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der Teilhabe an Amishas Entdeckungen, ihren Fragen, Hypothesen, ihrer Erkenntnisgewinnung und ihrer finalen Entscheidungsfindung wünsche ich allen Leser:innen eine ebenso kurzweilige wie informative Lektüre.

      Berlin, im Frühjahr 2022 Reinhold Haller

      Amisha

      Amisha Borchert saß auf einer Bank in einem etwas abgelegenen Bereich des Waldfriedhofes Dahlem am südwestlichen Stadtrand Berlins. Es war Mitte Mai und der Friedhof prahlte mit sattem Grün der zahlreichen Bäume und Sträucher. Die Anlage wirkte durch ihren alten Baumbestand eher wie ein weitläufiger Park. An diesem sonnigen Tag spendeten hier die hohen Fichten und Kiefern den bereits zur Mittgaszeit willkommenen Schatten.

      Amisha zog es immer wieder hierher, wenn sie etwas zu überdenken hatte und einen Ort der Ruhe und Entspannung brauchte. Hier gab es keinen Andrang, Verkehr oder Lärm. Am Rand des Parks vernahm man nur Vogelgezwitscher, einige wenige, mit Gießkannen und kleine Harken ausgestattete Besucher und nur ein wenig Hintergrundrauschen der abseits liegenden Clayallee. Genau das mochte Amisha grundsätzlich an Berlin: Die Vielzahl und den Facettenreichtum der vielen kleinen und größeren grünen Inseln und Oasen mitten in dieser vielerorts wuseligen und meist rastlosen Stadt.

      Anders als viele andere Menschen fand Amisha Friedhöfe dieser Art weder unheimlich noch makaber. Dass hier lauter zu Lebzeiten vermeintlich unverzichtbare Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten, störte sie nicht. Und schließlich störten umgekehrt die Bewohner dieser Nekropole sie selbst in keiner Weise – im Gegenteil. Sie teilte sich ihren vorübergehenden Zufluchtsort immerhin mit einigen prominenten Literat:innen, Politiker:innen und Wissenschaftler:innen, deren Wirken oder Werke sie mitunter sogar kannte und deren Andenken sie schätzte. Warum also sollte sie diese Umgebung als störend empfinden? Ein Friedhof war schließlich, nicht nur dem Namen nach, ein Hort des Friedens und der Ruhe. Hier fand sich vielmehr eine wohltuende Atmosphäre und Stimmung; insbesondere für Menschen wie Amisha, die seit fünf Jahren mit ihrem Freund Sinan im turbulenten und lärmenden Stadtteil Kreuzberg lebte.

      Amisha war die Tochter der aus Indien stammenden Übersetzerin Saira und dem deutschen Anästhesisten Ben Borchert, der vor Amishas Geburt bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen für zwei Jahre in Rajasthan tätig war. Dort hatten sich ihre Eltern kennengelernt und nach einer kurzen Etappe im Ruhrgebiet hatte das Paar ein Jahr vor dem Fall der Mauer in Berlin seine neue Heimat gefunden. Mit ihrem jüngeren Bruder Niko und der gleichfalls jüngeren Schwester Rojana wuchs Amisha im beschaulichen Berliner Ortsteil Friedenau auf.

      Nach dem Abitur und einem Freiwilligen Sozialen Jahr studierte Amisha an der Technischen Universität Berlin Medienwissenschaft. Seit Kurzem war sie nun mit ihrem Master of Arts, nahezu zeitgleich mit ihrem 24. Geburtstag, frischgebackene und stolze Hochschulabsolventin.

      Da sie als Gasthörerin an einigen Veranstaltungen unterschiedlicher Institute der Freien Universität Berlin teilgenommen hatte, kannte sie den Stadtbezirk Dahlem und damit ihren aktuellen Aufenthaltsort recht gut. Immerhin war das ruhige Dahlem nicht nur ein historischer Berliner Wissenschaftsstandort, sondern seit der Nachkriegszeit der zerstreute und weitläufige Campus der Freien Universität Berlin. Zudem ist Dahlem der Gründungsort der im Forschungsumfeld weltweit renommierten Max-Planck-Gesellschaft mit den ursprünglichen Wohngebäuden und Wirkungsstätten zahlreicher Nobelpreisträger.

      So ist dieser ursprünglich ländliche Ort durchzogen von historischen und neueren Instituts-, Lehr- und Verwaltungsgebäuden, Mensen, Bibliotheken und den zahlreichen, bereits vor etwa einhundert Jahren angelegten kleinen Parks und Grünflächen. Dahlem war für Amisha zudem ein guter Ausgangspunkt, um auf dem Weg zum Parkfriedhof mit dem Fahrrad bei ihren Eltern im nahegelegenen Friedau einen kurzen Stopp einzulegen, um sich dort als Proviant ihre kleine Thermosflasche mit frischem Kaffee zu füllen.

      Für Amisha stellte sich aktuell die Frage, was sie mit dem erfolgreichen Abschluss ihrer universitären Ausbildung nun anfangen wollte. Genau diese Frage hatte sie, ausgestattet mit ihrem Notizbuch, einem Stück Nusskuchen und ihrer kleinen Thermosflasche voller Milchkaffee zu ihrer Parkbank auf dem Waldfriedhof Dahlem verschlagen. Heute wollte Amisha noch einmal systematisch und konzentriert darüber nachdenken, wie sie ihre nähere berufliche Entwicklung gestalten wollte.

