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Kindern in Kurdisch zu unterhalten. Sie haben sogar Bedenken dagegen, Kurdisch in Institutionen wie beispielsweise in Kitas als ihre Sprache anzugeben (vgl. Chilla/Niebuhr-Siebert 2017: 100). Ehlich spricht in diesem Zusammenhang von „Auskunftsvorsicht“ (Ehlich 2013: 39). Daher ist anzunehmen, dass die Stigmatisierungseffekte des Kurdischen aus den Herkunftsländern in Deutschland nicht aufgehoben sind (vgl. Şenol 1992: 136ff.).

      Die Vitalität des Kurdischen bzw. seiner einzelnen Varietäten in Deutschland ist eine Forschungsfrage an sich und sollte mit einer gut konzipierten Untersuchung angegangen werden. Dabei sollten auch die Stigmatisierungseffekte berücksichtigt werden. Auf ein solches Vorhaben ist die vorliegende Untersuchung jedoch nicht zugeschnitten.

      4.1.4 Grundlegende grammatische Charakteristiken des Kurmancî

      4.1.4.1 Phonologie

      Vergleichend mit dem Deutschen ist festzuhalten, dass Wörter in Kurmancî keine besonders komplexen Silben haben. Konsonantencluster mit zwei oder gar drei aufeinander folgenden Konsonanten im Wortanlaut (Silben-Onset) sind selten, wobei diese (regional bedingt) meist durch eine Vokalepenthese unterbrochen werden (vgl. Haig/Öpengin 2018: 168, MacKenzie 1961: 37). Beispielsweise ist das Wort stran [strɑːn] „Lied“ ein seltenes Kurmancî-Wort mit drei Konsonanten im Wortanlaut, das jedoch häufig als sitran [sɨtrɑːn] realisiert wird (vgl. Aygen 2007: 10, Haig/Öpengin 2018: 168). Im Silben- und Wortauslaut (Koda) treffen jedoch häufig zwei Konsonanten aufeinander, die nicht unterbrochen werden (vgl. Şimşek 2016: 91).

      Ob Kinder bei Erwerb und Aussprache der Wörter mit der Konsonanten-Abfolge oder im Allgemeinen bei der Phonologie des Kurmancî Schwierigkeiten haben, ist aufgrund fehlender Forschung ungewiss. Die vorliegende Studie wird auch in dieser Hinsicht keine Analysen anbieten. Jedoch ist bekannt, dass regionale Varietäten des Kurmancî sich vor allem phonologisch voneinander unterscheiden (vgl. Aygen 2007, Haig/Öpengin 2018). Daher ist zu erwarten, dass die Färbungen der dialektal-regionalen Unterschiede sich in der Sprachproduktion der Kinder niederschlagen. Denn sie und/oder ihre Eltern kommen aus den verschiedenen Regionen des Kurmancî-Sprachraums.

      Ob Kurmancî als eine akzent- oder silbenzählende Sprache zu gelten hat, ist in der Forschung noch nicht eindeutig ermittelt worden (vgl. Şimşek 2016: 91). Aber immerhin scheint die Frage beantwortet zu sein, wo der Wortakzent in Kurmancî liegt, nämlich in der Regel auf der letzten Silbe des Stammwortes (vgl. Omarkhali 2011: 197). Ob dies einen Einfluss auf den Spracherwerb des Kurmancî hat, ist jedoch gleichfalls nicht geklärt.

      4.1.4.2 Morphologie

      In Auseinandersetzung mit der Nominalphrase des Kurmancî sind rasch zwei Charakteristiken zu erkennen. Die erste betrifft die Dualität der Kategorien. Das Kurmancî unterscheidet nämlich hinsichtlich des Genus Maskulinum versus Femininum, hinsichtlich des Kasus Rectus versus Obliquus1 und hinsichtlich des Numerus Singular versus Plural (vgl. MacKenzie 1961: 152). Die zweite Charakteristik ist, dass diese wenigen grammatischen Kategorien schwach und in manchen Fällen sogar gar nicht ausgedrückt werden. Ferner erfolgt ihr Ausdruck an wenigen sprachlichen Elementen. Die betreffenden Kategorien werden noch zu erläutern sein, ebenso deren Ausdruck. Zunächst sollte jedoch die Ezafe dargestellt werden, die ein Merkmal der iranischen Sprachen ist und eine zentrale Charakteristik der Nominalphrase in Kurmancî darstellt. Von ihr hängen sowohl der Ausdruck des Genus als auch der des Numerus ab. Des Weiteren ist sie für die Markierung des Kasus wirksam.

