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sein, der fleißig zur Beichte ging. Es hatten sich vier italienische Holzfäller anerboten. Sie arbeiteten jenseits der Grenze im Wald, doch kamen sie jeden Sonntag ins obere Dorf zur Messe, da es der nächste Kirchort war. Man kannte sie als rechte Leute. Die ­Mädchen schauten ihnen am Sonntag nach. Besonders der eine, Renzo, gefiel. Er war nicht schön, aber dunkelbraun und stark wie ein Bär. Im linken Ohrläppchen trug er einen goldenen Ring. Wenn er die Frauen aufmerksam ansah, erröteten sie unter ihrem Kopftuch. Alle freuten sich, dass der Pfarrer einverstanden war, Renzo und seine Freunde die heilige Jungfrau tragen zu lassen.

      Der Festtag brach an. Am frühen Morgen war die Kirche mit den schönsten frischen Blumen aus den Gärten geschmückt worden. Um zehn Uhr, nach der Messe, begann unter großem Glockengeläut der Rundgang um die Kirche. Voran trippelten die weißgekleideten kleinen Mädchen, von ihren eigenen Schleiern verwirrt und entzückt. Die größeren Mädchen beteten fromm und neigten den Kopf unter ihren Papierblumenkränzen. Hoch darüber schwankte, auf blumenbestreutem Podium und unter dem alten Baldachin mit Goldfransen, die Muttergottes heran, von den vier Holzfällern auf den Schultern getragen. Sie glänzte und gleiste … Die Männer schauten ernst und ergriffen drein. Besonders Renzo sah mit innig schwerem Blick immer wieder an der Jungfrau empor, halb verzaubert. Der nachfolgende Zug der Frauen und Männer wollte nicht enden. Er staute sich und die heilige Jungfrau musste bei der Kirchentür warten, bis sie wieder Eingang fand. Unter den Frauen war auch Stella mit ihrer Tante Fiorina zu sehen. Am Nachmittag begann der heitere Teil des Festes. Die Besucher hatten sich auf dem Kirchenplatz eingefunden, darunter der Posthalter mit Stella. Er ging unter den Leuten freundlich plaudernd herum und hielt dabei seine Tochter an der Hand wie ein Kind. Stella war städtisch gekleidet, was sie fremd und auffallend wirken ließ. Alle kehrten sich nach ihr um. Auch die vier Holzfäller starrten sie an. Renzo blieb stehen. Doch Stella schien nichts zu bemerken.

      Da läutete der Küster Maurilio mit einer alten Hausschelle. Er stand hinter dem Tisch, auf welchem die Gaben ausgelegt waren, und begann die Versteigerung. Die vier Italiener waren am eifrigsten dabei. Zuerst schaute man ihnen verwundert zu, wie sie sich überboten, doch dann steckte ihr Beispiel an und bald war unter Lärm und Gelächter eine wilde Steigerung im Gang. Der Brauch wollte, dass die erlangten Gegenstände nicht behalten, sondern gleich weiterverschenkt werden müssen. Da die Männer das Geld hatten und steigern konnten, wurden die Mädchen und Frauen beschenkt. Sie standen beladen mit Dingen und glücklich neben ihren Männern.

      Maurilio holte die Hühner auf den Tisch. Sie waren bis jetzt im Schatten darunter gestanden, jedes in einem kleinen breitsprossigen Korb. Eine junge weiße Henne wurde ausgeboten. Renzo wollte sie haben. Er steigerte verbissen und sie fiel ihm um sechs Franken zu. Er nahm den Korb vom Tisch weg und schaute hinein. Doch im Überschwang seines Gefühls reichte er ihn so­fort wieder Maurilio, er spende die junge Henne nochmals der heiligen Jungfrau. Maurilio bot sie wieder aus und wieder begann ein heftiges Wettsteigern um sie. Renzo gab nicht nach, bis die Henne ihm ein zweites Mal zufiel. Er jubelte, berauscht von einem Glück, das er wohl schwerlich hätte genauer benennen können. Und doch, vermutlich war er seiner Regungen nicht so unbewusst, dass er himmlische und irdische Sterne verwechselt hätte. Jedenfalls sah die Sciora später, als die Versteigerung zu Ende war und sich alles verlief, dass der Korb mit der jungen Henne an Stellas Arm hing.

      Von da an war Renzo oft im Dorf, obschon er einen weiten Weg von seinem Arbeitsplatz her hatte. An manchen Abenden sah ihn die Sciora auf einem geliehenen Fahrrad ohne Nummer den Weg hinuntersausen. Der Weg führte nirgends anders hin als ins untere Dorf. Man sprach davon, er lungere dort auf dem Dorfplatz herum in der Hoffnung, etwas von Stella zu erspähen. Er wolle sie zur Frau, habe er gesagt, und sie wäre schon einverstanden, er sehe es ihren Augen an, aber da sei der Alte. Er wage nicht ihn zu fragen. Die Leute meinten, er wäre fromm, einen Frömmeren als Renzo könne der Posthalter nicht finden, und auch sonst höre man nur Gutes von ihm. Er sei einer der Auf­seher bei den großen Arbeiten im Wald drüben, und also nicht der erste Beste … Man fragte sich, ob Renzo sein Ziel erreichen werde. Fast begann man darüber zu wetten.

