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dem Chorgesang spielte die Militärmusik in der Antike die Rolle unserer heutigen Trompeten und Trommeln und gab den Rhythmus für die gemeinsame Bewegung an. Marrou kommt zu dem Fazit, dass die gesamte antike Kultur und ihre Erziehung „mehr künstlerisch als wissenschaftlich [waren], und ihre Kunst war musikalisch, bevor sie literarisch und plastisch wurde. […] Derjenige, der (als Sänger und Tänzer zugleich) nicht in einem Chor seinen Platz ausfüllen kann, ist nicht wahrhaft erzogen.9“

      Damit wird der Chor als gemeinstiftendes Element und dessen erzieherische Dimension hervorgehoben. Die musikalische Schulung hatte so eine moralische und disziplinierende Komponente, die dazu beitrugen, „die Jugendlichen zur ‚Selbstbeherrschung‘ zu erziehen, sie gesitteter zu machen, indem er [der Unterricht, A. R.] mit Eurhythmie und Harmonie ihre Seele erfüllte.“10 Chorgesang und Tanz gehörten auch zwingend zur Teilnahme von Schülern an Feierlichkeiten sowie Zeremonien; diese nahmen einen wichtigen Rang im Schulkalender ein, sie wurden amtlich festgelegt und ihr Besuch galt als „heilige Pflicht“.11 Gesang, Tanz und Poesie bildeten damit die Grundpfeiler von Lehre und Unterricht. Die jungen Athener lernten zwei Instrumente: Lyra und Oboe. Oft gab es neben dem eigentlichen Schulmeister, der das Schreiben und Lesen vermittelte, einen speziell bestellten Lehrer für das Lyraspiel und Musiktheorie.

      Ein systematischer Fremdsprachenunterricht spielte während der Antike eine eher untergeordnete Rolle, da in vielen wohlhabenden Familien die Erziehung ihrer Kinder durch Ammen und Sklavinnen erfolgte. Es handelt sich hierbei um einen Erstspracherwerb und einen begleitenden Muttersprachunterricht in der griechischen Sprache. Marrou verweist auf die sorgfältige Auswahl der Kinderfrauen, „die Reinheit ihres sprachlichen Ausdrucks und ihrer Aussprache sollten dem Kind das Annehmen fehlerhafter Gewohnheiten ersparen, die man ihm später austreiben müßte.“12

      Der (Erst-)Spracherwerb wurde beim griechischen Kind musikalisch vor allem durch Wiegenlieder, aber auch Ammengeschichten gefördert (Äsops Tierfabeln, Geschichten von Zauberinnen und Mythen). Obwohl die Ammen eine wichtige Erziehungs- und Lehrfunktion erfüllten, finden wir jedoch „kein Bemühen, all dies in einem regelrechten Unterricht zusammenzufassen.“13 Auch der folgende private Unterricht ist mit der Anwendung der Muttersprache verbunden, in der Elementarschule war hierbei ein einfacher Sklave beauftragt, der das Kind bei seinen täglichen Gängen zur Schule und nach Hause begleitete.14 Der Elementarunterricht bediente sich auch musischer Elemente. So nennt das griechische Kind zunächst die 24 Buchstaben beim Namen (Alpha, Beta, Gamma etc.), ohne die Zeichen vor Augen zu haben. Danach zeigt man den Kindern ein Alphabet aus Großbuchstaben, die in mehreren Spalten geordnet sind. Die Kinder sagen diese Liste her, nach Marrou in einem singenden Ton.15 Hierbei wird Musik als ein mnemotechnisches Hilfsmittel angewendet. Seit dem 5. Jahrhundert hatte man zu diesem Zweck ein Alphabet in vier Trimetern komponiert. Es handelt sich um den Vorläufer der Alphabetlieder bzw. der heute gebräuchlichen grammar songs / chansons grammaticales. Außerdem wurden aus den Buchstaben des Alphabets Entsprechungen mit „kosmischen Elementen“ erstellt: Die sieben Vokale ordnete man den sieben Noten der Tonleiter und den sieben Engeln zu, die den sieben Planeten vorstehen.16 Mit der Lektüre eng verbunden war die Rezitation. Die Stücke wurden nicht nur gelesen, sondern auswendig gelernt.17 Marrou berichtet darüber, dass „wenigstens die Anfänger die Gewohnheit gehabt haben zu psalmodieren, indem sie Silbe für Silbe vor sich hersangen.“18

