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war eine feste Zusage geworden.

      Schlimmer als der Unmut des Präsidenten, sollte sich die Fertigstellung erneut verzögern, wäre der Unmut Seths, seines Vorgesetzten bei der Organisation. Dieser legte Wert auf ausgezeichnete Beziehungen zum Kreml. Ein Versagen könnte zu einer Degradierung im Ranking führen. Pushka stieß schnaubend den Atem aus der Nase. Er war Senior Vice President Asien, die Nr. 3 der Welt! Er hatte anderes zu tun, als Lappalien zu managen. Es gab Probleme mit den 30 Grjasew-Schipunow Maschinenkanonen für die angolesischen MiG-21-Kampfflieger. Verschleißerscheinungen bei den Kanonenrohren. Doch er, Andrej Pushka, hatte seine Beziehungen spielen lassen. Die eidgenössische Rüstungsanstalt HAB, die Helvetica Arma Bellica, würde dieses Problem für ihn lösen. Ihm konnte niemand etwas vormachen. Er war der Seelsorger der Waffenlobby, der Weltmeister des illegalen Waffenhandels.

      Pushka dachte ans Essen. Italienisch. La Jar Grigori. Das beste Restaurant in Moskau. Eine der ersten Adressen für die 77 Milliardäre der Stadt. Natürlich auch für die 100 000 Millionäre. Mindestens einmal in der Woche war er dort. Manchmal in weiblicher Begleitung. Dann deutlich jünger und schöner als er.

      Aus einem Salon erklang Zigeunermusik und es roch nach Weißem Trüffel, frischer Pasta und heißem Olivenöl, als er an diesem Abend zu seinem Tisch schritt. Italienische Woche. Pushka neigte seinen Kopf – fettige Haare fielen links und rechts des Mittelscheitels in Strähnen nach unten – und strich sich über seinen langen, krausen Vollbart. Ein vorbeieilender Kellner bekreuzigte sich verstohlen. Pushkas tiefliegende, stechenden Augen geisterten über »Il menu.« Wenn es ums Trinken und Essen ging, entschied er sich nur für das Beste. Zum Aperitif ließ sich Pushka eine Flasche Henriques & Henriques Sercial 1971 bringen.

      Als die Gänge kamen, schnupperte er intensiv an jedem. Das Essen war vorzüglich.

      Gerade als er das Dessert beendet hatte, setzte sich Restaurantmanager Eduard Damke an seinen Tisch und schob ihm einen Zettel zu.

      »Andrej, es ist für mich immer eine Ehre und Freude, wenn du uns besuchst. Ich habe erst gestern ein außergewöhnliches Rezept aus der Schweiz erhalten. Ich dachte, du möchtest es vielleicht einmal selbst ausprobieren.«

      Die unsicheren Blicke der anderen Gäste nahm Pushka unbewegt zur Kenntnis, als er das Rezept einsteckte.

       Donnerstag, 12. Dezember, 18:00 Uhr,USA, New York, Brooklyn, Southwest Street

      Das schmale, einstöckige und hundertjährige Haus aus rotem Backstein lag direkt neben dem Prospect Park, auf dessen Gelände im Jahre 1776 in der größten Schlacht des Unabhängigkeitskrieges Hunderte Soldaten ihr Leben gelassen hatten.

      Davies Paille fragte sich zum wiederholten Mal, ob es irgendetwas geben konnte, das es wert war, das Leben anderer dafür zu opfern, wie Könige und Regierungschefs es seit Jahrtausenden taten. Das eigene Leben? Ja, es gab höhere Ziele, die das rechtfertigten. Aber das von anderen? Davies schüttelte den Kopf.

      Als er sich auf seine Baumwollmatte setzte, war er gänzlich im Hier und Jetzt. Sein Körper fühlte sich wohl, Freude stieg in ihm auf und achtsam atmete er ein und aus. Er war sich seiner Augen, Ohren, seiner Nase und Zunge, überhaupt seines Körpers und seines Geistes vollkommen bewusst. Davies folgte seinem Atem tiefer hinab. Ein stiller Frieden schritt auf ihn zu, umarmte ihn. Glück und Schmerz lösten sich hinter ihm auf. Im Zustand der absoluten Leere manifestierten sich unzählige andere Wesen. Menschen, Tiere, Moose, Gräser, Steine und sogar Mineralien. Er war alle und alle waren er. Alles wurde Eins und Eins wurde Alles. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er sah die Entstehung und Zerstörung Tausender Sterne und Welten. Wie zahllose Lebewesen durch zahllose Geburten und Tode hindurchgingen. Er fühlte ihre Freuden und ihre Leiden. Ihm wurde offenbart, dass Verstehen und Liebe eins waren. Und beides zu Achtsamkeit, richtigem Denken, Reden und Handeln führte. Wesen stiegen in ihm auf, die litten, weil sie nicht wussten und verstanden, dass sie mit allen anderen verbunden und abhängig von ihnen waren. Eine Unwissenheit aus der Angst, Zweifel und Eifersucht, Überheblichkeit, aber auch Zorn und Gier entstanden.

      Eine erste, spontane Erkenntnis der Wirklichkeit hatte Davies vor 150 Jahren gewonnen. Infolge einer Prüfung in einer Höhle in der Schweiz. Diese Erfahrung brachte ihm erste Ruhe. Danach vertiefte er seine Einsicht über Jahrzehnte hinweg meditativ und geduldig bis zu seiner Selbstvollendung. Bis zur totalen, beständigen Erleuchtung.

