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Die Entscheidung. Reinhold Haller
Читать онлайн.Название Die Entscheidung
Год выпуска 0
isbn 9783846358054
Автор произведения Reinhold Haller
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Eine Weiterbildung im Bereich Coaching oder Mediation, so meinte Amisha, würde ihr Wissen und ihre Fähigkeiten wunderbar abrunden. Schließlich ging es in diesen Disziplinen, wie auch in ihrem vertrauten Fachgebiet, um Kommunikation, Moderation und die Kunst der Veranschaulichung, also die herausfordernde Aufgabe, scheinbar Komplexes und Kompliziertes verständlich werden zu lassen.
Amisha nahm Stift und Notiztext und notierte auf der ersten freien Seite:
Meine Berufswünsche/-optionen:
Arbeit als (Wissenschafts-)Journalistin in der Medienlanschaft
Arbeit als Wissenschaftlerin in der Wissenschaft (Journalistik)
Weiterbildung-/Aufbaustudium zu den Themen Beratung, Coaching und Mediation.
Gedankenverloren markierte sie hinter jeder ihrer Optionen mehrere Fragezeichen und schaute ein wenig entrückt auf ein Wildtaubenpaar, das in einiger Entfernung in einem Baum mit dem Nestbau begonnen hatte.
Leos Sicht der Wissenschaft als Berufsfeld
Zu Leo Borchert, ihrem Onkel, pflegte Amisha eine enge und vertraute Beziehung. Auch ohne Taufe oder andere religiöse Rituale galt Leo nach familiärer Übereinkunft seit ihrer Geburt als ihr Patenonkel. Eine Aufgabe, der er gerne und mit echtem Engagement nachkam.
Neben den Gesprächen mit ihren Eltern und Freunden suchte Amisha bei vielen Fragen immer wieder den Rat ihres Onkels. Obwohl er geizig war mit voreiligen Ratschlägen, so war er doch ein verlässlicher und guter Zuhörer, der vertiefende und zum Nachdenken anregende Fragen stellte oder ihr einfach zu einigen ihrer Anliegen seine Wahrnehmung spiegelte.
Bei ausdrücklich erbetenen Ratschlägen verhielt er sich dagegen eher zurückhaltend und meinte dazu lapidar: „Manche Ratschläge sind mitunter wie Schläge. Aber ich bin kein Schlägertyp!“
Wenn es aber um sehr konkrete, lebenspraktische Dinge ging, dann hatte er durchaus hin und wieder einen guten Rat, eine Empfehlung oder einen Tipp parat. Gerade diese unaufdringliche, zurückhaltende Art schätzte Amisha an ihrem Onkel.
Nach elf Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Doktorand und PostDoc in der Erziehungswissenschaft hatte er einige Jahre als Leiter des Bereiches Personal- und Organisationsentwicklung in einem großen deutschen Forschungszentrum gearbeitet. Ausgestattet mit diesem Erfahrungsschatz und einem entsprechenden Netzwerk machte er sich später selbstständig. Auf Grundlage einer Weiterbildung als systemischer Organisationsberater und seinen Erfahrungen im Wissenschaftssystem bot er seine Dienste als Personalentwickler, Trainer, als Coach für Teams und Einzelpersonen und als Konfliktmoderator vorwiegend wissenschaftlichen Einrichtungen an.
Als solcher lernte er über viele Jahre zahlreiche Universitäten und außeruniversitäre Forschungsinstitute kennen. Seine Klientel bestand aus allen Zielgruppen dieser Organisationen, etwa administrative und technische Fachkräfte, vor allem jedoch aus wissenschaftlichem Personal aller Hierarchiestufen. Insofern war Leo für Amisha immer ein erfahrener Ansprechpartner, gerade wenn es um akademische Fragen ging oder die berufliche Entwicklung innerhalb und außerhalb der Wissenschaft.
Vor einiger Zeit drehte sich auf einem Familientreffen das Gespräch um das Thema Wissenschaft und Forschung als Berufsfeld. Schließlich hatten alle Anwesenden eine akademische Ausbildung genossen oder sie standen mittendrin: Amishas Eltern und ihr Onkel Leo, ihr jüngerer Bruder Niko, der Betriebswirtschaft studierte, ihre jüngere Schwester Rojana, die vor Kurzem ihr Germanistikstudium begonnen hatte, und Amishas Freund Sinan, der gerade eine Doktorandenstelle an einem Institut für experimentelle Physik angetreten hatte.
Nachdem die Anwesenden einige der guten und weniger erbaulichen Erfahrungen in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Einrichtungen ausgetauscht hatten, meinte Leo: „Der Bereich Wissenschaft und Forschung ist meiner Meinung nach einer der interessantesten und vielseitigsten Berufszweige, die man sich denken kann. Das gilt zumindest für alle die Menschen, die sich für Natur und Technik, Gesundheits-, Lebens-, Geistes- oder Sozialwissenschaften interessieren, oder – wie Niko etwa – für die Wirtschaftswirtschaft. Das gleiche gilt für all jene, die forschungsrelevante und wissenschaftsorientierte Kompetenzen erlangen wollen im Bereich der Rechtswissenschaft, der Philosophie oder etwa in kulturwissenschaftlichen Fachbereichen.
