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dem Wolfschen Modell zugrunde liegenden konzeptionellen Entscheidungen und die Konstituenten des Modells liefern für die Erkundung des Erzählpotenzials folgende Impulse:

       Sie eröffnen Möglichkeiten, das Potenzial des Narrativen sowohl strukturell zu erfassen als auch seine Manifestationen in konkreten Werken zu beobachten und zu analysieren. Neben der transmedialen Konzeptualisierung bietet das Wolfsche Modell Anregungen für die Analyse intermedialer Prozesse, die in den zu untersuchenden Erzählstunden zum Tragen kommen (Kap. 9.2.2.2).

       Sie liefern Anregungen für eine mehrdimensionale Recherche des Erzählpotenzials. Die Öffnung des Konzepts gegenüber den pragmatischen, werkexternen Aspekten macht das Konzept in besonderem Maße geeignet, seine Kategorien zur Analyse konkreter sprachlicher Werke und damit zur Analyse des empirischen Materials des Fremdsprachenunterrichts zu nutzen.

       Der kognitive Ansatz des Modells bietet Anregungen, die (fremd-)sprachlichen kommunikativen Aktivitäten der Lernenden als ‚Narrativierungsleistungen‘ aufzufassen und den Umgang mit den Stimuli des Narrativen zu beobachten und zu analysieren. Aus diesem Grund werde ich diese von Wolf gebrauchte Kategorie zur Bezeichnung der narrativen Aktivitäten der Lernenden verwenden.

       Der funktionale Ansatz des Modells liefert für die empirische Analyse der Studie besonders fruchtbare Impulse. So werden die verbalen und non-verbalen kommunikativen Tätigkeiten von Lehrenden und Lernenden nicht nur unter werkinternen Aspekten betrachtet, sondern auch als Manifestationen von Funktionen des Narrativen – u.a. seiner sozialen und kommunikativen Funktion – aufgefasst und unter diesem Aspekt beobachtet.

       Der prototypische Ansatz liefert Anregungen für den Umgang mit prototypischen Elementen des Narrativen im Hinblick auf die Auswahl und Aufbereitung der Erzähltexte durch die Lehrkräfte und auf die Planung und Durchführung ihrer Erzählprojekte.

       Die mit dem prototypischen Ansatz verbundene Auffassung von der Graduierbarkeit des Narrativen liefert im konzeptionellen Teil Anregungen zur Erarbeitung des Erzählens als narrativer Vermittlungsform zwischen dem epischen und dramatischen Erzählen, im empirischen Teil u.a. zur Analyse von Narrativierungsleistungen der Lernenden.

      Aufgrund der vielfältigen Impulse werde ich das intermediale Erzählmodell von Wolf als Referenzmodell zur Entwicklung des Potenziale-Modells (Kap. 2.1.2, Kap. 7) nutzen.

      3.2 Mündlich-verbales Erzählen (1): (Re-)Konstruktions- und Interaktionsprozesse beim Gebrauch der Diskursform

      In Kapitel 3.2 wird zunächst der zugrunde gelegte Diskursbegriff (3.2.1) erläutert, um auf dieser Basis die interaktionelle Gesprächsstruktur und die interaktionellen Aufgaben (3.2.2) zu beschreiben. Abschließend (3.2.3) wird das Prinzip der Erzählwürdigkeit erläutert und dessen Bedeutung für den narrativen Diskurs im Fremdsprachenunterricht erörtert.

      3.2.1 Erzählen als Diskurseinheit

      In Abgrenzung zu einem weiten, vor allem in der Semiotik zum Tragen kommenden Textbegriff, der jedes eingrenzbare Segment einer Botschaft oder jegliche in einem kulturellen System gesendete Nachricht (Volli 2002: 79, Bußmann 2008: 719) oder, weniger weit, sowohl mündliche als auch schriftliche sprachliche Äußerungen als Texte begreift (Lewandowski 1994: 1153ff., Vater 2001: 14, Heinemann / Heinemann: 2002: 97, Bußmann 2008: 719), nehme ich eine für meinen Forschungszusammenhang funktionale Trennung zwischen den Begriffen Text und Diskurs vor und fasse unter ‚Text‘ lediglich schriftlich-verbale, unter ‚Diskurs‘ mündlich-verbale Äußerungen (Quasthoff 2001: 1302, Ehlich 2007: 4, Bußmann 2008: 141). Für meinen Forschungszusammenhang entscheidend ist ein in der Pragmatik vorzugsweise auf die mündliche Kommunikation bezogener Diskursbegriff, wie ihn Ehlich formuliert:

      In der Pragmatik wird er [der Begriff Diskurs: Einfügung durch Verf.] zur Bezeichnung von strukturierten Ensembles von Sprechhandlungen verwendet, die aus einfachen oder komplexen Sprechhandlungsfolgen bestehen. Diese setzen sprachliche Handlungsmuster oder ihre systematische Kombination zu größeren kommunikativen Einheiten kommunikativ um. Die Strukturiertheit dieser kommunikativen Formen bestimmt sich über die Zwecke der daran beteiligten sprachlichen Handlungen und ihrer spezifischen Integration. So entstehen Diskursarten. (Ehlich 2007: 4)