      Die römische Erziehung steht nicht nur in der Tradition der hellenistischen Erziehung, sie ist deren Fortsetzung, da Rom und Italien im Bereich der griechischen Kultur aufgingen. „Es gibt nicht hier eine hellenistische, dort eine lateinische Kultur, sondern […] nur eine ‚hellenistisch-römische‘ Kultur.“19 Der römische Adel ermöglichte seinen Söhnen eine allumfassende Bildung und das war für die Römer die griechische Ausbildung und Erziehung, die durch griechische Sklaven als Hauslehrer erfolgte. Es handelt sich hierbei um eine Art kommunikativen Unterricht mit dem griechischen Hauslehrer, um nicht nur die Aussprache, sondern die Kultur zu vertiefen. In den ersten Jahren lernte das römische Kind vom griechischen Hauslehrer oder der griechischen Amme griechisch zu sprechen, es handelt sich um eine Art direkte Methode. Latein wurde als weitere Erstsprache oder bisweilen auch erst als Zweitsprache vermittelt. Im Schulalter herrschte dann eine Diglossie-Situation. Das spiegelt sich in den zweisprachigen Schulbüchern zu Beginn des 3. Jahrhunderts, den Hermeneumata Pseudositheana20 wider. Hierbei handelt es sich um ein praktisches Handbuch zum Erlernen von Vokabeln mit einer Art Interlinearversion, die sowohl von Griechen als auch von Lateinern benutzt werden konnte. Die Texte in Dialogform sind in zwei Spalten aufgeteilt, wobei der griechische (Original-) Text links stand und die lateinische Übersetzung auf der gegenüber liegenden Seite. Die Anwendung von Musik im Unterricht wurde zurückgedrängt. Scipio Aemilianus spricht von Musik- und Tanzschulen nur in einer Kritik der Jugend für die „unanständige und schamlose Kunst,[…], die sich höchstens für Komödianten, aber nicht für Kinder von freier Geburt und erst recht nicht von senatorischem Rang schicke.“21 Somit kam es zu einer Abwertung des Einsatzes von Musik im Unterricht an römischen Schulen, das Studium von Musik wurde nur noch bei den jungen Mädchen als unterhaltende Kunst akzeptiert.22 Die musikalischen Künste gehörten zwar als notwendiger Bestandteil des Luxus und des eleganten Lebens zur Bildung, Musik und Tanz wurden jedoch reduziert oder zumindest vernachlässigt.

      In der Antike und im Mittelalter war der Musikunterricht noch in den Schulfächer-Kanon der sieben freien Künste (septem artes liberales) eingebettet. Hierbei bedeutet der Begriff „ars“ nicht „Kunst“ im heutigen Sinne, sondern „Technik, Fähigkeit, Wissenschaft“. Diese Bezeichnung „freie Künste“ geht vermutlich auf Seneca zurück, der diese gegenüber den „praktischen Künsten“ (artes mechanicae) in seinem 88. Brief aufwertet: „Quare liberalia studia dicta sunt vides: quia homine libero digna sunt.“ („Du siehst, warum die freien Künste23 so genannt werden: weil sie eines freien Menschen würdig sind“).24

      Martianus Capella bildet eine Brücke zum Mittelalter25 mit seinem um 400 erschienenen Werk De nuptiis Philologiae et Mercurii („Die Hochzeit der Philologie mit Merkur“). Die als Lehrbuch konzipierte Enzyklopädie hatte einen entscheidenden Einfluss auf das abendländische Bildungswesen. Die siebenbändige Enzyklopädie stellte den Kanon der sieben freien Künste dar.26

      In der Tradition von Capella wurden die freien Künste oft als weibliche Allegorien mit spezifischen Attributen präsentiert. Die Abbildung Sieben freie Künste27 zeigt einen Auszug aus der Handschrift Tübinger Hausbuch (um 1450). Von links nach rechts erkennt man Geometrie, Logik, Arithmetik, Grammatik (in der Mitte), Musik, Physik (anstatt der Astronomie), Rhetorik (Abb. 1). Die den Allegorien zugeschriebenen Attribute und deren Positionierung sagen etwas über die Wertigkeit und Bedeutung der Künste aus. An der Spitze steht die Gramatica, die als Majestät mit Krone, gewissermaßen als Krönung der scholastischen Künste, dargestellt wird. Anstelle des majestätischen Königsinsigniums Zepter hält sie eine Art Peitsche in der rechten und einen Reichsapfel in der linken Hand.

      Auf den spätantiken römischen Schriftsteller, Gelehrten und Staatsmann Cassiodor geht nicht nur der erste christliche mittelalterliche Lehrplan und die administrative Studienordnung (Institutiones28) zurück.29 Er gilt als Schöpfer der Einteilung der septem

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