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konkret darauf eingehen. Heute definiere ich Freiheit insofern, dass ich mir einiges im Leben zutraue. Ein Gefühl, das mir quälende Jahre zuvor gefehlt hatte.

      Der Glaube allein

      Die Kraft, an sich zu glauben, hat einen enormen Einfluss darauf, wie Menschen ihr Leben gestalten. Wer über genügend Selbstvertrauen verfügt, muss sich nicht die ganze Zeit beweisen. Man weiß ganz einfach, dass man viel erreichen kann im Laufe seiner Erdenjahre. Dieses überaus starke Gefühl ist mit innerem Frieden verbunden, und diese Ruhe gibt mir heute das Gefühl von Freiheit.

      Die neu gewonnene Freiheit stelle ich natürlich in Relation zu meinen vielen Erfahrungen, die ich gemacht habe. Manche Weichen wären zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht anders gestellt worden, wäre meine Freiheit eine echte Freiheit gewesen. Aber ich bin auch ein rationaler Mensch und weiß zu gut, dass man das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann. Ich bin mit dem, was ich heute bin, im Großen und Ganzen zufrieden. Das kann ich allerdings erst mit 50 Lenzen auf dem Buckel so klar formulieren. Es ist schön, auch mit reifen Jahren erfahren zu dürfen, wie es dem eigenen Wohlbefinden dient, wenn man dem Leben nicht mehr nachrennen muss, sondern daran teilnehmen darf. Wenn die ständige Getriebenheit einer achtsamen Gelassenheit weicht, ist das eine Form von Gnade und Glückseligkeit. Die Welt ist plötzlich nicht mehr schwarz-weiß, und ich habe heute die Zentriertheit, die Komplexität des Daseins mit all ihren Schattierungen wahrnehmen zu dürfen. Es ist wie ein Befreiungsschlag: Wer seine Gedanken ordnen kann, der kann auch loslassen!

      Kein Guru brachte den Frieden

      Zustände von Frieden, Ruhe oder Entspannung waren mir bisher anhin fremd. Ich machte Sport, bewegte mich viel an der frischen Luft, und ich versuchte meine Unrast mit alternativen Heilmitteln zu besänftigen. Ich suchte Erlösung mit Yoga, übte mich in Atemtechniken sowie in autogenem Training. Eine gezielte Therapie bei einem Arzt wies mich zwar in eine hoffnungsvolle Richtung, letztendlich scheiterten aber alle meine Bemühungen, den hyperaktiven Kern in mir zu dimmen.

      Ich erhebe freilich keinen Anspruch, dass meine Erfahrungen, die ich hier im Buch schildere, allgemeingültig sind. Letztendlich ist es aber so, wie ich es seit einiger Zeit erlebe, und ich muss es hier auch mit aller Klarheit sagen: Die vielen Vorteile in meinem neuen Leben verdanke ich nicht einem Achtsamkeits-Coaching in Trivandrum oder einem spirituellen Lehrer in Goa. Die Wahrheit ist weit profaner: Mein neues Lebensgefühl verdanke ich einer runden, weißen Pille. Ihr Name ist Ritalin und sie ist in der Gesellschaft nicht unumstritten.

      Die Diagnose

      2013 erhielt ich die Diagnose ADHS. Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – kurz ADHS – wird vor allem bei Kindern diagnostiziert und gehört aus heutiger Sicht zur Gruppe der Verhaltens- und Emotionsstörungen. Probleme mit der Aufmerksamkeit, der Impulskontrolle und der Selbstregulation sind damit verbunden. Körperliche Unruhe wie innere Getriebenheit gelten als häufigste Begleiterscheinungen. Früher wurde ADHS, manche nennen die Störung auch einen Persönlichkeitsstil, als reines Verhaltensproblem angesehen. Heute gehen zumindest Fachleute von einer komplexen Entwicklungsverzögerung des Selbstmanagement-Systems in gewissen Gehirnregionen aus.

      Ein schwieriges Kind

      Ich galt als ein schwieriger Junge. Streitereien in der Schule waren gang und gäbe. Da ich regelmäßig den Unterricht störte, musste ich so manche Schulstunde vor der Türe verbringen. Ich war derart auffällig, dass sich nicht wenige Freunde aus dem Umfeld abwandten. Noch heute spricht man vom Zappelphilipp, der 1844 vom Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann ersonnen wurde. Doch ADHS oder ADS mit seinen zahlreichen Mischformen und Begleiterscheinungen ist weit komplexer und kann zahlreiche Komorbiditäten in verschiedenen Lebensbereichen zur Folge haben.

      In meiner Kindheit gab es die Diagnose noch nicht. Wie ich bereits eingangs erwähnte, sprach man von POS, dem Psychoorganischen Syndrom, was der Wahrheit in keiner Weise nachkam. Fakt ist, dass selbst heute noch viele Kinder und Jugendliche unbehandelt sind, weil man sie nicht abklärt. Experten gehen davon aus, dass die Anzahl von Erwachsenen relativ hoch ist, die unter einer unbehandelten AD(H)S-Symptomatik leiden.

