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20. November 1843 und wurden von Aeblis Verwandten, Familie Schneider, freundlich aufgenommen. Lienhard verbrachte zwei Wochen bei ihnen und benutzte die Zeit, um sich eine Arbeit zu suchen. Seine erste Stelle fand er bei einem Solothurner namens Mollet, der ihm als Lohn für den Anfang zwar nur Kost und Logis anbot, ihm später aber, wenn er sehe, dass Lienhard es verdiene, auch einen Lohn bezahlen wollte.97 Mollet arbeitete neben seinem Beruf als Wagenmacher auch als Zimmermann, und Lienhard freute sich auf die neue Herausforderung, zumal Mollets Frau Amerikanerin war und er deshalb hoffte, rasch mit der englischen Sprache vertraut zu werden.

      Die kommenden Wochen erwiesen sich als schwieriger Anfang in der neuen Heimat. Der strenge Arbeitstag begann früh am Morgen, lange vor dem Frühstück, und hätte nach des Meisters Vorstellung bis abends um neun Uhr gedauert. Das Essen war eintönig und ungesund; es bestand aus «stark ausgebratenem und dabei sehr gesalzenem Speck, Kornbrod, ohne Salz und Fett bereitet, und dabei schlechten Weizencaffee mit allerhöchstens zehn Tropfen Milch auf die Tasse, so dass man kaum eine Verenderung der schwarzen Kaffeefarbe zu sehen vermochte.»98 Als Ersatz für Fett und Salz wurde das Maisbrot mit dem «ausgeschmolzenen Fett des verbratenen Specks» begossen.99 Diese Mahlzeit kam dreimal täglich an sieben Tagen pro Woche auf den Tisch, «so Regelmässig, als ob ein strenges Gesetz irgend etwas Anderes verböte».100

      Lienhard bekam Magenschmerzen, fühlte sich schlecht behandelt, war unglücklich und enttäuscht. Nach zwei Monaten bei Mollet fand er, dass er nun zwar die «Schattenseite» von Neu-Schweizerland kenne, aber noch nichts von der «Sonnenseite» bemerkt habe.101 Als er den Meister eines Tages bei einer groben Tierquälerei beobachtete und vergeblich versuchte, ihn davon abzuhalten, verliess er dessen Haus für immer.

      Die Monate Februar und März 1844 verbrachte Heinrich Lienhard bei Familie Leder102, mit deren Sohn Jacob er sich befreundet hatte. Der Vater, Johann (John) Leder, war als «Rigi-Leder» bekannt, da er am Nordhang eines «Rigi» genannten Hügels eine Farm besass. Hier fühlte sich Lienhard bald heimisch, umso mehr, als Vater Leder Klarinette und Trompete spielte und in seinem Haus am Abend oft musiziert und getanzt wurde.103 Allerdings arbeitete Lienhard auch bei Leders wieder ohne Lohn, und das bescheidene Vermögen, mit dem er nach Amerika aufgebrochen war, nahm langsam, aber stetig ab104: «Ich war jetzt nahe an zwei Monate bei Leders gewesen, und obschon ich mit den Leuten zufrieden war, sagte mir mein gesunder Verstand, dass ich auf diese Art nicht bestehen konnte. Bis dahin war ich Sonntags wie andere meiner Freunde dann und wann in das Wirthshaus gegangen und hatte auch ein paar Bällen beigewohnt, wobei ich immer etwas Geld brauchte, dagegen noch keines verdient hatte. Mit bedauren betrachtete ich da meine 20-Franken-Stücker, wenn ich eines davon aus meinem Gurt trennte, welchen ich immer am Körper trug. Ich kam mir fast als ein Vergeuder vor, und doch war ich eigentlich durchaus kein solcher.»105

      Lienhard fand, dass (Salomon) Köpfli die Verhältnisse in der Siedlung «viel zu paradisisch»106 beschrieben habe und dass auch in den Briefen der Familie Schneider an ihre Verwandten zu Hause alles viel vorteilhafter dargestellt worden sei, als es sich in der Realität erweise. Es herrschte zwar kein Mangel an Lebensmitteln, doch zirkulierte sehr wenig Geld, so dass ein einfacher Farmgehilfe im günstigsten Fall mit einem Lohn von sechs bis sieben Dollar pro Monat rechnen konnte – und nicht selten fehlte den Farmern sogar noch diese kleine Summe Bargeld. Lienhard spielte zu dieser Zeit mit dem Gedanken, nach Le Havre zurückzukehren, Französisch zu lernen und dann nach Brasilien auszuwandern. Indessen sollten sich auch in Highland die Dinge bald zum Besseren wenden.

