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Читать онлайн.Nach dem Tod von Claudio Aquaviva folgte Muzio Vitelleschi. Seine Interventionen in dieser Frage waren hart. Das zeigt ein Brief aus dem Jahr 16287: Den Grund des Problems sieht Vitelleschi darin, dass junge Jesuiten sich tatsächlich von einem Geist leiten ließen, der dem Orden fremd war. Der sicherste Pfad sei, den normalen Richtlinien des Ordens zu folgen und dem Superior Gehorsam zu leisten. So gäbe es keine Abweichungen. Die Tendenz, den eigenen Einsichten zu folgen, würde bloß zu einem totalen Schiffbruch der Jesuiten führen. Vitelleschi insistierte auf der Notwendigkeit von Maßnahmen und bat um zusätzliche Informationen über die jungen Jesuiten. Surin war einer von ihnen: Zumindest zwei Ordner mit Beschwerden, die ihn betrafen, wurden nach Rom gesandt.
Das Generalat nahm also die Sache sehr ernst. Es hatte Sorge um die Identität und den Fortbestand des Ordens. In der Sichtweise Roms folgte die jüngere Generation der aquitanischen Jesuiten bloß ihren eigenen Einsichten, was vor allem auf die Lektüre bestimmter mystischer Autoren, die keine Jesuiten waren, zurückzuführen war. Nur Gehorsam konnte diesem Problem entgegenwirken, nur so könne „der Geist des Ordens“ gewahrt werden. Auf diesem Hintergrund wird der Satz verständlich: Das Interesse am hl. Josef bedrohte die Existenz des Jesuitenordens.
Eine späte Antwort Surins
Viele Jahre später, als die tiefe Krise durchgestanden war, verteidigte der alte Surin die mystische Dimension seiner Schriften sehr deutlich und verwehrte sich gegen die Anschuldigung, gegen den Gehorsam verstoßen zu haben. Dies tat Surin in seinem Buch Questions importantes à la vie spirituelle: Sur l’amour de Dieu8. Ohne Vitelleschi beim Namen zu nennen, geht Surin auf dessen Einwände ein und entkräftet sie. Dies mag beim flüchtigen Lesen nicht auffallen, aber eine genauere Analyse der in Frage kommenden Passagen offenbart die alte Debatte.
Surin beginnt mit der Beschreibung, was eine Person erfahren kann, die sich das erste Gebot zu Herzen nimmt. Denn Gott mit dem ganzen Herzen zu lieben – das ist nach Surin das Fundament des geistlichen Lebens schlechthin. Diese Liebe mag am Beginn unvollkommen sein. Eigeninteresse schwingt mit. Aber die Liebe kann wachsen hin zu einer stärkeren Orientierung am heiligen Gegenüber. Es wird möglich, sich selbst gänzlich zu vergessen und jede andere Form der Zuneigung von der Gottesliebe überlagern zu lassen. Solchen Menschen kann die Erfahrung der Gotteskindschaft zugänglich werden, von der Paulus sagt: „Der Geist selber bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind“ (Röm 8,16). Surin führt aus: „[Diese Worte] zeigen einen klar identifizierbaren Effekt. (…) In der Tat, wenn eine Person dieser Richtung im spirituellen Leben folgt und sie sich selbst großzügig und freigiebig Gott ganz gibt und nichts für sich selbst behält, sondern vielmehr sich selbst ganz der Liebe Gottes hingibt, dann wohnt die Gnade fühlbar in ihr. Sie fühlt einen inneren Sinn von Vertrauen und Frieden, die den guten und vertrauensvollen Freunden Gottes auf einzigartige Weise gegeben sind. Wie es unser Glaube lehrt: Der Heilige Geist lebt in uns und bringt seine eigene Güte als Zeichen seiner Präsenz. (…) Das Herz des Glaubenden ist davon überzeugt und bleibt es – nicht nur in Bezug auf allgemeine Glaubenseinsichten, sondern auch hinsichtlich einer Erfahrung (sentiment), welche kindlich (filial) und wundervoll zugleich ist. Die Seele bemerkt und weiß, dass sie zu Gott gehört, ohne Furcht, einer Illusion aufzusitzen; sie ist sich darüber sicher. (…) Es gibt zahlreiche gute und reine Seelen, denen Gott, nachdem sie lange in seiner Liebe gelebt und ihn in allem gesucht haben, eine derartige Erfahrung seiner Präsenz schenkt. (…) Kaum jemals wird das anderen gegeben, als jenen, die mit ihrem ganzen Herzen Gott suchen, Seelen, die ohne Vorbehalt ganz Gott gehören, ihm nichts verweigern (…) und keinen anderen Wunsch haben als seinen göttlichen Willen.“9
