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für die Lagerung radioaktiver Abfälle plante die Erkundung des Untergrunds zur Klärung eines potenziellen Tiefenlagers. Die Bauern sprachen von Enteignung des Ackerlandes, Sanitärinstallateur Thomaso Kessler von der Unmöglichkeit eines Lagers aufgrund wasserführender Sandsteinschichten, Elektriker Karl Borer von 3 Millionen Jahren radioaktiver Atommüll-Strahlung. Aufgrund der geologischen Probleme habe weltweit noch kein Land ein Endlager in Betrieb nehmen können. Die Gefahren sehe man an den bis Anfang der 1980er im Atlantik versenkten 115 000 Tonnen Atommüll. Die Fässer würden nun rosten und Radioaktivität ins Meer entweichen. Nur Bauer Ulrich Merck war der Meinung, er würde sein Land der NASRA zur Verfügung stellen, da liege vermutlich ein Heidengeld drin. Die Leute am Stammtisch schüttelten den Kopf. Jonas Raphael, vom Wochenblatt »Der Ruf von Cappellen«, machte eifrig Notizen. Nach einer weiteren Runde Bier kamen alle, außer Merck, zum Schluss, man müsse sich wohl oder übel mit den Grünen, welche an Ostern eine Velodemo gegen die Bohrungen planten, zusammenschließen. Der elegante Herr öffnete genau in dem Moment die Holztüre zur Gaststube, als der Meteor übers Hospiz schoss. Die Tische erzitterten. Die Biergläser kippten, als die Gäste hinauseilten und dabei den Ankömmling um ein Haar umgerannt hätten.

      Nur Paul blieb an der Theke stehen. Er schätzte den Mann mit dem markanten Gesicht und dem nach hinten gekämmten, dunklen Haar auf Mitte dreißig. Italiener vermutlich. Hatte was von Cary Grant. Schick gekleidet. Der Gast trug einen schwarzen Wildledermantel mit Biberfell. Darunter einen dunkelgrauen Zweireiher. Hellblaues Hemd und blaue Seidenkrawatte. Und sogar Manschettenknöpfe. Rasch trat der Gentleman auf den Wirt hinter der Schenke zu, stellte den Aktenkoffer hin, streckte ihm die Hand entgegen und grüßte ihn in einwandfreiem Deutsch:

      »Guten Abend Herr … Lüthy, nicht wahr?«

      »Grüessech Herr, ehm, …« Paul schaute ins Gästebuch:

      »Ist jetzt der Nachname Alfonso oder Gabriele?«

      Der Mann lächelte den Wirt an und antwortete:

      »Gestatten, Gabriele, Alfonso Gabriele. Italienischer Staatsbürger. Ich arbeite für die Italienische Botschaft. Im Konsulat in Bern.«

      Gabriele zog den Mantel aus, legte ihn gefaltet auf einen Stuhl, mit dem Label nach oben. Breoni. Eine Marke, die für Tradition und Geschichte stehe, war Gabrieles Meinung. Männergeschichte. Der Anzug eines Mannes, sage etwas über dessen Format und Charakterstärke aus, und Breoni sei eine Botschaft an den, der sie lesen könne. Ein richtiger Mann müsse eine gelassene und zeitlose Eleganz tragen, eine, die Leadership unterstreiche. Kleider von schwulen Designern seien etwas für Frauen, Weichlinge und Homosexuelle eben. Und Jeans gehörten ins Gartenhäuschen, vorausgesetzt, man habe keinen eigenen Gärtner, auch hätten Sneakers nur etwas in der Turnhallengarderobe zu suchen.

      Signore Gabriele holte seinen Diplomatenpass aus dem Koffer, legte ihn auf die Theke und eine Karte mit Goldrand darauf.

      »Und hier noch meine Visitenkarte.«

      Paul zog seine Brille hervor, putzte sie kurz und warf anstandshalber einen Blick darauf:

      ICE Istituto colossale per il Commercio Estero

      Ufficio Commerciale dell’Ambasciata d’Italia

      Vicedirettore Alfonso Gabriele

      Elfinstraße 14 · 2999 Berno – CH

      Tel.: 0041 (0)31 170 118 99 · Fax: 0041 (0)31 250 119 47

      E-Mail: [email protected]

      Der Wirt sah anerkennend zu Gabriele auf: »Oha, ein Direktor!«

      Es war das einzige Wort, das er auf der Karte lesen konnte. »Ja, Vizedirektor der ICE. Wir sind für die internationale Entwicklung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zuständig.«

      »Ja«, meinte Paul, »über Wirtschaftsbeziehungen weiß ich auch bestens Bescheid.«

      Gabriele setzte ein freundliches, distanziertes Lächeln auf, ohne über den Witz nachzudenken.

