Скачать книгу

dass er aussehe wie ein Nussknacker. Sie war so erregt, dass sie nicht mehr wusste, ob der Moment komisch sei oder tragisch. Sie versuchte etwas zu sagen, das die zwei hätte beruhigen sollen, aber diese hörten gar nicht zu.

      Unter Lachanfällen und trockenen Schluchzern schrie Stella weiter: «Wenn Ihr nur’s Geld habt, das Übrige ist Euch gleichgültig, wie ich mich quäle, nachts, allein im Bett, wie ich mich wälze und der Leib mir brennt …»

      «Schweig», brüllte der Alte und schlug schnell ein Kreuz. Mit der gleichen Hand holte er weit aus und hieb der Stella damit ins Gesicht. Diese wimmerte auf und stürzte langsam und weich zu Boden. Sie hatte das Bewusstsein verloren. Die Sciora rannte in die Küche, die danebenlag, und holte Wasser. Damit begoss sie das arme schöne Gesicht, das mitten in der Unordnung der langen Haare still und blass dalag.

      Stella kam bald zu sich. Sie hielt sich den Kopf und klagte: «Wie kam das nur?»

      Da erschien der Vater auf der Schwelle mit einem großen Schlüssel. «Marsch», herrschte er das Mädchen an. Stella stand gehorsam auf, ging dem Vater voraus, die Treppe hinauf. Die Sciora hörte, wie oben eine Türe aufgemacht und dann mit dem Schlüssel abgeschlossen wurde.

      Der Alte kehrte freundlichen Gesichtes zurück. Er bat die Sciora, sie möge entschuldigen, Stella habe oft solche Anfälle. In der letzten Zeit häufiger. Er schließe sie dann ein, bis es besser ge­he. Man wisse im Dorf nichts davon und er bitte, die Sciora möge auch schweigen. Diese Anfälle seien der Grund, warum er sie hierbehalten müsse und nicht heiraten lasse.

      Die Sciora war von dem Erlebten mitgenommen. Sie ging rasch fort. Unterwegs überdachte sie, was sie gesehen und gehört hatte, und mit Schrecken begriff sie, dass ein großes Unrecht an dem Mädchen seit Jahren geschehe. Das war wohl nicht nur Frömmigkeit, was den Alten verhinderte, seine Tochter zu verheiraten, das sah viel mehr aus wie Habsucht und Eigennutz. Das Märchen vom bösen Vater, da stand es lebendig vor ihr. Sie kam in Zorn gegen diesen alten scheinheiligen Fuchs, sie wollte ihn anzeigen, ihm die Polizei ins Haus schicken, etwas musste doch geschehen, man konnte das Mädchen diesem hartherzigen Menschen nicht überlassen.

      Aber wen gingen diese Dinge etwas an? Das Mädchen war volljährig. Es brauchte ja nur fortzugehen.

      Und hatte sie sich nicht heute schon in die Sache gemischt, die nicht die ihre war, und damit Unheil heraufbeschworen? Zudem – wusste man alle Hintergründe, alle? Gab es nicht noch etwas hinter dem, was sie heute miterlebt hatte?

      Bis sie zu Hause war, hatte sie sich beruhigt und sich vorgenommen, sich nicht um diese Angelegenheit zu kümmern. Sie ging von da an selten ins Haus des Posthalters und vermied es, mit ihm zusammenzutreffen. Mit Stella sprach sie nur mehr über ihre Weberei. Das Mädchen war wieder still und schweigsam wie früher. Es arbeitete fleißig und schien ruhig. Renzo sah man nicht mehr.

      Im nächsten Sommer fiel der Sciora eine große Veränderung an Stella auf. Sie staunte über ihre Schönheit. Unter der dunkeln Haut schimmerte das Blut, der Mund war weich und voll, die Schläfe gerundet. In ihrem Blick glänzte etwas Neues. Sie sah zum ersten Mal, dass Stellas Augen nicht schwarz waren, sondern dunkel achatfarbig getupft und dass ihr Nacken ebenso stolz war wie sanft. Sie sagte sich, es sei vielleicht wirklich das Richtige für das Mädchen, hier still im Hause des Vaters zu leben. Stella, danach gefragt, meinte, ja, sie sei zufrieden. Der Vater habe recht. Es sei für sie am besten hier. Im letzten Jahr sei sie nur müde gewesen von zu vielem Weben. Jetzt gehe sie oft in den Weinberg und das bekomme ihr gut. Bewegung.

      Wenn es nur das war, dachte die Sciora, so war ja das Theater damals wirklich überflüssig. Nie mehr wolle sie sich auf Mädchenlaunen einlassen und sich in dumme Dinge mischen, die sie nichts angehen. Was in der Stadt gelte, gelte eben hier nicht. Stella sehe schöner aus denn je und sage, sie sei zufrieden. Mehr kann man nicht wollen.