Die Erfahrung, die Surin hier beschreibt, ist zentral: Es geht um die Sohnschaft, also um die Zugehörigkeit zum Vater, wovon der Heilige Geist Zeuge ist. Davon erhält der Mensch Gewissheit, dass es keine Illusion ist. Die Sichtweise Surins stimmt mit einer langen mystischen Tradition überein. Außerdem entspricht sie dem, was Surin selbst erfahren und was er an anderen wahrgenommen hat, wie etwa am jungen Mann auf dem Weg nach Bordeaux. Die trinitarische und christologische Dimension Surins ist bemerkenswert. An dieser Stelle aber, so hebt Surin hervor, tauchte der Einwand auf. Der erste Einwand klingt wie eine Wiederholung dessen, was Vitelleschi einige Jahre zuvor geäußert hatte: „Diejenigen, die ersehnen, den Heiligen Geist der Gotteskindschaft zu bezeugen, bilden sich etwas auf ihre Einzigartigkeit ein. Hartnäckig beharren sie auf ihrer eigenen Intuition und geben ihr den Vorzug gegenüber dem, was ein Vorgesetzter sagt. Das ist eine Quelle der Illusion.“10
Das war Vitelleschis Thema: Junge, mystisch orientierte Jesuiten erlaubten sich selbst, sich zu stark von eigenen, persönlichen Einsichten leiten zu lassen. Demgegenüber hob Vitelleschi die Bedeutung des Gehorsams hervor. Surin besteht darauf, dass dieser Einwand ohne Begründung ist: „Diesem würde ich antworten, dass die Einsicht, welche reinen Seelen durch den Heiligen Geist gewährt wird, immer dem Licht des Glaubens konform ist. Dieses Licht überzeugt, sich gehorsam zu zeigen. Wer diesem Licht folgt, kann nicht irren; anders, wenn die Seele, die es erhalten hat, der Führung eines anderen folgt.“11
Fazit
Surin ist ein wichtiger Repräsentant der mystischen Spiritualität der Jesuiten im 17. Jahrhundert. Sein dramatisches Leben kann leicht von seinen Arbeiten zur mystischen Theologie, die er vor allem in den späten Jahren mit theologischer Präzision verfasst hat, ablenken. Doch bereits früh zeigte die Vorliebe für die Josefs-Verehrung, wie sie in manchen Briefen des jungen Jesuiten aufscheint, einen verschleierten Bezug zur mystischen Dimension. Diese Dimension war von den älteren Mitbrüdern und der Ordensleitung keineswegs gerne gesehen. Sie wurde als dem Geist des Ordens unangemessen bewertet, als etwas, was zum Ungehorsam verleitete. Aber Surin widersprach dieser Interpretation und lieferte solide theologische Argumente für seine Position.
*Dieser Beitrag wurde für GEIST & LEBEN in englischer Sprache verfasst. Übersetzung: Romana Kloiber.
1J.-J. Surin, Triomphe de l’amour divin sur les puissances de l’Enfer et Science expérimentale des choses de l’autre vie (Collection Atopia). Grenoble 1990.
2Zu Surins Werken vgl. M. de Certeau, Les oeuvres de J. J. Surin, in: RAM 40 (1964), 443–476; 41 (1965), 55–78.
3Brief 18, in: M. de Certeau (Ed.), Jean-Joseph Surin. Correspondance. Paris 1966, 140–143.
4Vgl. M. Bouix (Ed.), OEuvres spirituelles du Père Jean-Joseph Surin: Traité inédit de l’amour de Dieu, précédé de la vie de l’auteur. Paris 1890, 8; J.-J. Surin, Triomphe de l’amour divin, 281f. [s. Anm. 1].
5Brief 27 (20. Dezember 1632), in: Jean-Joseph Surin. Correspondance, 168ff. [s. Anm. 3].
6M. de Certeau, Crise sociale et réformisme spirituel