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ausgesetzt, wenn der Verdacht besteht, der Täter sei nicht intelligent genug gewesen, um seine Tat richtig einzuschätzen.

      SEIT JEHER ZÄHLT DER VERSTAND zu den wichtigsten Werten der Gesellschaft – und zu einer ihrer stärksten Triebkräfte. Schließlich gründet unsere Zivilisation auf der Denkleistung intelligenter Menschen. Ohne Scharfsinn hätten unsere Vorfahren weder Ackerbau noch Viehzucht erfunden, hätten keine Städte erbaut, keinerlei technische Innovation hervorgebracht.

      Niemand hätte sich je kluge Gedanken gemacht über den Sinn des Seins, niemand wüsste etwas über die Gesetze der Physik, den Aufbau des Universums, über die Wirkkraft von Arzneimitteln, die biochemischen Vorgänge in unserem Körper. Oder über die Evolution – also letztlich unsere Herkunft.

      Wohl kaum eine andere Eigenschaft begehren Menschen daher mehr als Intelligenz. „Man darf fast alles über die Kinder anderer Leute sagen – dass sie faul, frech, aggressiv, nervös, zerfahren oder schüchtern sind“, schreiben die Kognitionsforscher Rolf Pfeifer und Josh Bongard: „Aber bloß nicht, dass sie unintelligent sind!“

      All dies setzt eines voraus: dass wir überhaupt wissen, was Intelligenz eigentlich ist.

      Die Antwort darauf mag zunächst recht einfach erscheinen. Der Begriff Intelligenz leitet sich vom lateinischen Verb „intellegere“ („einsehen“, „verstehen“) ab. So kann man diese Eigenschaft vereinfachend als die Gabe ansehen, möglichst schnell Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, Zusammenhänge herzustellen, Probleme zu lösen – kurz: schlussfolgernd zu denken.

      Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Fähigkeit? Wie entsteht Intelligenz? Was unterscheidet scharfsinnige von weniger klugen Menschen? Wo in unserem Kopf ist der Verstand untergebracht? Und beschränkt er sich allein auf unser Gehirn?

      Seit Langem schon beschäftigen sich Psychologen und Bildungsexperten, Biologen, Informatiker und Neurowissenschaftler mit diesen Fragen. Das aber stellt sie vor Probleme. Denn Intelligenz kann man weder greifen noch riechen, weder schmecken noch ertasten oder sehen.

      Daher gestaltet sich ihre Erforschung so kompliziert wie die des Bewusstseins. Die Experten versuchen gewissermaßen nichts Geringeres, als das Wesen von etwas Wesenlosem zu ergründen. Einer strukturlosen Macht Struktur zu verleihen. Zudem ist Intelligenz nicht bloß eine unsichtbare Erscheinung – sondern eine der vielschichtigsten überhaupt.

      Und schließlich urteilen Menschen in verschiedenen Kulturen höchst unterschiedlich darüber, ob ein Mitbürger über einen hohen Verstand verfügt; nicht jeder, der beispielsweise in der westlichen Welt als schlau gilt, wird auch überall sonst so angesehen.

      „Bei den Buschmännern in Australien“, so der renommierte Intelligenzforscher Detlef Rost von der Universität Marburg, „würde ein in unserer Gesellschaft hochgeschätzter und als besonders intelligent angesehener Informatiker vermutlich jämmerlich versagen und wäre kaum lebenstüchtig.“

      Selbst bestimmte Charakterzüge werden je nach Kulturkreis gänzlich anders ausgelegt. Tratschen etwa gilt in der westlichen Welt zwar als unhöflich, aber nicht unbedingt als dumm. Bei manchen Völkern dagegen schon: Dort zeichnet es intelligentes Verhalten unter anderem aus, wie geschickt jemand innerhalb einer Gruppe für Harmonie sorgt.

      Beim Volk der Luo in Kenia gibt es gleich vier Wörter, die sich auf Intelligenz beziehen. Dabei bezeichnet allein der Begriff rieko eine der westlichen Vorstellung ähnliche intellektuelle Kompetenz. Die Worte luoro und winjo dagegen beschreiben, wie respekt- und rücksichtsvoll jemand mit seinen Mitmenschen umgeht. Und paro, ob er begonnene Vorhaben auch zu Ende führt.

      Chinesische Taoisten wiederum sehen Selbsterkenntnis und Bescheidenheit als wichtige Intelligenzfaktoren. Und für Menschen in Estland zählt dazu, wie emotional stabil jemand ist, wie gewissenhaft und weltoffen.

      Was exakt sich hinter dem Phänomen Intelligenz verbirgt, ist deshalb eine der verwirrendsten Fragen der modernen Wissenschaft. Mittlerweile aber gewinnen Forscher ein immer genaueres Bild davon, was unseren Verstand – zumindest aus westlicher Sicht – kennzeichnet.