      Paul hatte Gabriele erwartet. Sein Koch, Sebastiano Conosciuto, hatte ihn schon vor rund einem Monat stolz informiert, dass ihn sein Cousin, ein Diplomat der italienischen Botschaft, besuchen würde.

      Nachdem Paul Lüthy das Anmeldeformular ausgefüllt hatte, nahm er den Zimmerschlüssel aus dem Fach und gab ihn Gabriele.

      Als er dem Italiener die Koffer in den ersten Stock hochtragen wollte, winkte dieser ab. Ihm wäre lieber, wenn er Sebastiano dieses Rezept bringen würde. Er wünsche dieses Mahl nachher als Abendessen.

      Paul öffnete das gefaltete Papier. Er war erstaunt, ja irritiert. Und neugierig. Warum brachte Gabriele seinem Cousin, einem italienischen Spitzenkoch, eine deutsche Anleitung für eine italienische Mahlzeit? Paul schüttelte den Kopf, als er las:

       Zutaten für eine Person

      1/4 EL Olivenöl

      1/2 Knoblauchzehe, klein geschnitten

      2 Kleinere frische Tomaten, klein geschnitten

      90 g Tomatenmark

      1/2 Salsiccia, gegrillt oder gebraten und geschnitten

      60 Gramm in Öl gebratene italienische Frikadellen

      1/4 EL Trockener Rotwein

      1/4 EL Zucker

       Zubereitung

      1. Das Olivenöl bei mittlerer Temperatur in einem Topf erhitzen.

      2. Die Knoblauchzehen beigeben und einige Minuten dünsten (nicht anbrennen lassen).

      3. Die Tomaten und Tomatenmark beigeben und 5 Minuten unter ständigem Rühren kochen.

      4. Die Salsiccia und die Frikadellen hinzugeben und gut umrühren.

      5. Den Rotwein und den Zucker je nach Geschmack zugeben.

      6. Den Herd auf kleine bis mittlere Temperatur stellen und mindestens 20 Minuten köcheln lassen. Des Öfteren umrühren.

      Paul zuckte mit den Schultern und brachte alles zu Conosciuto. Es nahm ihn Wunder, was dieser dazu sagen würde. Der kleine, glatzköpfige Koch mit der großen Nase strich die Hände an der Küchenschürze ab, die sein Bäuchlein kaschierte und warf einen Blick auf den Zettel. Dann lachte er lauthals:

      »Mein Cousin hält sich wohl für Don Vito Corleone.« Dann eilte er, immer noch lachend, an den Herd zurück. »Aber das wäre eine Nummer zu groß für ihn.«

       Donnerstag, 12. Dezember, 19:35 Uhr, Russland, Moskau,Avtozavodskaya Ulitsa, Block 23, Gebäude 86

      Der Prolog der Oper »La Calisto« drang aus Andrej Pushkas Büro, das sich in der hintersten Reihe einiger ehemaliger Fabrikhallen des Autowerkes Sawod imeni Stalina befand. In der Sowjetzeit hatte es ausschließlich Limousinen für die oberste Elite des Staates produziert.

      Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde die Autofabrik geschlossen und die Organisation hatte sie zu Tarnzwecken aus der Konkursmasse rausgelöst. Für ein Butterbrot. Die meisten Gebäude waren abgerissen worden. Auf dem 3 Hektar großen Werkareal entstanden Büros, Wohnungen, ein Krankenhaus der GAZPROM, ein Produktionszentrum für Duschtüren, ein Kunstzentrum … In einem Gebäudetrakt hatte sich sogar der Fußballklub Torpedo Moskau eingemietet.

      Nur in der Fabrikhalle Nummer 6 wurden nach wie vor klassische SIS-Limousinen hergestellt. Allerdings nur auf Bestellung. Als Verkaufsdirektor war Pushka höchstpersönlich dafür zuständig, dass die Fertigstellung des neuen präsidialen Staatswagens zum Ende des nächsten Jahres klappte. Dem Präsidenten der Russischen Föderation war es zuwider, in einem Mercedes-Benz kutschiert zu werden. Einer westlichen Karosse.

      In der letzten halben Stunde hatte Pushka deswegen einige Telefonate erledigt. Natürlich hatte er gedroht. Das konnte er gut. Drohungen wahr werden lassen ebenso. Diese Fähigkeiten waren an der Russischen Militärakademie verfeinert worden. Im Tschetschenienkrieg

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