      Ein neues Lebensgefühl

      Es sollte also ganze 50 Jahre dauern, bis ich mein Dasein so genießen konnte, wie es für die meisten Menschen eine Normalität darstellt. Und das auch im Hinblick darauf, dass jemand sein Leben möglichst ohne Medikamente leben kann. Das sind oder vielmehr waren alles Gedanken, die mich auf meiner Reise durch Kalifornien begleiteten. Während den drei Wochen in den USA erlebte ich die Verbesserungen meiner Lebensqualität besonders intensiv. Zum ersten Mal in meinem Leben reiste ich ohne Begleitung, und ich empfand diesen Zustand als absolut befreiend. Es ist eine unbeschreibliche Erfahrung, sich auf einer Reise derart entspannt zu fühlen und entsprechend harmonisch zu agieren in seinem Umfeld. Kleinigkeiten nerven mich nicht mehr, denn die positiven Aspekte rücken jetzt eindeutig in den Vordergrund. Das ist einfach nur wunderbar!

      Ein Beispiel gefällig? Die bekannte Bigger-is-better-Maxime der Amerikaner, die sich in fast allen Lebensbereichen niederschlägt, lässt mich im Gegensatz zu früher wunderbar unberührt. Die riesigen Pappbecher für Coca Cola & Co, die gigantischen Essensportionen auf den Tellern und der ausgeprägte Hang zu Hedonismus und Konsum hinterlassen auf meiner Stirn keine Zornesfalten mehr. Noch zwölf Monate zuvor hätte mich all das und vor allem auch die laute Politik mit ihren schrillen Protagonisten außerordentlich aufgebracht. Und mit Sicherheit hätte ich mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten. Die Mitreisenden aus Australien oder England hätte ich mit Nachdruck wissen lassen, dass die USA kein fairer Player sind im Weltgefüge. Ich hätte der Verkäuferin im Souvenir-Shop, wo ich aus Spaß Donald-Trump-Socken kaufte, erklärt, wie negativ dessen Außenpolitik bei uns Europäern ankommt. Ich kann heute all dem Stress, Ärger und Streit regelrecht «Good bye» sagen. All die guten Aspekte einer mehrwöchigen Reise wären früher zwangsläufig in den Hintergrund getreten. Heute erstrahlen sie in nie da gewesenem Glanz.

      Die Neue Welt, wie man die USA auch nennt, fand in einer neuen Welt statt. In meiner neuen Welt! Ich bin heute relaxt, urteile objektiv und das Wichtigste: Ich kann mit unerfüllten Erwartungen und unerwarteten Abweichungen ganz normal umgehen. Es ist für mich eine Art Segen, dass ich mich tatsächlich auf einer Gruppenreise befinde und mich mit diesen Menschen verbunden fühle, die wie ich eine große Liebe zu den Vereinigten Staaten mit seinen vielen Sehenswürdigkeiten und Naturparks empfinden. Ja, ich verspüre in diesem Moment einen kleinen Triumph über mich selbst. Die Verschiedenheit meiner Mitreisenden stört mich nicht mehr im Geringsten und dieses «Laisser-Vivre» führt jetzt sogar zu richtig netten Bekanntschaften. Nun sind es die kleinen Details einer Reise, die mich mit Glück und Dankbarkeit erfüllen. Für jemand anderen mag das alles banal klingen, für mich ist es geradezu eine spektakuläre Erfahrung!

      Woodstock, Chi Coltrane und ABBA

      Mein Wunsch, die Vereinigten Staaten zu bereisen, geht weit zurück. In der vierten Klasse veranstaltete ein Lehrer zweimal pro Jahr eine Hitparade mit den Lieblings-Songs seiner «Bande». Jeder Schüler und jede Schülerin durfte die Kracher mitbringen, die am besten gefielen und die sich dann einer Bewertung der Mitschüler stellen mussten. Ich erinnere mich an die Langspielplatten und Singles von Elvis, den Beach Boys, Blondie und Chi Coltrane. Diese Musik begeisterte mich allerdings nur bedingt, schließlich war ich ein fast schon fanatischer Fan der schwedischen Popgruppe ABBA. Mein ABBA-Fimmel war derart ausgeprägt, dass höchstens noch Boney M. auf dem Plattenteller Platz hatten und dort auch nur ihr Evergreen «Rivers of Babylon». Es war mir schlichtweg unmöglich, anderen Bands und ihren Pophymnen Raum zu geben. Sogar die Musikbox wurde nur für ABBA-Hits mit Kleingeld gefüttert und die Wände meines Zimmers waren mit Postern tapeziert. Also, diese vier Schweden haben glaube ich ganz gut gelebt von meinem Geld. Doch dann, eines schönen Tages im Jahr 1978, präsentierte uns ein Lehrer, der einen Einspringer machte, seine Musik. Das Triple-Hammer-Album «Woodstock»! Die Klänge von The Who und Ten Years After waren mir zwar zu wild und rockig, doch die Reminiszenzen der Lehrperson und die Übersetzungen

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