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vieler Gemeinsamkeiten durch eine ausdifferenziertere Verbmorphologie vom Englischen abgrenzt. So seien im Niederländischen zum Beispiel auch VSO-Strukturen bei Fragesätzen möglich, wobei nicht darauf verwiesen wird, dass dies auch im Englischen für Fragesätze des Typs Does he love her? gilt. Dem Niederländischen wird also eine größere Wortstellungsvarianz zugesprochen als dem Englischen.22 Jenseits dieser Verbstellungsvarianzen dominiert im Niederländischen jedoch die Abfolge S>O. So verweisen die Autoren darauf, dass es im Englischen auch VOS- und OSV-Strukturen gibt, die im Niederländischen als VSO- sowie SOV-Sätze realisiert werden. Somit hätte Englisch ein höheres Varianzspektrum, weil hier sowohl SO- als auch OS-Strukturen möglich sind, das Niederländische hingegen fast ausschließlich von SO-Stellungen Gebrauch macht. Die Validität der Konstituentenfolge N>N als Indikator für S>O ist im Niederländischen deshalb besonders hoch. In den Ergebnissen spiegelt sich genau das wider: Unabhängig von der Testbedingung (NVN, NNV und VNN) wählen niederländische Probanden N1 sogar häufiger als Agens als englischsprachige Sprecher.

      Zusammenfassend lässt sich folgern, dass aus funktionaler Perspektive sowohl die Konstituentenfolge N>N als auch Kasusmarker der Abbildung kausaler Relationen zwischen Agens und Nicht-Agens dienen können. Im Niederländischen wird die semantische Rollenrelation fast ausschließlich anhand der Konstituentenabfolge, im Russischen anhand der Kasusmorphologie und im Deutschen anhand von beiden Verfahren kenntlich gemacht. Typologisch gesehen ist Deutsch im Vergleich zum Niederländischen und Russischen als eine Art Mischtyp zu betrachten. Gemeinsam ist den drei Sprachen die kanonische Abfolge S>O. Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Validität von Konstituentenabfolge und Kasusmarkern als Indikatoren für semantische Rollenrelationen. Im Folgenden wird basierend auf diesen Feststellungen einerseits diskutiert, wodurch die Gemeinsamkeiten zustande kommen und andererseits ausgeführt, wie die Unterschiede divergierende Satzverarbeitungsstrategien bewirken (s. Kapitel 3).

      2.3 Form-Funktions-Relationen in transitiven Sätzen – die kognitive Sicht

      Der Vergleich von Form-Funktions-Relationen hat gezeigt, dass es typologisch bedingte Unterschiede, aber auch zentrale Gemeinsamkeiten zwischen dem Deutschen, Niederländischen und Russischen gibt. Diese zunächst deskriptive Betrachtung typologisch variierender Form-Funktions-Paare soll im nächsten Schritt vertieft werden, indem im Kontext der Kognitiven Grammatik diskutiert wird, warum es spezifische Realisierungsmöglichkeiten gibt und warum sich einzelne mappings über die typologischen Grenzen hinweg ähneln. Zu den Ähnlichkeiten gehören neben der Basisabfolge S>O auch Kasussynkretismen an spezifischen Stellen im Deutschen und Russischen.

      Während die deskriptiv-funktionale Perspektive überhaupt formale Realisierungsmechanismen mit konkreten Funktionen verknüpft, geht die kognitive Perspektive einen Schritt weiter und sucht nach Erklärungen für sprachübergreifende Tendenzen. Entsprechend der Grundannahme der Kognitiven Grammatik wird davon ausgegangen, dass semantische Konzepte formalsprachlich abgebildet werden. Das Zusammenspiel zwischen der semantischen Konzeptebene und der formalsprachlichen Realisierung ist wiederum mental repräsentiert. Givón zufolge sind die kognitive Wissensrepräsentation zusammen mit der Kommunikation (also der sprachlichen Realisierung) dieser Wissensrepräsentation die „two mega-functions“ von Sprache (1998: 41). Das Ziel des kognitiv-funktionalen Ansatzes ist es, die semiologische Funktion von Sprache mit Konzeptualisierungsmechanismen zu verknüpfen: „Insofar as possible, linguistic structure is analyzed in terms of more basic systems and abilities (e.g., perception, attention, categorization) from which it cannot be distinguished“ (Langacker 1998: 1). Sprachliche Musterbildung ist, so die Folgerung, stets Resultat kognitiver Prozesse.