      In Studien zur Grammatik des Kurmancî wird die Ezafe als Partikel erfasst (vgl. Bedir Khan/Lescot 1986: 65). Als Partikel kann sie freistehen, aber sie wird mit dem Bezugselement, dem Nomen, als Suffix verbunden, falls sie ihm direkt folgt, wie es in den Beispielen unten der Fall ist (vgl. Schroeder 1998: 45). Die zentrale Funktion der Ezafe ist die Verknüpfung der nachgestellten Attribute wie Adjektive, Pronomina, Partizipien etc. mit dem Kopf der Nominalphrase, also mit Nomen (vgl. Schroeder 2002: 194f.). Ausgehend von dieser zentralen Funktion wird sie auch als Linker definiert (vgl. Haig 2011). Das Nomen kann dabei aus einem Glied bestehen oder ein Kompositum sein. Darüber hinaus kann die Ezafe pronominal und in einigen Regionen auch prädikativ gebraucht werden (vgl. Haig/Öpengin 2018: 179f.).

      Das besondere an der Ezafe ist, dass sie auf der einen Seite den Numerus und das Genus zum Ausdruck bringt und auf der anderen Seite ihre Ausdrucksform sensibel zu den indefiniten Suffixen -ek (Singular) und -(i)n (Plural) ist (vgl. Aygen 2007: 18, Omarkhali 2011: 203f.). Gemäß den Daten der vorliegenden Studie wurde die Ezafe häufig als Linker gebraucht. Unten werden einige Beispiele dafür aufgelistet, wie die Ezafe in dieser Funktion mit ihren unterschiedlichen Formen auftreten kann:

1. dar-ê stûr
stock-EZ.M dick „der dicke Stock“ (Bedir Khan/Lescot 1986: 66)
2. dar-ên stûr
stock-EZ.Pl dick „die dicken Stöcke“ (Bedir Khan/Lescot 1986: 67)
3. şev-a sar
nacht-EZ.F kalt „die kalte Nacht“ (Bedir Khan/Lescot 1986: 67)
4. şev-ek-e 2 sar
nacht-IDS.EZ.F kalt „eine kalte Nacht“ (Bedir Khan/Lescot 1986: 70)

      Eine weitere Eigenschaft der Ezafe ist, dass eine Nominalphrase mit Ezafe ungeachtet ihrer syntaktischen Funktion denselben Ausdruck hat. Damit geht auch einher, dass der Obliquus, der in Kurmancî gegenüber dem Rectus in den meisten Fällen formal markiert wird, seine Markierung in den Nominalphrasen mit Ezafe nicht betätigen kann. „The presence of an ezafe on any noun suppresses the expression of oblique case on that noun. This is a very crucial fact of Kurmanji syntax: it means that the ezafe itself is impervious to the external case of the entire NP.“ (Haig/Öpengin 2018: 179) Wenn also die obigen Nominalphrasen im Rectus oder im Obliquus gebraucht werden, erfahren sie keine Formänderung.

      Das Kurmancî unterscheidet beim Nomen zwei Genera voneinander, das Maskulinum und das Femininum. Das Genus in Kurmancî hat kein sprachliches Mittel wie ein Affix oder eine Wortart, wie beispielsweise den Artikel in Deutsch, die mit dem Genusausdruck assoziiert werden können. Im Konkreten heißt das, das Genus wird im Singular lediglich durch die Ezafe oder durch den Obliquus zum Ausdruck gebracht. Wie im Deutschen, so entfällt auch in Kurmancî im Plural die Unterscheidung der Genera (vgl. Schroeder 1998: 45). Sie scheint überdies regional unterschiedlich, in manchen Regionen sogar weitgehend aufgehoben zu sein, wie es beispielsweise aus der Fallstudie von Akın hervorgeht (vgl. Akın 2013:

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