      An einem Sonntag kam Renzo, das Fahrrad stoßend, den Weg hinauf. Er trug eine rote Geranienblüte hinter dem Ohr. Der Sciora, die ihn bemerkt hatte, schien, sie kenne die Blüte und wisse, wo sie gewachsen war. «Schau», dachte sie, «die Sache geht doch vorwärts.»

      In den nächsten Tagen hatte sie Stella eine Bestellung zu übergeben und ging zu ihr hinunter. Sie fand das Mädchen am Webstuhl, blass und in sich gekehrt. Sie wollte es nicht stören und stand bei den Blumen, um dort zu warten, bis Stella einen guten Unterbruch fände. Sie sah nach den weißen mit den roten Flammenherzen, nach den zartroten und dann nach den flammenden Geranien. Und da, an dem einen Stock, stand ein abgebrochener leerer Stängel. Die Sciora lachte ein wenig und wies auf die Narbe. Stella hielt inne im Weben, saß da wie ein kleines Mädchen und begann zu weinen. Erschrocken ging die Sciora zu ihr hin und nahm sie um die Schultern. «Was ist denn», fragte sie, «geht es nicht mit Renzo?»

      Stella wischte sich die Augen und schüttelte den Kopf. «Es ist aus», sagte sie, «der Vater will nicht.» Die Sciora scheute sich, mehr zu fragen, und wartete bestürzt, ob Stella von sich aus etwas erklären würde. Das Mädchen versenkte sein Taschentuch in die Schürzentasche und sagte: «Nicht, dass ich den Renzo absolut haben wollte – wenn ich nur von hier fortkönnte.»

      «Das ist doch nicht unmöglich», meinte die Sciora, «es ist auch nicht unnatürlich, wenn ein Mädchen etwas anderes sehen will als Dorf und Berge.» Und sie fragte Stella, ob sie in die Stadt kommen möchte. Sie wüsste ihr eine Möglichkeit. In dem Ge­schäft, das Teppiche bestelle, suche man eine hübsche Weberin, die gewillt wäre, im Schaufenster zu weben, damit die Leute sehen, was Weben sei. Ob ihr das nicht gefallen würde? Stellas Au­gen leuchteten auf. Sie nahm die Hand der Sciora und drückte sie ungeschickt und leidenschaftlich. «Ich könnte Ihnen nicht genug danken, wenn Sie mir helfen würden, ein wenig in die Stadt zu kommen. Ich habe ja noch nichts kennengelernt.» Sie lachte und die Sciora war verblüfft zu sehen, wie schön das Mädchen war, wenn es lachte. Bis jetzt hatte sie Stella nur ernst gesehen, kaum ein Lächeln war über ihr Gesicht geflogen.

      «Und der Vater?», fragte die Sciora. Stellas Gesicht erlosch. «Er wird nichts dagegen haben können, er ist ja nur gegen die Heiraten. Ich bin erwachsen, ich kann mein Brot verdienen, wenn man mir zu einer Stelle verhilft. Was kann er dagegen haben?», sprach sie sich zu.

      «Gehen wir ihn gleich fragen», schlug die Sciora vor, um die Sache ins Rollen zu bringen, über deren Ausgang sie nicht so si­cher war.

      Der Posthalter saß im Postbureau und rechnete. Die Frauen entschuldigten sich, ihn zu stören, aber es sei wegen etwas Wichtigem. Und die Sciora brachte den Vorschlag vor. Während sie noch sprach, fiel ihr der böse Glanz seiner Augen auf, der im Widerspruch stand zu seinem freundlichen Lächeln, das ihn nicht verlassen hatte.

      Er strich sich den weißen, vollen Schnurrbart zurück, dass man seine Lippen sah, und räusperte sich, bevor er sagte: «Stella bleibt hier.»

      Voll Bedauern schaute die Sciora nach dem Mädchen, doch wie erschrak sie, als sie dessen Gesicht sah. Es war wie aufgerissen, der Mund verzogen, die Nasenflügel gebläht und die Augen – ja, das waren Tieraugen!

      Einst war die Sciora dazugekommen, wie Knaben mit Stöcken eine Katze zu Tode schlugen. Das Tier konnte nicht mehr gehen, aber in seinen Augen hatte sich alles Leben zusammengepresst, das noch in ihm war. Es hatte die Sciora angesehen: Lebenswut und Todesangst waren im Blick gelegen. Das stand auch in den schwarzen Augen der Stella. Und nun stürzten die Worte aus ihr. «Ich bleibe hier … ich bleibe hier … meint Ihr? Nein, ich gehe. Seit Jahren sitze ich hier und arbeite für Euch. Was tut Ihr den ganzen Tag? Nichts. Ich arbeite, bis mir die Hände weh tun. Was kümmert es Euch? Wenn Ihr nur das Geld bekommt.»

      «Schweig sofort», sagte der Alte. Er stand zitternd hinter seinem Stuhl, an dessen Lehne er sich hielt. Die Sciora hob angstvoll die Hände, wie um die beiden auseinanderzuhalten. Doch Stella fuhr fort:

      «Das Geld für meine Aussteuer, wollt Ihr sagen? Aber gönnt Ihr mir denn einen Mann? Etwa den Pietro, der mich schon vor sechs Jahren genommen hätte, als ich noch wenig verdient hatte, oder den Benno … den Eugenio …» Sie schrie einen Namen nach dem andern immer lauter und kreischender,

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