      In langen Jahren kämpfte er an vielen Fronten für das Gute. Zuletzt als Rechtsanwalt. Dann gab er diesen Beruf auf. Nicht, dass ihm der Kampf für die Rechte von Diskriminierten gleichgültig geworden wäre. Nur welchen Wert hatte es, Menschen vor Gericht zu vertreten, wenn die Menschheit sich selbst durch ihre falsche Weltanschauung, ihre kriminellen Machenschaften und insbesondere durch ihren zerstörerischen Umgang mit der Erde in den Untergang führte?

      Am Tag als er seine Kanzleiräume kündigte, war ein letzter Klient bei ihm aufgetaucht. Charly. New York hatte die Errichtung einer Dekompostierungsanlage als unwirtschaftlich und zu teuer abgelehnt. Obwohl von den 10 500 Tonnen Müll, die in New York täglich anfielen, rund 3200 für eine Dekompostierung geeignet waren. Charly hatte ihm erklärt, dass weltweit jährlich 1,3 Milliarden Tonnen Abfall produziert wurden, Tendenz steigend. Mehr als 40% davon wanderten auf nichtüberwachte oder illegale Deponien. Schädliche Abfallstoffe wurden ausgeschwemmt, liefen in Flüsse und Meere, versickerten im Grundwasser oder wurden vom Wind verweht. Mit Müll verstopfte Abflüsse führten zu Überschwemmungen. Und die Abfalldeponien gaben – nebst dem Treibhausgas Methan – giftige Gase wie Schwefelwasserstoff, halogenierte Kohlenwasserstoffe wie Vinylchlorid und Stickstoffmonoxid in die Atmosphäre ab, die zu Krebs und weiteren Krankheiten führten. Nur 30% des amerikanischen Mülls wurden recycelt.

      Davies nahm den Fall nicht an. Er hatte genug von Kämpfen, die auf dem Papier ausgefochten wurden. Kämpfe, die sich jahrelang hinzogen und deren Siege sich letzten Endes zu oft unlautere Prozessgegner erkauften. Stattdessen ging er bei Charly in die Lehre. Er wollte etwas Praktisches gegen die Umweltzerstörung tun. Etwas Greifbares, etwas rasch Wirksames, etwas, das Hebel- und Signalwirkung hatte. – Innerhalb weniger Jahre baute Davies die größte Kompostanlage der USA auf, die ohne schweres Gerät, nur mit menschlicher Arbeitskraft und Sonnenenergie betrieben wurde. Sein langfristiges Ziel waren autarke Städte, die in engen Netzwerken kleiner kommunaler Kompostanlagen organisches Material nachhaltig rezyklierten. Nachbarn, die gemeinsam ihre Lebensmittelabfälle von Hand kompostierten. Davies war überzeugt, dass lediglich Unwissenheit um die Gefährlichkeit und Entsorgung des Abfalls zu der enormen Müllerzeugung führte. Und dass die Menschen ihr Verhalten ändern würden, wüssten sie nur über alles Bescheid. Aufklärung tue Not. Davies klärte sie auf. Natürlich war das gewissen Leuten ein Dorn im Auge. Denen, die mit der Müllentsorgung eine horrende Menge Geld verdienten. Jetzt war er derjenige, der mit Klagen überzogen wurde, wegen angeblicher Mängel im Bau, Verstößen gegen das Arbeitsrecht und anderen unhaltbaren Vorwänden.

      Davies saß aufrecht auf seiner Matte, seine Bauchdecke hob und senkte sich, er atmete tief und regelmäßig. Der Strom der Lebensenergie floss durch ihn, nahm ihn mit, tiefer und tiefer hinunter, zum Wesen allen Seins. Er erkannte, dass Geburt und Sterben nur äußere Erscheinungen waren und nicht wahre Wirklichkeiten. So wie sich unaufhörlich Millionen Wellen und Tropfen auf der Oberfläche des Meeres bildeten und wieder zusammenfielen, währenddem das Meer selbst über jegliches Entstehen und Vergehen erhaben war. Dann erlosch jede Wahrnehmung, jede Vorstellung und jedes Gefühl in ihm.

       Freitag, 13. Dezember, 6:15 Uhr,Cappellen, Weiler Hübeli

      Der Radiowecker plärrte pünktlich los und weckte Rhea und Heinrich mit:

      »I’ll be home for Christmas …«

      Danach kam eine Meldung der Kantonspolizei: »Seit einigen Monaten fallen im Wildschutzgebiet Schwarzer Forst immer wieder Tiere einem Wilderer zum Opfer. Signalement des Unbekannten: Männlich, ca. 185 bis 190 cm groß, braune Haare, Drei-Tage-Bart, Brillenträger und leicht untersetzt. Der Täter fährt einen älteren gelben Kombi der Marke Opel Kadett. Vorsicht, der Täter ist aggressiv und bewaffnet. Er scheut sich nicht, in Richtung von Passanten zu schießen, falls er gestört wird. Für Hinweise setzt die Polizei eine Belohnung von 2000 Schweizer Franken aus. Meldungen auf dem Polizeiposten Cappellen oder

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