      Eine Grundidee der Kognitiven Linguistik ist die Annahme, dass kognitiv verankerte semantische und formale Prototypen existieren. Dabei wird angenommen, dass Sprecher Lexeme oder grammatische Strukturen nicht einzeln speichern, sondern diese in Hinblick auf spezifische Merkmale analysieren, bündeln und um einen Prototyp herum anordnen. Die Auseinandersetzung mit der kognitiven Repräsentation von Prototypen geht auf umfangreiche empirische Studien von Rosch (1973, 1977, vgl. auch Kleiber 1993 sowie besonders Taylor 1995 und Lakoff 1999) zurück. Rosch konnte mittels einer Reihe von Experimenten zeigen, dass Sprecher bestimmte Objekte (zum Beispiel Vögel, Möbel) in Hinblick auf ihre Eignung als Vertreter einer Kategorie hierarchisieren. Die Probanden ihrer Studien waren sich in der Bewertung der Objekte sehr einig. So wurde von der überwiegenden Mehrheit ein Rotkehlchen als der beste Vertreter der Kategorie Vogel ausgewählt, der Strauß und der Pinguin hingegen als weniger gute Repräsentanten eingestuft. Rosch folgert daraus, dass Sprecher erfahrungsbasiert abstrakte Kategorien ausbilden, die durch einen prototypischen Vertreter dieser Kategorie repräsentiert sind. Dieser zeichnet sich durch eine Reihe spezifischer Eigenschaften aus, die unterschiedlich stark gewichtet werden können (vgl. Lakoff 1999, Geeraerts 1989). Ein Prototyp wird dabei als der beste Vertreter einer Kategorie (vgl. zum Beispiel Lewandowska-Tomaszczyk 2007) definiert. Betrachtet man diese generellen Überlegungen aus einer funktionalen Perspektive, fndet sich erneut das mapping-Prinzip wieder. Ein spezifisches Konzept wird mit einer konkreten Form verknüpft. Im Fall von Roschs Experimenten verfügen Sprecher über eine bestimmte Vorstellung eines Vogels. Diese Vorstellung ist am besten durch ein Rotkehlchen repräsentiert.

      Die Existenz abstrakter und kognitiv repräsentierter Prototypen führt Rosch zufolge zu Prototypeneffekten. So werden zum Beispiel prototypische Kategorienmitglieder bei Kategorisierungsaufgaben schneller verarbeitet und früher erworben als periphere Mitglieder (vgl. zu letzerem Aspekt Ibbotson/Tomasello 2009). Besonders in Hinblick auf Verarbeitungsprinzipien werden Prototypikalität und Informationsverarbeitung (processing) sowie Lernprozesse als interdependente Prozesse betrachtet (vgl. Rosch 1978). Informationsverarbeitung wird dabei aus kognitiver Sicht als der Abgleich eingehender Informationen jeglicher Art (visuell, auditiv etc.) mit existenten abstrakten Mustern verstanden. Langacker (1987) bezeichnet diesen Prozess als Überprüfung von category membership. Roschs Entdeckungen erfassen deshalb eine der zentralen kognitiven Fertigkeiten überhaupt: kognitive Kategorisierungsprozesse. Auf der Basis dieser Erkenntnis folgert Lakoff (1987: 5): „There is nothing more basic than categorization to our thought, perception, action, and speech“. Wissenserwerb fußt diesem Ansatz zufolge auf der Ausbildung von Kategorien, die wiederum dem Prinzip der Prototypenausbildung folgen. Dass der Mensch überhaupt fähig zur Kategorienbildung ist, baut Langacker (2000a) zufolge auf der Basisfertigkeit des Vergleichens auf.

      Im Rahmen des kognitiv-funktionalen Ansatzes wird die Emergenz und Nutzung von Prototypen als grundlegende kognitive Fähigkeit verstanden, die wiederum eine zentrale Rolle in der Sprachentwicklung und -verarbeitung spielt. Sprecher entwickeln nicht nur Wissen zu prototypischen Vögeln oder Wortbedeutungen, sondern auch zu prototypischen Strukturen als Repräsentanten semantischer Konzepte.1 Dies wird zum Beispiel anhand der deutschen Pluralbildung deutlich. Köpcke (1993, 1994) nimmt an, dass das Deutsche über prototypische, also besonders häufige sowie valide Pluralschemata verfügt. Zweisilbige, auf -(e)n auslautende Lexeme (zum Beispiel Katze-n) entsprechen solch einem idealen Pluralrepräsentanten. Weist ein Lexem diese Eigenschaften im Singular auf, führt dies dazu, dass keine Formveränderung mehr im Plural stattfindet. Das Becken wird im Plural zu die Becken-ø, auf eine zusätzliche morphologische Pluralform wird verzichtet. Köpcke zeigt weiterhin, dass sich die zahlreichen Pluralformen im Deutschen auf einer Prototypenskala anordnen lassen. Je mehr eine Wortform einer prototypischen Singularform ähnelt (dazu zählen vor allem Monosyllabia wie Buch, Wand, Mann), desto wahrscheinlicher ist es, dass sie im Plural ihr ‚Aussehen‘ verändert und zu einer pluralischen Wortform gemacht wird. Die Pluralformen selbst sind ferner hierarchisierbar, sodass im Deutschen zwischen guten und weniger guten, also peripheren Pluralmarkern differenziert werden kann. Zu letzteren gehört zum Beispiel ein einfaches Schwa als Pluralendung (der Winddie Winde). Der -e-Plural ist deshalb kein zuverlässiger Indikator für einen Plural, weil das Deutsche über zahlreiche Singularformen verfügt, die auf einem Schwa auslauten (zum Beispiel Matte, Kette, Junge). Zwei Funktionen (Einzahl vs. Mehrzahl) konkurrieren somit um eine Wortform (= ‚2-Silber auf -e‘). Müsste ein Sprecher einem unbekannten Lexem des Typs ‚2-Silber auf Schwa‘ eine Numerusform zuweisen, würde er sich vermutlich für den Singular entscheiden. Müsste hingegen die Kategorienzugehörigkeit bei einer Wortform

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