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plötzlich fast unheimlich. «Wer ist da», rief sie. Niemand antwortete, doch wurde weiter gepoltert, ungeduldig und heftig. Sie ging die Türe öffnen.

      Da stand, die Stalllaterne in der Hand, die Teresa, den zahnlosen Mund weit offen in stummem Lachen. «Es ist der Pfarrer», sagte die Alte.

      Die Sciora begriff es schneller, als sie es glauben konnte: «Der Pfarrer?», fragte sie, freudig bewegt.

      «Ja, der Pfarrer», sagte nickend die Teresa und nun quirlte das zurückgehaltene Lachen aus ihr heraus. Sie quickste und pustete. Das Sprechen machte ihr Mühe:

      «Der Pfarrer», glücklich sah sie die Sciora an.

      Sie fasste sich ein wenig und fuhr dann fort:

      «Eigentlich war es der Maurilio, der Esel. Der Pfarrer weiß nichts davon. Maurilio hat in der Nacht die Kessel des Herrn Pfarrer hinausgetragen und über die Halde geschüttet, weil er zu faul war, bis zum Wasserfall zu gehen wie andere Christenleute. Maurilio hat es getan. Aber es ist halt doch vom Herrn Pfarrer.»

      Die Frauen freuten sich zusammen, denn der Pfarrer war nicht ihr Freund. Teresa zeigte, sooft es ging, dass sie den jungen Mann, wie sie den Pfarrer nannte, nicht nötig habe. Und die Sciora war kein einziges Mal in die Kirche gegangen, um seiner Predigt zu lauschen. Doch war ihr in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes berichtet worden, dass der Herr Pfarrer sich wohl auf ihren Besuch in der Kirche vorbereitet habe, denn die Texte zu seiner Predigt seien bedeutungsvoll gewählt gewesen, zum Beispiel: «Der Herr sagte, ich kenne euch, die ihr nicht Gottesfurcht im Herzen tragt, und es soll euch schlecht gehen.» Auch: «Niemand kann zweien Herren dienen, sagte der Herr.» Sogar etwas von Sodom und Gomorrha, doch war der Text zu lang gewesen, Marta, die sich dafür interessierte, hatte ihn nicht erfahren können, denn niemand hatte ihn behalten.

      Das Dorf war die erste Pfarrei des jungen Pfarrers. Er war erschrocken gewesen über die Fülle der Sünden, in welchen seine Pfarrkinder lebten, und er hatte sich vorgenommen, zur Ehre des Himmels und zu seiner eigenen, sie davon abzubringen. So war er ein eifriger Pfarrer geworden. Nichts entging seinen aufmerksamen Augen, seinem wachsamen Ohr. Man konnte ihn in später Nachmittagsstunde etwa gegen die Alp hinauf wandeln sehen, weil er sogar dort oben selbst nachsehen wollte, ob die Frauen und Mädchen auch so angezogen waren, wie es unserem Herrgott gefällt. Am Sonntag wurden neuentdeckte Sünder von der Kanzel herab gescholten, nicht mit Namen, aber so, dass ein jeder wusste, von wem die Rede sei. Der Pfarrer regte sich dabei sehr auf, er vergoss oft gar Tränen über seine sündigen Pfarrkinder und ermahnte sie, doch standhaft zu sein gegen das Böse. Die Kirche war voll. Es war ja nicht angenehm, sich selbst vor allen bloßgestellt zu sehen, aber es war schön zu hören, wenn der Nachbar in seinem geheimen Tun erkannt wurde. In der Fastenzeit wurde der Pfarrer noch emsiger. Er malte seinen erschrockenen Zuhörern das Fegefeuer so deutlich aus, dass sich die Frauen nach der Predigt kaum zur Kirche hinauswagten, aus Furcht, der Böse hole sie an der nächsten Ecke. Viele seufzten: Unser Herr Pfarrer ist wirklich ein heiliger Mann. Dass nun, trotz dieser Heiligkeit, der Unrat, über den sich heute alle empört hatten, aus seinem Bereich kam, daran ergötzten sich die Frauen, Teresa wie die Sciora. Das war ein richtiges Vergnügen, ohne Nebengeschmack.

      Nun sollte die Alte erzählen, wie sie es erfahren habe. Der Fleck auf der unteren Kirchentreppe und das kurze Läuten des Maurilio, auch sein braves Wassertragen ohne jedes Aufbegehren und Verfluchen des Missetäters haben die Teresa stutzig ge­macht. Sie sei darum zu Maurilio gegangen und habe ihm gesagt: «Ich, Teresa, zahle zehn Franken dafür, dass von der Kanzel herunter der Skandal verkündet wird mit der Aufforderung, der Schlimme, der die Tat begangen habe, solle sich stellen.» Mau­rilio habe schnell gesagt, sie solle das doch lassen, das passe sich nicht. Sie, die Teresa, habe darauf gefragt, ob denn der wüste Kerl ungestraft davonkommen solle? «Ich, Teresa, werde zehn Franken zahlen, damit der Herr Pfarrer von der Kanzel herab verkünde, was Scheußliches getan wurde und der Schuldige sich stelle.» Da sei dem alten Maurilio ganz elend geworden. Er habe zu stöhnen begonnen, er sei es ja selbst gewesen, er selbst, er, Maurilio, für den Herrn Pfarrer. Er habe nicht bis zum Wasserfall gehen mögen und habe darum die Sache über die nächste Halde ge­schüttet. Er habe sich gedacht, es werde regnen, diese Hitze könne ja nicht länger dauern. Und nun regne es nicht. Laut habe er dann gejammert, sie solle stille sein, es gehe um die Ehre des Herrn Pfarrer.

