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Kriterien zur funktionalen Analyse der Erzählperformances und Teil 2 des Fünf-Dimensionen-Modells erarbeitet (4.5.2). Kapitel 4.6 stellt die Potenziale der performativen Dimension im Gesamtzusammenhang dar.

      4.1 Erzählen als Performance (1): die Aufführung als Ereignis

      Das folgende Kapitel erfasst das mündlich-verbale Erzählen aus der Perspektive einer Aufführung. In der theater- und literaturwissenschaftlichen Literatur (Fischer-Lichte 2005a: 16, 22, Pfister 2004: 516f.) wird der Begriff der Aufführung schwerpunktmäßig auf Veranstaltungen im öffentlichen Raum und auf Theateraufführungen oder Konzerte angewandt. Die Auffassung vom mündlichen Erzählen als Aufführung im Fremdsprachenunterricht ist im Augenblick noch eher ungewöhnlich, im Rahmen der aktuellen Diskussion um den performativen Fremdsprachenunterricht (Hallet 2010c, Surkamp / Hallet 2015, Schewe 2011, 2015 und Kap. 11.3.1 der Studie) jedoch von großem Interesse.

      Um die Erkundung des performativen Potenzials für den Fremdsprachenunterricht mithilfe des Aufführungsbegriffs durchführen zu können, werde ich im Rekurs auf die Performancetheorie Fischer-Lichtes ein Konzept für das mündliche Erzählen als Performance und als Aufführung entwickeln und an jeder Station der Konzeptentwicklung die Frage nach der Übertragung auf die Unterrichtssituation klären.

      4.1.1 Der Performance- und der Aufführungsbegriff

      Zentral für die Klärung des Performancebegriffs ist die Unterscheidung aus sprachwissenschaftlicher und aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Aus sprachwissenschaftlicher, auf Austin zurückzuführender Perspektive (Bußmann 2008: 514f, Fischer-Lichte 2004: 31, 2005b: 234) wird mit Performanz die individuelle Sprachverwendung (im Gegensatz zur Kompetenz, der allgemeinen Fähigkeit zur Sprachverwendung) bezeichnet. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive wird Performance bzw. Performativität unterschiedlichen Aktionen in unterschiedlichen Handlungsfeldern wie z.B. dem Theater, der bildenden Kunst, Konzerten, Festlichkeiten, Wettkämpfen sowie rituellen, aber auch alltäglichen Handlungen zugeschrieben. Beide Perspektiven bezeichnet Pfister als die „beiden semantischen Hauptachsen <Ausführung> und <Aufführung>“ (Pfister 2004: 516). Fischer-Lichte unterscheidet zwischen drei Konzepten:

       erstens einem schwachen Konzept, das „die Handlungs- und Gebrauchsdimension von Sprache“ (Fischer-Lichte 2005b: 234) meint,

       zweitens einem starken, das sich bezieht „auf eine Äußerung, die das, was sie bezeichnet, zugleich auch vollzieht“ (a.a.O.), also auf eine performative Äußerung in einem illokutionären Sprechakt,

       drittens einem radikalen Konzept, das „auf die Fähigkeit des Performativen, eine operativ-strategische Funktion zu erfüllen […]“ (a.a.O.) verweist.

      In dieser Funktion wird das Performative seit der performativen Wende in den 90er Jahren als Ausdruck für kulturelle, als Aufführung inszenierte Handlungen verwendet: „Die Metapher von <Kultur als Performance> begann ihren Aufstieg.“ (Fischer-Lichte 2005b: 237)

      Den Begriff der Aufführung definiere ich im Rekurs auf Fischer-Lichte (2005a: 16) wie folgt:

      Unter Aufführung wird ein Ereignis verstanden, das zu einem bestimmten Anlass an einem verabredeten Ort zur verabredeten Zeit stattfindet und „aus der Konfrontation zweier Gruppen von Personen hervorgeht.“ (Fischer-Lichte 2005a: 16) Beide Gruppen teilen sich die Rollen der Akteure und der Zuschauerinnen und Zuschauer und „durchleben“ (a.a.O.) das Ereignis gemeinsam. Die Rollen sind klar getrennt, ein Rollenwechsel ist jedoch möglich. Die Bedeutungserzeugung erfolgt im Augenblick des Ereignisses aus der Kommunikation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und deren Wahrnehmung des Geschehens. Die Besonderheit der Kommunikation in einer Aufführung besteht in ihrer Medialität und Materialität einerseits, in der Semiotizität der zum Einsatz kommenden Zeichen sowie dem ästhetischen Prinzip der Verwandlung andererseits. Darüber hinaus wird der Charakter der Aufführung bestimmt durch den Grad an Öffentlichkeit bzw. Privatheit der Aufführung, durch die o. g. und weiteren kontextuellen Faktoren, die als Rahmen der Aufführung dienen, sowie durch das Inszenierungs- bzw. Aufführungskonzept.