      Die Rebberge liegen draußen vor dem Dorf. Es sind die letzten des Tales. In Terrassen steigen sie den Berg hinan, durch Mauern ge­stützt, voneinander getrennt und erwärmt. Etwa geht ein schmaler Weg tief zwischen zwei Mauern in vielen Windungen durch die Weingärten und führt weiter oben in den niederen Wald von Haselbüschen und Birken. Es wird nicht viel gearbeitet und auch nicht viel geerntet in diesen Rebbergen. Sie liegen zu hoch, der Sommer ist zu kurz und die Mühe bringt keinen Lohn. Nur die Reben des Posthalters waren von jeher gepflegt, denn er liebt seinen eigenen Wein zu trinken. Bis jetzt hatte er selbst die Reben besorgt, nun tat es also Stella.

      Wenn die Sciora auf Gängen an diesen Rebbergen vorbeikam, musste sie an sie denken. Sie wunderte sich nicht, dass die Arbeit ihr geholfen hatte, ihren schwermütigen Zustand zu überwinden. Sie wusste, nicht nur die Bewegung und die frische Luft wa­ren es, aber die Arbeit am Boden selbst und das Leben der Erde, das ruhevoll in Wellen auch den Menschen durchdringt und kräftigt, der sich zu ihr neigt. Und doch, sie fühlte, das war nicht alles … In einem der engen, krummen Wege der Rebberge, ferne vom Dorf, erblickte sie einst im Vorübergehen zwei Gestalten. Sie standen hoch nebeneinander, aufrecht und ohne sich zu berühren, aber doch einander innig zugewandt. In dem kurzen Augenblick spürte die Sciora, dass die beiden Menschen sich gehörten.

      Da haben sich zweie lieb, dachte sie, aber unter dieser freundlichen Feststellung stieg in ihr die ängstliche Frage auf, ob denn die Frau nicht Stella gewesen sei … und der Mann? Das war doch der junge Pfarrer! … Was soll denn daraus werden?, dachte sie beklommen.

      Einige Zeit später sprang im unteren Dorf die große Glocke zum Glockenstuhl des Kirchturms hinaus. Zum Glück hatte sie niemanden erschlagen. Sie lag, beschädigt, vor dem Brunnen auf dem Kirchplatz. Es war fraglich, ob sie an ihren alten Ort würde verbracht werden können. Bis die Experten darüber entschieden hätten, konnte nur die kleine Glocke geläutet werden. Sie tönte hart, wie ein Armensünderglöcklein, man hörte sie bis ins obere Dorf hinauf.

      Ein Unglück kommt selten allein. Bald darauf hieß es, der junge Herr Pfarrer vom unteren Dorf habe plötzlich nach Rom verreisen müssen und in seiner Kirche dürfe keine Messe gelesen werden, bis der Bischof sie neu geweiht habe. «Warum?», fragten die Kinder. Sie bekamen keine Antwort.

      «Und was sich zweiet, dreiet sich», prophezeite Ermano, der die Gabe der Voraussicht besitzt. Eines Morgens hörte die Sciora im Nachbarhaus der Fiorina schreien. Es waren Schreie wie von einem Kind, das gezüchtigt wird. Sie horchte hin und hörte auch wirklich Schläge. Das befremdete sie, denn es war am Ort nicht Brauch, die Kinder zu schlagen, auch wohnte Fiorina ganz allein im Haus. So ging die Sciora hinüber, um zu sehen, was da vor sich gehe. Sie fand die alte Fiorina in ihrer Küche auf niederem Stuhl am Herd sitzen und Schreie ausstoßen, die mit ihrer sonstigen Stimme keine Ähnlichkeit hatten. Dazu schlug sie die Hände heftig zusammen und warf den Kopf nach hinten. Tränenströme liefen aus ihren Augen, das eine Augenlid war schon ganz verschwollen und verklebt und hing auf ihre Wange herunter. Er­schrocken fragte die Sciora, was los sei, warum sie klage. Die Alte wiederholte zwischen spitzigen Schreien ununterbrochen dieselben Worte.

      «Barmherziger Gott, mein Bruder, barmherziger Gott … barmherziger Gott, mein armer Bruder, barmherziger Gott …»

      «Was denn, was denn?», drang die Sciora in sie, «ist etwas geschehen?»

      Und sie erfuhr stückweise, es sei der Fiorina eben berichtet worden, man habe Stella tot im Bach aufgefunden … Sie sei in der Nacht nicht nach Hause gekommen, man habe sie gesucht. Bei der hohen Brücke müsse sie einen Fehltritt getan haben … man sehe, dort sei sie ausgeglitten und abgestürzt.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета

Скачать книгу