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Umwelt und mit mir selbst im Reinen. Ich spüre einen inneren Frieden und das ist eine einzigartige Erfahrung in meinem nun rund fünfzigjährigen Dasein.

      Weltenbummler

      Ich bin in meinem Leben weit herumgekommen in der Welt. Meine Reiselust begann, als uns ein Lehrer in der 4. Klasse Dias von seinem Südamerika-Trip vorführte und von seinen intensiven Erlebnissen erzählte. Da wusste ich sogleich, dass auch ich eines Tages den Machu Picchu sehen würde, die von den Inkas erbaute, hoch über dem Tal des Río Urubamba in den peruanischen Anden gelegene Stadt, die es mir unheimlich angetan hatte. Den ersten Trip unternahm ich 1992 allerdings nach Sumatra, während einer achtmonatigen Südostasienreise. Machu Picchu besuchte ich einige Zeit später im Jahr 1955.

      Ich verbrachte viele Jahre meines Lebens in fernen Ländern und deren Kontinenten. Der letzte längere Trip dauerte fast zwei Jahre. Zusammen mit meiner damaligen Partnerin, der Mutter meiner 2008 geborenen Tochter, reiste ich auf dem Landweg über China und die Mongolei, weiter nach Vietnam, Thailand, Indien und schließlich nach Ägypten, Jordanien, Israel und wieder zurück.

      Im Bus in Amerika sinnierte ich über diese zurückliegenden Reisen, die ich stets mit dem Rucksack unternommen habe. Ich folgte immer meinen eigenen Ideen, hatte große Pläne und wollte Abenteuer erleben. Eine organisierte Gruppenreise bedeutete für mich daher die Kulmination des Spiessertums, etwas komplett Unvorstellbares. Kaum war ich zurück von meinen Expeditionen, begann ich meist sofort wieder mit der Arbeit. Gleichzeitig sparte ich Geld, denn nur die Vorfreude, bald wieder auf Reisen gehen zu können, ließ mich die Eintönigkeit des Alltags in der Schweiz ertragen.

      Andere Menschen reisen viel und gerne, weil sie sich für fremde Kulturen und Gebräuche interessieren. Sie besitzen beispielsweise die Toleranz, die Andersartigkeit anderer Völker richtig zu verstehen, oder sie finden in ausgedehnten Auslandsaufenthalten Ruhe und Zentriertheit. Eine Eigenschaft, die ihnen im oft zitierten Hamsterrad des Alltags womöglich abhandengekommen ist. Bei mir kamen weit mehr Gründe hinzu. Einer davon war, dass ich mich ganz einfach für das kleinere Übel entschied. Das klingt vielleicht despektierlich: Das Fremdartige und Unbekannte, mit all seinen zum Teil exotischen Varianten, lenkte mich nämlich von meiner inneren Unruhe ab und stillte gleichzeitig ein nie versiegendes Bedürfnis nach Abwechslung und Freiheit. Und das immer wieder aufs Neue, ohne dabei jemals zu echter Gelassenheit zu gelangen. Ein Attribut, das ich mir so sehnlichst wünschte.

      Wie ein Getriebener

      Ich war auf meinen Reisen selten relaxt, sondern vielmehr ein Getriebener. Ich war nicht nur hyperaktiv, sondern vielfach auch gestresst und unruhig. Aus diesem Grund war ich nie allein unterwegs. Alleinsein bedeutete eine Konfrontation mit mir selbst, und das löste diffuse Gefühle des Unwohlseins in mir aus. In Gesellschaft fühlte ich mich eindeutig sicherer und irgendwie auch besser. Meine Reisebegleiter und Reisebegleiterinnen mochten meinem rasanten Tempo mitunter folgen. Andere wiederum legten sich gemütlich in die Hängematte und ließen mich mit akribischem Eifer all die fremden Städte und Landschaften rundherum im Alleingang erkunden. Ich wollte weiter, immer weiter. Auch auf Reisen, die mehrere Monate dauerten, verweilte ich selten länger als eine Woche an ein und demselben Ort.

      Rückblickend betrachtet war mein Interesse für das Fremdartige meist oberflächlicher Natur. Ich konnte mich selten vertieft auf Menschen, Orte oder andere Kulturen einlassen. Ich befand mich in einem unglaublichen Erlebnisrausch, und ich wollte so viele Eindrücke wie nur möglich in mich aufsaugen. Ich war ganz vernarrt in Indien, weil ich dort in jedem Bundesstaat verschiedene Bedingungen vorfand, seien sie kultureller, religiöser oder klimatischer Natur. So war ständig für die nötige Abwechslung gesorgt. Die zum Teil chaotischen Bedingungen in manchen Schwellenländern stellten dennoch eine immense Belastung für mich dar. Diesbezüglich war Indien, aber auch Südamerika oder der Nahe Osten eine große Herausforderung für mich.