      «Und wirklich», kicherte die Teresa, «es ist nicht länger her als letzten Sonntag, da soll der Herr Pfarrer gepredigt haben, die Marta hat es erzählt, man dürfe seinem Nachbarn kein Unrecht zufügen, keiner Art, auch ihm zum Beispiel keinen Unrat auf sein Feld werfen. Und nun geht sein Küster …» Nachdenklicher fügt sie hinzu und zeigt auf die Stirn: «Er ist wohl nicht mehr recht … Maurilio … der Schnaps.»

      Kopfnickend geht sie mit ihrer Stalllaterne die Treppe hin­un­ter, ins Dorf, die Neuigkeit verbreiten. Und trotz der Nacht­stunde, es ist unterdessen zehn Uhr geworden, geht ein Lachen durchs Dorf. Gewiss, es wäre schön gewesen, wenn der Landjäger Gericht gehalten und die geheime Schlechtigkeit dieses oder jenes braven Mannes aufgedeckt hätte, aber die Freude, dass das Übel aus dem Pfarrhaus stamme, ist so groß, dass darüber die kleinen Enttäuschungen vergessen werden.

      Aber wer zahlt jetzt der Teresa das verdorbene Heu? Das fragt sie sich, als sie nach ihrem nächtlichen Gang in ihre Stube zurückkommt und ihr, in der endgültigen Beruhigung durch das Wissen, der erste Grund ihrer Aufregung wieder auftaucht. Wer?

      Der Herr Pfarrer?

      Niemand wird es wagen, ihm von dem Unschicklichen etwas zu sagen.

      So soll es mir im Himmel angeschrieben werden, denkt sie. Man kann ja nicht genau wissen, vielleicht hat der Herr Pfarrer trotzdem recht mit dem Fegefeuer, und dann könnte das durch ihn verdorbene Heu doch für mich sprechen.

      Und befriedigt von dieser Rechnung schläft die Teresa ein.

      Stella

      Schon von weitem sah man den Kirchturm des unteren Dorfes. Daneben stand eine große Tanne. Der Kirchturm und die Tanne waren gleich hoch. Sie sahen aus, von der Ferne gesehen, wie zwei stolze, schlanke Menschen, die nebeneinander hergehen, ohne sich zu berühren, aber für alle Zeiten zueinandergehörig.

      Die Tanne stand im Garten des Posthalters. Sie war sein Ruhm. Selten sah man eine so gerade gewachsene, ebenmäßige und hohe Tanne. Der Posthalter hatte Tisch und Bank unter dem Baum anbringen lassen. Dort saß er, wenn man vorbeiging, und las.

      Er war früher im Land drunten Lehrer gewesen. Erst in seinem Alter war er mit seiner Tochter Stella ins Tal zurückgekehrt. Die Frau war ihm gestorben. Neben der Post betrieb er einen kleinen Spezereiladen. Seine Tochter half ihm. Sie besorgte den Haushalt und den Garten, sie bediente im Laden.

      Stella war nicht mehr ganz jung. Groß und schlank gewachsen, mit ruhigen, weiten Bewegungen, war sie eine schöne Er­schei­nung. Auffallend an ihr war das übermäßig reiche, sehr schwarze Haar und die dunkeln Augen. Sie ging angezogen wie die andern Mädchen im Dorf, aber ihre Haltung hob sie aus allen hervor. Man hätte denken können, sie sei stolz. Das stimmte aber nicht. Eher war sie scheu. Sie mied Gesellschaft und liebte es, für sich zu sein. Nur ihre Tante Fiorina, die im oberen Dorf wohnte, besuchte sie öfters.

      Sie war eine der wenigen Frauen im Tal, die weben konnte. Diese Kunst hatte sie bei ihrer Mutter gelernt, die Italienerin gewesen war, aus dem Süden, wo die Frauen das Weben noch verstehen. Ihr Webstuhl stand in einem hellen, niederen Raum mit Holzboden und großen Schränken an den Wänden, in denen sie die Wolle aufbewahrte, die sie für ihre Arbeit benötigte. Die Fenster waren verstellt mit über und über blühenden Geranien. Sie pflegte sie mit Freude und Stolz und behielt sie auch im Winter in der Stube. Jede freie Minute saß Stella an ihrem Webstuhl. Sie verstand es, Stoffe in verschiedenen Mustern zu weben, doch konnte sie auch Teppiche knüpfen, und das brachte ihr einen guten Verdienst ein. Sie webte auf Bestellung. Was sie verdiente, lieferte sie dem Vater aus. Er verlangte es so. Ja, sie bekam das Geld gar nicht in die Hand, er zog es ein. Kleidete und ernährte er sie nicht, hatte sie nicht alles, was sie brauchte? Das Geld legte er auf die Seite. Er führte darüber ein Buch. Mit schmaler, spitziger Schrift trug er Zahl für Zahl hinein. Dieses Geld, es war schon eine hübsche Summe, würde er am Tage der Hochzeit der

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