      DAMIT EIN WESEN überhaupt eine Form von Intelligenz besitzt, darin sind sich die Wissenschaftler einig, muss es Eindrücke aufnehmen und speichern, es muss Informationen abrufen und verknüpfen können. Zudem stellt es seinen Verstand gewöhnlich unter Beweis, indem es Probleme löst.

      Vor einigen Jahren einigten sich 52 international angesehene Experten auf folgende Beschreibung der menschlichen Geisteskraft: „Intelligenz ist eine sehr allgemeine geistige Kapazität, welche die Fähigkeit zum schlussfolgernden Denken, zum Planen, zur Problemlösung, zum abstrakten Denken, zum Verständnis komplexer Ideen, zum schnellen Lernen und zum Lernen aus Erfahrung umfasst.“

      Dieser Auffassung liegt ein Phänomen zugrunde, das Wissenschaftlern bereits vor mehr als 100 Jahren auffiel: War ein Schüler in einem bestimmten Bereich talentiert – konnte er beispielsweise mühelos Zahlenkolonnen addieren –, offenbarte er häufig auch andere geistige Fähigkeiten, er drückte sich etwa besonders gewandt aus. Es fiel ihm leicht, eine Fremdsprache zu erlernen, oder er fand flink Wege, um komplizierte Knoten zu lösen.

      Sprach ein Schüler dagegen holprig, dann rechnete er oft auch schlecht, konnte sich schwer Vokabeln einprägen und zeigte häufig ein unzureichendes Verständnis für Gesetzmäßigkeiten.

      Aus dieser Beobachtung erwuchs schließlich eine Theorie, die bis heute unter Wissenschaftlern die mit Abstand größte Zustimmung findet. Sie besagt, dass jeder Mensch eine Art geistige Energie besitzt – die allgemeine (oder „fluide“) Intelligenz –, die jedoch individuell unterschiedlich stark ausgeprägt ist.

      Daraus speist sich die kognitive Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen – also die Schnelligkeit und Effektivität, mit denen jemand Informationen verarbeitet: Wie leicht er lernt, wie rasch er logische Zusammenhänge herstellen kann oder wie verlässlich er sich neues Wissen einzuprägen vermag.

      Die allgemeine Intelligenz wiederum bildet die Basis für die bereichsspezifische (oder „kristalline“) Intelligenz. Darunter verstehen Wissenschaftler unsere spezifischen Begabungen oder Talente, zum Beispiel verbale Fertigkeiten wie etwa Sprachgefühl, mathematisches Geschick oder räumliches Vorstellungsvermögen – also die von Mensch zu Mensch unterschiedliche Gabe, in bestimmten Bereichen Kenntnisse zu erwerben, Kompetenz zu entwickeln und schließlich eine Art Expertenwissen („kristallines Wissen“) aufzubauen.

      Man kann dieses gängigste aller Intelligenzmodelle mit dem Wachstum eines Baumes vergleichen. Die allgemeine Intelligenz entspricht demnach einem fruchtbaren Humusboden, aus dem gewissermaßen der Strunk des Verstandes sprießt. Von dessen Dicke hängt die Ausprägung der bereichsspezifischen Intelligenz ab. Denn der Stamm verzweigt sich in die Talente und Begabungen. Freilich sind nicht alle Äste exakt gleich dick, alle Begabungen gleich stark ausgeprägt. Doch wer über viel allgemeine Intelligenz verfügt, der bildet einen kräftigeren Stamm und damit auch dickere Äste, die wiederum eine mächtigere Krone entwickeln.

      Menschen mit wenig allgemeiner Intelligenz bilden einen vergleichsweise schlanken Stamm, aus dem dünnere Äste ragen. Die Krone bleibt schlichter, karger.

      VOR ALLEM UNTER BILDUNGSFORSCHERN und Psychologen genießt dieses Modell eine breite Unterstützung und stellt das Fundament für die meisten gebräuchlichen Intelligenztests. In diesen Tests wird die Geistesstärke unter anderem dadurch gemessen, dass Probanden Rechenaufgaben lösen, Reimwörter finden, Buchstabenfolgen ergänzen oder eine Reihe unterschiedlicher Muster sinnvoll um ein weiteres Symbol vervollständigen.

      Dabei hat sich gezeigt, dass wir uns Daten und Zusammenhänge je nach Tagesform mal besser, mal weniger gut merken können. Sind wir beispielsweise müde, vermögen wir uns schlechter zu konzentrieren, und unser Verstand lässt nach.

      Fühlen wir uns überarbeitet, ist unser „Arbeitsgedächtnis“ kleiner: Wir können dann nicht mehr so viele Informationen wie sonst gleichzeitig im Kopf behalten – was dazu führt, dass uns komplexe Denkvorgänge mehr Mühe bereiten.

      Ansonsten aber ist die allgemeine Intelligenz eines Menschen

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