      Ihr Studium hatte ihr viel Freude bereitet und die Zeit wie im Fluge vergehen lassen. Der Lernstoff im Bereich Medienwissenschaft war interessant und relevant, mit vielen praktischen Bezügen und Übungen angereichert und ihre Dozent:innen und Hochschullehrer:innen hatte sie mehrheitlich als sehr inspirierend empfunden.

      Nach einem studienbegleitenden Praktikum hatte sie sich im Wahlpflichtbereich auf das Thema Wissenschaftskommunikation spezialisiert. Hier konnte sie sich dafür begeistern zu lernen, wie es gelingen kann, Fragestellungen, Hypothesen, Erkenntnisse und Methoden der modernen Wissenschaft interessant und verständlich einem größeren Anteil der Bevölkerung näherzubringen.

      Zudem hatte Amisha innerhalb und außerhalb ihres Studiums einige Wissenschaftsjournalist:innen und -moderator:innen kennengelernt. Dazu gehörten etwa Ranga Yogeshwar, Harald Lesch und die mit ihren Sendungen und ihrem Blog in den letzten Jahren kometenhaft aufgestiegene Mai Thi Nguyen-Kim.

      Wie andere Vertreter:innen dieses Berufszweiges hatten diese Galionsfiguren des Faches Wissenschaftskommunikation selbst erfolgreich in verschiedenen Bereichen der Naturwissenschaften studiert und promoviert. Irgendwann später hatten sie dann ihre außergewöhnliche Begabung entdeckt, komplizierte Details, komplexe Bezüge oder scheinbar trockene Fakten und Zahlenwerke derartig interessant, lehrreich und so kurzweilig zu präsentieren, dass ihre Zuschauer:innen gefesselt und bereichert zurückblieben.

      Amisha wusste, dass dieses Talent der Kommunikation und Wissensvermittlung nicht allen Vertretern der wissenschaftlichen Gemeinschaft gegeben war. Genau deshalb hatten die meisten wissenschaftlichen Institutionen schließlich eine eigene Abteilung oder Stabstelle Kommunikation, die mit der Aufgabe betraut war, trockene Daten in verständliches oder gar faszinierendes Wissen zu verwandeln. Amisha konnte sich sehr gut vorstellen, genau dies zukünftig später einmal in verantwortlicher Position zu tun.

      Andererseits hatte sie sich im Studium unter anderem mit großem Interesse der Journalistik verschrieben, also den wissenschaftlichen Aspekten des Journalismus. Ihrer empirischen Bachelorarbeit hatte sich Amisha mit Fleiß und Eifer gewidmet und als Ergebnis ein glattes „sehr gut“ eingeheimst. Das Thema ihrer Arbeit lautete: „Der Stellenwert von ‚Fake News‘ in der deutschen Online-Berichterstattung. Eine vergleichende Analyse“.

      Bei der Arbeit hieran spürte sie, dass sie nicht nur die praktischen journalistischen Tätigkeiten reizten, sondern ebenso die theoretischen und wissenschaftlichen Aspekte der wissenschaftlichen Journalistik. Der betreuende Hochschullehrer ihrer Masterarbeit hatte ihr Talent gesehen und insofern gewürdigt, als dass er ihr nach ihrer Masterarbeit eine Doktorand:innenstelle am Institut für Sprache und Kommunikation anbot. Hier könne sie – so sein Versprechen – forschen, promovieren, Forschungsmittel einwerben, publizieren und später selbst vielleicht einmal im wissenschaftlichen Umfeld ihre berufliche Heimat und Zukunft finden.

      Wofür sollte sie sich nun entscheiden?

      Zu allem Überfluss gab es da noch eine weitere Alternative: Onkel Leo. Ihr Patenonkel war für sie eine zusätzlich Inspirationsquelle. Er war als Berater, Trainer und Coach freiberuflich tätig und hatte seinen Tätigkeitsschwerpunkt seit vielen Jahren auf das wissenschaftliche Umfeld konzentriert.

      Leo führte seine Geschäfte von seinem Wohnsitz aus. In einer ruhigen, grünen Seitenstraße unweit des Wohnortes ihrer Eltern hatte er einen Teil seiner Altbauwohnung als Besprechungs- und Beratungsraum eingerichtet. Von hier aus organisierte er Beratungen, Coachings, Vorträge, Workshops und Trainings und war seit mehr als 20 Jahren als Freiberufler sein eigener Herr.

      In vielen Gesprächen, auf Familientreffen sowie durch die Lektüre seiner Publikationen und der Analyse seiner Medienauftritte hatte sich Amisha ein Bild gemacht vom Arbeitsgebiet ihres Onkels. Sie empfand eine derartige Position und Tätigkeit als sehr interessant und attraktiv. Schließlich gab es im Wirkungsbereich ihres Onkelns viele Überschneidungen mit den ihr vertrauten Themenfeldern wie Kommunikation,

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