      Der Öffentlichkeitscharakter von Aufführungen wird von Seiten der Theatersoziologie und teilweise auch der Mündlichkeitsforschung als unabdingbare Voraussetzung bzw. als eines ihrer wesentlichen Charakteristika (Rapp 1973: 175, Zumthor 1983: 40) angesehen. Meiner Studie werde ich einen weiten Aufführungsbegriff zugrunde legen, der auch Veranstaltungen, die in halb-öffentlicher, d.h. auch in institutioneller Sphäre1 stattfinden, als Aufführungen ansieht, soweit sie die o. g. Prinzipien realisieren. Der weite Aufführungsbegriff ist m. E. aus zwei Gründen gerechtfertigt: Erstens ist der Öffentlichkeitscharakter einer Aufführung im einzelnen Klassenzimmer zwar eingeschränkt dadurch, dass der Teilnehmerkreis geschlossen ist, aber das einzelne Klassenzimmer ist Teil eines größeren Ganzen. Nachrichten von den in geschlossenen Klassenzimmern angewandten Lerninhalten und -methoden dringen nach außen, in die Schulöffentlichkeit hinein und auch über die Grenzen der einzelnen Schule hinaus, und sie sind von öffentlichem Interesse. Insofern ist auch hier Öffentlichkeit hergestellt. Zweitens stellt der Öffentlichkeitscharakter nur einen der Einflussfaktoren dar, die den Rahmen der Aufführung bilden. Es wird darum gehen, die eingeschränkte Öffentlichkeit einer Aufführung im Klassenzimmer zu berücksichtigen und diesen Faktor zusammen mit anderen, vom schulischen Kontext vorgegebenen Rahmenfaktoren in den Blick zu nehmen und deren Einfluss auf die Realisierung der Erzählperformances festzuhalten (Kap. 4.4.1).

      Das Performative definiere ich im Rekurs auf Fischer-Lichte (2005b: 234) und Pfister (2004: 516-518) wie folgt:

      Das Performative wird gefasst als die Eigenschaft von Handlungen, im Augenblick ihres Vollzugs sichtbar, beobachtbar und wirksam zu werden. Mithilfe des Performativen können Absichten und Wirklichkeiten dargestellt (z.B. durch Gesten, Gestikulieren, alltäglichen Gebrauch von Gegenständen) oder konstituiert (z.B. durch Erschaffen von Gegenständen, Tatsachen u.a.m.) werden. Das Performative kann auch dazu dienen, über alltägliche Absichten und Wirklichkeiten hinauszuweisen (z.B. durch ästhetische Gestaltung und / oder die Grenzen von Alltag und Kunst überschreitende performing arts). Im ersten Fall wird das Performative im alltäglichen, in letzte­rem im kulturell-ästhetischen Zusammenhang realisiert. In jedem Fall bewirkt die Realisierung des Performativen eine Transformation, sei es von Zuständen, Gegenständen, Werken, Personen oder von Beziehungen zwischen Personen.

      Den Begriff der Performance verwende ich in meiner Studie ausschließlich für inszenierte Handlungen in kulturell-ästhetischem und pädagogischem Zusammenhang und definiere die Performance ebenfalls im Rekurs auf die o. g. Fachliteratur wie folgt:

      Unter einer Performance wird eine gestaltete Präsentation verstanden, die das Performative je nach Zielsetzung, ästhetischem Konzept, Art der performativen Kunst und dem Aufführungsrahmen in unterschiedlicher Ausprägung realisiert. Das eine Extrem der Ausprägung bildet ein traditionelles, an der psychologisch-realistischen Theatertradition orientiertes2 und das andere ein radikales, der postmodernen Avantgarde verpflichtetes Inszenierungskonzept3.

      Allgemeine Charakteristika von Performances sind Plurimedialiät und Theatralität der Gestaltung, eine intensive Beziehung zwischen Akteuren und Publikum, die Betonung des Augenblicklichen, Flüchtigen, aber auch der Materialität der Performance und eine prozesshafte Gestaltung, die den Willen zur Grenzüberschreitung, sei es im Bereich des Medialen, des Materialen oder der Beziehung zum Publikum zumindest nicht ausschließt.

      Performances können sich ästhetisch-künstlerisch als Erzähl-, Tanz-, Musik-, Ausstellungs-, Theater-Performances konstituieren bzw. die o. g. Darstellungskünste kombinieren oder als Aktionskunst bzw. body-art4 in Erscheinung treten und damit eine Form annehmen, die den o. g. Künsten nicht eindeutig zuzurechnen ist.

      Als erstes Ergebnis der Recherche des Potenzials mündlichen Erzählens als Performance und als Aufführung lässt sich festhalten:

      1 Ein wesentliches Charakteristikum sowohl der Aufführung als auch der Performance ist das Ereignis.

      2 Das

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