      Lienhard hatte Jakob Schütz bald nach seiner Ankunft in Neu-Schweizerland einmal getroffen, als er wie Schütz und andere Siedler zu gemeinnützigen Strassenarbeiten aufgeboten worden war.111 Man hatte ihm einen schweren Zweizollbohrer in die Hand gedrückt, mit dem er über längere Zeit arbeitete, dann aber ermüdete und begann, zwischendurch kurze Verschnaufpausen einzuschalten. Dem Strassenmeister Jacob Durer112, Wirt des Hotels Helvetia in Highland, missfiel dies offensichtlich, denn er forderte ihn jedesmal sogleich zum Weiterarbeiten auf. Dabei unterschätzte er aber das Temperament seines jungen Landsmannes: «Einige Mahl liess ich es mir gefallen», so Lienhard, «doch da ich fand, dass er mich zu seinem besondern Ziele auserlesen zu haben schien, erlaubte ich mir, ihm zu sagen, dass, wenn ihm meine Arbeit nicht genügend sei, werde ich ganz aufhören; dass ich mehr gethan habe als er selbst und so viel als irgend einer der Anwesenden [und] dass es mir vorkomme, man sei sehr hungrig, weil man Leute, welche kein Land besitzen und kaum angekommen seien, sogleich zu Straassenarbeiten auffordere.»113 Lienhards Ton schien Durer und seinem Kollegen Joseph Suppiger, einem Mitbegründer Neu-Schweizerlands, noch weniger zu gefallen; ein Wort gab das andere, und es entbrannte ein heftiger Streit, in dessen Verlauf Lienhard drauf und dran war, den grossen Bohrer hinzuwerfen.

      In diesem Moment trat Jakob Schütz dazwischen: «Der kleine Mann, welcher bis dahin zugehört hatte, erhob sich nun ebenfalls, und ich glaubte, am Ende würde er auch noch gegen mich auftretten. Aber ich traute meinen Ohren kaum, als ich ihn sagen hörte, dass es ein rechter Unverstand sei zu verlangen, weil ich ein fetter junger Mann sei, dass ich mich nicht ein wenig ausruhen dürfe, nachdem ich bereits mit dem Zweizollborer so lange im Eichenholz gebohrt habe. Sie sollen es selbst einmal versuchen, damit werden sie bald genug ausfinden, ob sie ruhen möchten oder nicht. Auf die beiden grossmauligen Herren Squire114 Supiger und Helvetia Hotel Wirth Turer wirkten diese wenigen Worte des schlichten Farmers Jakob Schütz eigenthümlich beruhigend, denn sie hielten ihre Schimpfmäuler sogleich ruhig und hatten nachher durchaus nichts mehr gegen meine Arbeit einzuwenden. Was mich anbelangte, hätte ich den Schütz um den Hals fassen und Küssen mögen, weil er der Einzige war, der das Herz hatte, den grossmäuligen Herren die Wahrheit zu sagen. Natürlich fand dieser Mann ein warmer Platz in meinem Herzen. Ich ahnte aber damahls noch nicht, dass ich diesen Mann noch mehr lieb und werth schetzen lernen sollte.»115

      Schütz erklärte sich einverstanden, Lienhard auf seiner Farm anzustellen. Als Lohn versprach er ihm viereinhalb Dollar im ersten Monat, danach, wenn er mit ihm zufrieden sei, fünf Dollar pro Monat. Sein Arbeitsbeginn wurde auf den 15. März 1844 festgesetzt, ein Tag, dem Lienhard mit Bangen entgegensah. Er hatte in den vergangenen Monaten ohne Lohn so viel gearbeitet, dass er sich nun fragte, was man künftig wohl für bezahlte Arbeit von ihm verlangen werde. «Am Abend des 14. Tag Merz fuhr mich mein Freund sammt meinem Gepäck hinüber zu Jakob Schütz. Während ich auf dem Wagen sass, regte sich in mir ein Gefühl, gleich als gienge ich nun dirreckt in die Sklaverei, und jedenfalls fühlte ich mich sehr erniedrigt.»116

      Als er am nächsten Morgen erwachte, sprang er schnell aus dem Bett, denn obwohl es noch dunkel war, befürchtete er, verschlafen zu haben. Schütz, der im gleichen Raum schlief, erwachte und fragte ihn erstaunt, was er denn so früh anfangen wolle. «Ich antwortete, ich wolle das Vieh und die Pferde füttern, allein Schütz lachte darüber, hiess mich nur wieder zu Bette gehen, es sei Zeit genug zum Aufstehen mit dem Sonnenaufgang. Ich hätte nach dem wohl noch zwei volle Stunden schlafen dürfen, allein ich fürchtete, er möchte dann am Ende aufstehen und an die Arbeit gehen, während ich mich dann verschlafen könnte, daher zog ich vor, wach zu bleiben. Ich hatte mich jedoch in der Zukunft bald so gewöhnt, dass ich fast regelmässig mit Sonnenaufgang erwachte, und ich kann mich nicht erinnern, dass mir Schütz je zum Aufstehen gerufen hatte.»117

      Mit Jakob Schütz hatte Heinrich Lienhard in Neu-Schweizerland das grosse Los gezogen. Sein Meister war ein verständnisvoller, freundlicher

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