Schließlich sind die Universitäten nicht nur die ältesten, sondern gleichermaßen die gründlichsten und anspruchsvollsten Lehr- und Bildungseinrichtungen der Welt. Das Gleiche gilt heute natürlich für viele außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, welche diese Tradition außerhalb der Universitäten ergänzen.
In der Tat begegnen einem in der Wissenschaft oftmals hochintelligente, smarte und nicht nur begabte, sondern nicht selten wirklich begnadete Menschen. Sie stellen extrem kluge Fragen, entwickeln vielversprechende Hypothesen, erschaffen raffinierte Methoden, analysieren ihre Daten und Beobachtungen exakt und nachvollziehbar, sie publizieren brillante Erkenntnisse und schaffen Großartiges und Neues. Wenn du diese Merkmale bei wissenschaftlich tätigen Menschen feststellst, sagst du ‚Chapeau!‘ und verneigst dich ehrfürchtig im Stillen. Und als Steuerzahler stellst du fest, dass deine ungeliebten und dir hartnäckig abgerungenen Steuerabgaben in solchen Forschungsdisziplinen doch wirklich gut und nachhaltig aufgehoben sind.
Auch aus diesem Grund habe ich nach meinem erziehungswissenschaftlichen Studium ausschließlich im wissenschaftlichen Umfeld gearbeitet und ich bereue dies nicht. Im Gegenteil: Würde eine höhere Macht oder mein Schicksal bestimmen, dass ich noch einmal geboren werde, dann würde ich diese Entscheidung ohne Zögern wieder treffen. Und nebenbei gesagt: Ich kenne viele, die dies ähnlich sehen wie ich.
Eine gute akademische Ausbildung an einer Hochschule ist schließlich der erste Schritt für junge Menschen in diesen Bereich. Nach dem Studium stellt sich dann die Frage, ob man sich dort weiterqualifizieren möchte oder den Abzweig nehmen will in einem Beruf außerhalb von Wissenschaft und Forschung. Andererseits kann ein längerer oder gar dauernder Verbleib im Wissenschaftsumfeld eine wirklich attraktive Option sein. Insofern ist ja nicht verwunderlich, dass Sinan diesen Schritt mit seiner Promotionsstelle gerade gemacht hat und dass Amisha aktuell darüber intensiv nachdenkt.
Bei allen Entscheidungen und gerade bei beruflichen Optionen sollte man aber im Vorfeld recht gut überlegen, worauf man sich mit seiner Entscheidung einlässt. Nach meiner Erfahrung gibt es kein Paradies auf Erden, weder im Wissenschaftsumfeld noch außerhalb. Und so hat jedes System seine Licht- und Schattenseiten. Speziell im Wissenschaftsbereich sind oftmals, wie in anderen Branchen und Arbeitsgebieten, Licht und Schatten, Schein und Sein nicht weit voneinander entfernt.“
„Du bist mal wieder sehr allgemein und abstrakt unterwegs!“, meinte Ben, Leos Bruder. „Was genau ist denn in der Wissenschaft so speziell, ambivalent und widersprüchlich? Kannst du das nicht mal kurz und prägnant zusammenfassen?“
„Kurz zusammenfassen ist leicht gefordert“, entgegnete Leo. „Es wäre um ein Vielfaches einfacher, gleich ein ganzes Buch darüber zu schreiben. Ich bin sicher, es würde recht umfänglich.“ Leo seufzte. „Aber lass es mich einmal versuchen. Ich werde mein Bestes geben, es einigermaßen schlüssig und erschöpfend, wenn auch schlagwortartig, zusammenzufassen.“ Er hielt eine Hand auf Schulterhöhe und begann mit der anderen, seine Finger abzuzählen:
„Erstens, und das ist wirklich sehr wissenschaftsspezifisch: Es gibt wohl mit Ausnahme des Sports keinen Bereich, der so kompetitiv, also derartig wettbewerbsorientiert ist, wie der Wissenschaftsbetrieb. Die Ursache dafür liegt darin, dass die Universitäten ebenso wie die Forschungsinstitutionen der deutschen Forschungsverbünde laut Auftrag und entsprechend ihrer Mission sozusagen bildungsorientierte ‚Durchlauferhitzer‘ sind.
Viele Insider hören den doch sehr technischen Begriff Durchlauferhitzer nicht gerne. Aber nüchtern betrachtet ist es so: Die Beschäftigten kommen und verweilen als Student:innen, Praktikant:innen, später dann als Bachelor- oder Masterabsolvent:innen, als Promovierende