      Um bei der Analyse des empirischen Materials die im fremdsprachlichen Klassenzimmer hervorgebrachten Diskurse voneinander abzugrenzen und die narrativen Diskurse zu identifizieren, teile ich, Ehlich folgend, die Diskursarten in Sprechhandlungssequenzen (z.B. Frage-Antwort-Sequenzen) vs. Sprechhandlungsverkettungen (z.B. Vortrag, Bericht, Erzählung) und in unterschiedliche Diskurstypen wie argumentative, explizierende, narrative etc. Typen ein (s. auch Werlich 1975: 30ff.). Den von Quasthoff privilegierten Begriff der „narrativen Diskurseinheit“ (Quasthoff 2001: 1300) verwende ich synonym für narrative Sprechhandlungsverkettungen, vor allem dann, wenn diese Einheiten aus den klassenzimmerspezifischen Sprechhandlungen heraus zu lösen sind1.

      Die von der Gesprächslinguistik (Gühlich / Hausendorf 2000, Quasthoff 2001) gelieferten Untersuchungen mündlichen Erzählens bieten geeignete Instrumente zur Identifikation und zur Analyse narrativer Diskurseinheiten2 aus interaktioneller Perspektive. Von besonderem Interesse sind die Betonung des gemeinsamen Aufbaus der narrativen Tätigkeit, die als eine „gemeinsame Leistung der beteiligten Partner“ (Quasthoff 2001: 1301) angesehen wird, und die Vergabe der Rollen und der narrationsspezifischen Aufgaben an die Akteure auf der Basis der folgenden Definition narrativer Interaktion:

      Erzählen im interaktionstheoretischen Sinn ist eine Form der verbalen Aktivität, die mindestens zwei Teilnehmer gemeinsam und aufeinander zugeschnitten kontextualisierend betreiben, indem sie für sich wechselseitig deutlich die Rollen Erzähler und Zuhörer installieren. (Quasthoff 2001:1300)

      Von den sie umgebenden Sprechhandlungssequenzen grenzen sich nach Quast­hoff die narrativen Diskurseinheiten ab durch folgende Merkmale:

       Sie werden eingeleitet und abgeschlossen durch Gliederungselemente, sog. „discourse markers“ (a.a.O.) und weisen ein spezifisches Strukturschema auf.

       Sie realisieren das „Prinzip des primären Sprechers“ (Quasthoff 2001: 1300 im Rekurs auf Wald 1978), was eine „eine spezielle Variante des Spre­cherwechsels“ (a.a.O.) darstellt.

      Zur Identifikation der von den Lehrenden als „primären Sprechern“ verantworteten narrativen Diskurseinheiten eignen sich (Kap. 3.2.2) die von Quasthoff und Gühlich entwickelten Instrumente der Interaktionsanalyse. Zur Beschreibung der Schüleräußerungen bedarf es weiterer begrifflicher Klärungen. Hier ist es schwierig festzustellen, inwieweit Diskurseinheiten vorliegen und inwieweit überhaupt von einem ‚Erzählen‘ der Schüler gesprochen werden kann. Anregungen bietet der von Ehlich entwickelte Begriff des „Architerms“ (Ehlich 2007: 372). Ehlich versteht darunter einen die Vielfalt des Wortfeldes ‚Erzählen‘ neutralisierenden Oberbegriff und nennt ihn „Erzählen1“. Darunter subsummiert er die in der Alltagssprache als ‚Erzählen‘ bezeichneten unterschiedlichen sprachlichen Tätigkeiten wie das Erzählen2, Berichten, Mitteilen, Schildern, Beschreiben, Wiedergeben, Darstellen. Lediglich ‚Erzählen2‘ in der o. g. Reihe bezeichnet den Diskurstypen ‚Erzählen‘. Es wird zu untersuchen sein, ob diese unter dem Architerm ‚Erzählen2‘ subsummierten sprachlichen Aktivitäten im Anschlussgespräch an die Erzählperformances der Lehrenden zu identifizieren sind und welche Rolle sie darin spielen. Es wird auch zu untersuchen sein, welches besondere Profil sie ggf. diesem Unterrichtsdiskurs verleihen.

      3.2.2 Narrationsspezifische Aufgaben der Diskursteilnehmer

      Ausgehend von dem textlinguistischen und gesprächslinguistischen Zugriff auf das Erzählen ist es möglich, zum einen den „prozesshaften, sequenziell geord­neten Charakter“ (Quasthoff 2001: 1296) des mündlichen Erzählens zu erfassen, zum anderen die sprachhandelnden interaktiven Tätigkeiten der Diskursteilnehmer als spezifisch narrative zu identifizieren. Inspirierend für die Übertragung des Konzepts auf den Fremdsprachenunterricht ist auch die von Quasthoff vorgenommene Unterscheidung zwischen der

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