Professorin in der Wissenschaft verbleiben wollen, einem sehr sportlichen Wettbewerb ausgesetzt sind. Im Götterhimmel der Wissenschaft, in der Professorenschaft, bedeutet dies, dass nicht selten auf eine ausgeschriebene Stelle zehn, 20 oder 30 Bewerbungen eingehen. Bei richtig guten vergleichbaren Positionen ist es nicht viel anders.“

      „Mon dieu!“, seufzte Amishas Mutter Saira. „Das klingt ja alles nicht sehr viel anders als die Verhältnisse im Wissenschaftssystem meiner Heimat Indien. Ich glaube, ich brauche jetzt erst einmal ein Glas Wein. Möchte jemand sonst noch Wein, Tee, ein Bier oder Wasser?“

      Nachdem alle mit Getränken, Häppchen und Gebäck versorgt waren, drängten die Anwesenden Leo seine Sicht auf die Bedingungen im Wissenschaftsbereich fortzusetzen.

      „Der zweite Punkt ist verbunden mit dem ersten, dem genannten Wetteifer. Es geht dabei um das beständige Messen und Vergleichen, das mit jedem Wettbewerb einhergeht.

      Früher, als in den 1970er- und 1980er-Jahren überall verhältnismäßig viele Steuermittel im politischen System vorhanden waren oder einfach auf Pump hineingesteckt wurde, reichte es, irgendwie ein guter Wissenschaftler zu sein oder für einen solchen gehalten zu werden. Mit zunehmender Knappheit der Stellen und Mittel stieg jedoch beständig der Druck des Wettbewerbes.

      Nun reichte es nicht mehr, gut zu sein, sondern man hatte mindestens als exzellent zu gelten. Aus dem Lateinischen kommend bedeutet ExzellenzExzellenz bekanntlich nichts anderes, als überdurchschnittlich gut zu sein. Also musste man zum Aufstieg oder Verbleib in der Wissenschaft überdurchschnittliche Leistung nachweisen. Und da Klugheit, Brillanz oder die Wahrscheinlichkeit der Erlangung eines Nobelpreises schlecht messbar sind, einigte man sich auf etwas profanere Kriterien.

      Jetzt hieß es, sich im Wettbewerb zu behaupten durch die Anzahl der Publikationen oder die Häufigkeit der Zitierung dieser Veröffentlichungen, der erfolgreichen Einwerbung von Forschungsmitteln, der Anzahl der Ehrungen, Preise oder Einladungen zu wichtigen Tagungen oder Kongressen und ähnliche solcher Wettbewerbskriterien.

      Als dann der Begriff Exzellenz etwas zu abgegriffen erschien, ersetzte man ihn durch den Qualitätsanspruch outstanding. Semantisch ist das zwar das gleiche wie exzellent, klingt aber irgendwie moderner und internationaler.

      Durch diesen Anspruch waren Wissenschaftler:innen und deren Organisationen mit erheblichem Aufwand damit zugange, sich selbst und anderen die notwendige Exzellenz zu bescheinigen. In der Folge gab es faktisch nur noch durchschnittliche gute oder eben exzellente Institutionen, wobei erstere langsam und diskret abgewickelt oder zumindest geschrumpft wurden. Die restlichen Institutionen – geschätzt etwa 85 Prozent der Einrichtungen – erhielten hingegen in Gänze oder teilweise den Exzellenz- oder Outstanding-Status.

      Um diesem inflationär gewordenen Bewertungssystem etwas entgegenzusetzen, einigte man sich erneut auf den neuen Qualifikationsstatus unique, also einzigartig. Wer heute eine wirklich abgesicherte Existenzberechtigung erreichen will, muss also irgendwie nahezu einzigartig sein. Wodurch und womit auch immer; ein jeder auf seine Art.

      Derlei Behauptungs- und Verdrängungswettbewerb ist im wissenschaftlichen Bereich aber wahrlich nicht neu. Dazu ein kleiner Ausflug in die Geschichte: Um an einer Universität eine Lehrbefugnis zu erhalten, also praktisch Professor:in zu werden, reichte früher, je nach Fachgebiet und Fakultät, der akademische Abschluss als Magister oder Doktor. Letzteres heißt ja bekanntlich auf gut Deutsch nicht mehr als ‚der oder die Gebildete‘.

      Erst im napoleonischen Zeitalter setzte sich die HabilitationHabilitation durch; sozusagen als zweite akademische Hürde. Dies geschah vor allem deshalb, weil es schlicht viel mehr Magister oder Doktoren gab, als für den Lehr- und Wissenschaftsbetrieb nötig – und erst recht, um die raren Spitzenämter zu besetzten. Jetzt brauchte man also als zusätzliche Befähigung eine Habilitation, um die sogenannte Venia LegendiVenia Legendi beziehungsweise in Österreich oder der Schweiz die Venia DocendiVenia Docendi zu erlangen. Erst mit dieser Auszeichnung hatte man dann die Weihen erlangt, um in die sicheren Sphären des Forschungs- und Lehruniversums aufgenommen zu werden. Man sieht, der Wettbewerb in der Wissenschaft hat eine lange Tradition.

      Zurück zur Neuzeit: Wer heute unbefristete oder gar verantwortliche Stellen in Wissenschaft und Forschung mit entsprechender Raum-, Mittel- und Personalausstattung bekleiden will, muss sich in diesem Wettbewerb erfolgreich behaupten als außergewöhnlich gut, exzellent oder gar als einzigartig. Oder man schafft es mit Ausdauer und Geschick, längerfristig so überzeugend zu wirken, als ob man es wäre. Auch solche Fälle gibt es vereinzelt im Wissenschaftsbetrieb.

      Damit meine bereits beschriebene persönliche Begeisterung für dieses Berufsfeld nicht vergessen wird, möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen: Die Arbeit im Bereich Wissenschaft und Forschung kann sehr motivierend sein und sich für viele Menschen als nachhaltig erfolgreich und erfüllend erweisen. Aber die Rahmenbedingungen sind ähnlich beschwerlich wie im Sport oder im künstlerischen Bereich.

      Selbst im Leistungssport schafft es bekanntlich nicht jedes Talent trotz Begabung,

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