      Weltoffen und tolerant

      Man sollte denken, dass nur ein weltoffener und toleranter Mensch jahrelang fremde Länder bereist. Ich bin jedoch der beste Beweis dafür, dass es leider auch anders geht. Oder vielmehr ging. Ich war manchmal geradezu fixiert auf Nuancen, die mich triezten, und konnte mich maßlos über solche Nichtigkeiten aufregen. Heute schäme ich mich fast ein wenig dafür. Das verdeutlicht sich an ein paar Erlebnissen, die ich in Indien gemacht habe: Ein dortiger Beamter öffnete seinen Schalter nicht zur angegebenen Zeit, das Taxi fuhr an den falschen Ort oder die Hotelgäste waren zu laut, wenn ich schlafen wollte. Der oder die Schuldigen waren nach meinem Ermessen schnell gefunden: Warum will mir der Beamte etwas Böses? Macht der Taxifahrer etwa einen Extrabogen für mehr Kilometergeld? Hatten es die Hotelnachbarn auf mich persönlich abgesehen? Wurde mein besetzter Schlafplatz im Zug durch Indien etwa doppelt verkauft?

      Ich war ein aufbrausender und impulsiver Zeitgenosse zu dieser Zeit, und ich hielt mich auf meinen Wegen nicht mit diskreditierenden Wertungen und unflätigen Urteilen zurück. Die Folgen meines Ungestüms waren dann lauthals ausgetragene Streitigkeiten mit Einheimischen, die nicht wussten, wie ihnen geschah. Je hektischer und chaotischer es an einem fernen Ziel war, desto mehr rieb mich das innerlich auf. Um mich zu beruhigen, hielt ich nicht etwa inne, nein, ich wurde noch aktiver und noch lauter! Und das bis hin zur Erschöpfung. Ich eilte sozusagen im Sauseschritt durch all die wunderbaren Länder und Kontinente, ohne zu wissen, was ich tief im Herzen suchte oder wollte. Manchmal kam ich wegen meines Fast-Forwards mit keinem einzigen Einheimischen in Kontakt und knüpfte folglich auch keine wertvollen Bekanntschaften. Obschon ich mich gut auf Englisch unterhalten kann, war ich bei Konversationen oft seltsam blockiert. Ich verhaspelte mich ständig, machte dumme Fehler oder verstummte von einem Moment zum anderen. Es ist sicher nachvollziehbar, dass ich nach solch einer Reise alles andere als ausgeruht in die Schweiz zurückkehrte. Nichtsdestotrotz plante ich bereits im Kopf die nächste Route.

      Träume der Jugend

      Vor langer Zeit, also weit vor meiner Bustour durch die Vereinigten Staaten, wollte ich schon nach Kalifornien reisen. Doch die USA waren damals ein rotes Tuch für mich. Das lag zum einen an dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und später an dessen Nachfolger George W. Bush. Es hatte aber auch mit der unkonventionellen Lebensweise der Amerikaner zu tun, die ich gelinde gesagt als fragwürdig empfand.

      Meine Sehnsüchte und Träume, die ich mit Kalifornien verband, stammten aus meiner Jugend- und Hippiezeit. Ähnlich wie bei einer unerfüllten Liebe, die sich niemals dem Realitätstest stellen muss, blieben meine Vorstellungen romantisch verklärt. Das Monterey Pop Festival, Joan Baez, Bob Dylan, Golden Gate, Allen Ginsburg, Ashbury Road: Dieser «Summer of Love» fand 1967 statt, ein Jahr, bevor ich geboren wurde. Die Errungenschaften der darauf einsetzenden 68er-Bewegung prägten meine Jugend und die vielen Ansprüche an mein sehr bewegtes Leben. Kurz: Trotz diffuser Ressentiments bleiben die USA für mich eine Art gelobtes Land.

      Frei sein

      Wir alle haben den Wunsch auf Selbstverwirklichung und ein Leben außerhalb der strengen Konventionen. Glücklich werden, frei sein! «Die Freiheit ist ein wundersames Tier», singt der österreichische Liedermacher Georg Danzer, und weiter: «Man sperrt sie ein und augenblicklich ist sie weg.» Über Jahrzehnte habe ich diese Freiheit gesucht. Ich pilgerte mit Indien und Südamerika immer an die einschlägigen Strände, wo die Jugend die Freiheit vermutet. Das geschah so viele Jahre, bis ich längst nicht mehr jung war. Und die ersehnte Freiheit hatte ich trotz all meiner Reisen rund um die Welt niemals gefunden. Ich war ein Robinson Crusoe, der auf seiner eigenen kleinen Insel gefangen blieb.

      Es wurde mir immer wieder gesagt, ja förmlich eingetrichtert: «Du lebst in einem der freiesten Länder dieser Welt!» Die Schweiz sei ein Land, das gut zu seinen Bürgern schaut und sie sei auch ein reiches wie sicheres Land. «Was treibt dich immer wieder weg?», wurde ich gefragt. Und ich antwortete stets mit demselben Mantra: «Es ist das Gefühl, in einem goldenen Käfig gefangen zu sein.»

      Der Wohlstand und das Sicherheitsdenken meiner Landsleute hatte seinen Preis, und der war nach meiner Auffassung die Unfreiheit. Heute weiß ich, dass es nicht die Rahmenbedingungen waren,

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