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sollten in der Unterstufe „einzelne Lieder, deren Singweise in der Gesangsstunde eingeübt werden, auch gesungen” werden. Doch dürfte es sich in der Regel um Volks- und Kinderlieder gehandelt haben.105

      Diese spärlichen, ja parzellierten Hinweise zum Einsatz von musikalischen Elementen, sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärliteratur,106 zeigen, dass eine möglichst lückenlose Aufarbeitung und Darstellung des Musikeinsatzes am Beispiel des Französischunterrichts im deutschsprachigen Raum ein dringliches Desiderat darstellt. Das Thema dieser Arbeit situiert sich an der Schnittstelle mehrerer Forschungsrichtungen, zwischen der Didaktik des Französischen, Literatur- und Sprachwissenschaft, Sprachgeschichte, Sprachphilosophie, politischer Ideengeschichte sowie Kulturwissenschaften. Sie kann damit als Bindeglied zwischen der Geschichte des Methoden- und Medieneinsatzes betrachtet werden.107

      Analog zu Marcus Reinfrieds Monographie Das Bild im Fremdsprachenunterricht, die eine Geschichte der visuellen Medien am Beispiel des Französischunterrichts aufzeigt, ist auch die vorliegende Arbeit der historisch-genetischen Methode verpflichtet. Der zeitliche Rahmen der Arbeit umfasst die frühen Formen des Musikeinsatzes im Unterricht der Antike und endet mit dem Ausklingen der neusprachlichen Reformbewegung und dem Sieg der vermittelnden Methode am Vorabend des Ersten Weltkriegs 1914.108

      Die Primärquellen sind Liedersammlungen für den Französischunterricht und vor allem Lehrbücher, in denen Liedtexte und gelegentlich auch die dazugehörigen Noten abgedruckt wurden. Die Sekundärquellen umfassen Publikationen zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts, Produkte eines Forschungsgebiets, in der die Zahl der fremdsprachendidaktischen Arbeiten in den vergangenen Jahrzehnten zwar erheblich zugenommen hat: Der Nachweis von Beispielen des Musikeinsatzes vor der neusprachlichen Reformbewegung hat sich jedoch angesichts der mageren Auswahl von (oft verschollenen) Primärquellen und auch Sekundärquellen als äußerst komplex und schwierig erwiesen. In verschiedenen Archiven und Nachlässen konnte ich allerdings wichtige handschriftliche Dokumente sichten, die dazu beigetragen haben, bisher vorhandene thematische Lücken in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts unter besonderer Berücksichtigung des Fachs Französisch zu schließen.109

      Die Arbeit bezieht sich vorwiegend auf den deutschsprachigen Raum: zunächst auf Deutschland, da von hier wichtige methodisch-didaktische Neuerungen ausgingen. Weiterhin werden Österreich und die germanophone Schweiz einbezogen. Weitere wichtige Impulse gingen besonders von Frankreich und Italien aus. So werden in der vorliegenden diachronen Evolution auch intermediale und -personale Parallelen, Interdependenzen und Querverbindungen aufgezeigt.

      Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile, wobei die neusprachliche Reformbewegung (etwa 1880-1905) im Zentrum der Darstellung steht: Zunächst werden frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht vor der neusprachlichen Reformbewegung untersucht (Kapitel I). Im Mittelpunkt der Arbeit steht der Musikeinsatz im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung (Kapitel II). Die umfangreiche Auseinandersetzung über den Einsatz französischer Lieder – sei es in Form von französischen Kontrafakturen bekannter deutscher Melodien oder original französischer Melodien – bildet den Abschluss dieser Arbeit (Kapitel III).

      Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit ist ein dreifaches:110 Zunächst soll untersucht werden, wann, wo, zu welchen Anlässen sowie in welchen Unterrichtssituationen Musik eingesetzt worden ist. Zum zweiten beschäftigt sich die vorliegende Monographie mit der Art des Musikeinsatzes im Französischunterricht, d. h. den methodischen Funktionen: Welche Lieder wurden ausgewählt und warum? Wurden diese neu geschaffen oder adaptiert? Welche spezifische musikalische Formen wurden angewendet? Schließlich widmet sich die Arbeit der Frage, wie verschiedene Musikformen eingesetzt wurden, als Lückenfüller am Ende der Stunde oder als tragendes didaktisches Konzept? Welche personale Faktoren (Ausprägung der Lehrer- und Schülerschaft) sowie sachbezogene Faktoren (Lernziele, Inhalte, Unterrichtsmethoden und Medien) haben den Musikeinsatz gefördert und geformt? Welche Sozialformen und methodische Funktionen wurden durch Musik übernommen? Neben diesen internen Determinanten stellt sich auch die Frage nach externen Einflussfaktoren, die oft stärker sozialgeschichtlich geprägt sind (wie das Selbstbild schulischer Institutionen oder soziale Funktionen des Sprachenlernens): In welchem Bezug stand dabei der Musikeinsatz zu den Schülern und deren Alter? Wie sah der institutionelle Kontext aus: Wurden Lieder schulisch und außerschulisch eingesetzt? In welchen Schulstufen und -formen? Von welchen Lehrenden für welche Lernenden wurden welche Lieder verwendet? Gab es geschlechtsspezifische Unterschiede beim Liedeinsatz und wie spiegelt sich das in den Lehrwerken für Mädchen- bzw. Knabenschulen (z. B. Mittlere Mädchen- bzw. Knabenschulen) oder am Schultyp (Realschule, Oberrealschule, Realgymnasium, Gymnasium) wider? Sollte der Lehrende selbst musikalisch sein, singen können und ein Instrument spielen, um Lieder im Unterricht einzusetzen? Wie manifestieren sich kulturgeschichtliche Einflüsse (d. h. dem historischen Wandel unterworfene Erziehungs-, Lern-, Sprach- und Kulturkonzepte)?

      Nach einem Aphorismus des deutschen Philosophen Odo Marquart „Zukunft braucht Herkunft”111 speist sich ein tiefgründiges Verständnis der Gegenwart, also des modernen Französischunterrichts, aus einer profunden Kenntnis und Analyse der historischen Zusammenhänge in ihrer diachronen Evolution. Deshalb soll abschließend mit der vorliegenden Arbeit auch gezeigt werden, dass heute gängige, verbreitete Konzepte und Unterrichtsformen beim Einsatz von Musik im Französischunterricht keinesfalls Produkte des 21. Jahrhunderts sind, sondern sich bereits in Ansätzen in der über 500-jährigen Geschichte des Fremdsprachenunterrichts manifestieren.112

      I. Frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht vor der neusprachlichen Reformbewegung

      I. 1 Musik im Unterricht der Antike

      Der Musikeinsatz im Unterricht steht in einer sehr langen Tradition weit vor Beginn eines Fremdsprachenunterrichts. In der griechischen Frühzeit gab es eine bewusste Erziehung vorrangig für den Adel und für Knaben. Platon unterscheidet zwei Bereiche: die Gymnastik für den Körper und die Musik für die Seele.1 An erster Stelle stand die „Zucht“ des Körpers und der Seele zum gewandten Kämpfer, wobei der Körper auch durch Wettkämpfe, Spiele und Tanz2 trainiert wurde. Diesem „gymnastischen“ Element war das „musische“ Element nachgeordnet, „die Bildung des ritterlichen Knaben durch Musik und Volkspoesie, durch die Weisheit der überlieferten Sagen […].“3 Musik, vor allem der Gesang, spielte auch eine Rolle in der Erziehung der Mädchen im Rahmen des Ideals der höfischen Gesellschaft, in der „der Frau als der hochgeachteten Hüterin aller edlen Sitten“4 eine spezielle Bedeutung zukam.

      Als Leitfigur der antiken Erziehung gilt Homer, den Marrou auch als „Erzieher Griechenlands“ bezeichnet.5 Wie bei der homerischen Erziehung spielten Formen der Musik in der spartanischen Kultur eine entscheidende Rolle. Musik steht im Mittelpunkt der Kultur und sichert die Verbindung zwischen ihren verschiedenen Formen: „im Tanz reicht sie der Gymnastik die Hand, durch den Gesang trägt sie die Dichtung, die einzige archaische Form der Literatur.“6 Sparta war im 7. und zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. sogar die musikalische Hauptstadt Griechenlands. Dort entstanden auch die beiden ersten Schulen der Musikgeschichte.7 In Sparta fanden musikalische

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