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Absicht und Zielen entsteht Resonanz und damit Verbundenheit; es konstituiert sich ein Resonanzdreieck (S. 106). Im Gegensatz dazu führen nicht gelingende Kommunikation und fehlende Resonanz zur Entfremdung, einem Phänomen, das als »Entfremdungsdreieck« benannt wurde (Rosa 2016).

      Im Beziehungsdreieck zwischen Behandler (z. B. Arzt), Patient und Krankheit finden sich oft auch destruktive Dynamiken, die als Opfer-Täter-Retter-Dreieck (Petzold 2021) beschrieben, erkannt und überwunden werden können. Wenn sich Patienten als Opfer ihrer Krankheit fühlen, werden Behandler zu Rettern. Werden zur Rettung sehr eingreifende und nebenwirkungsreiche Therapien notwendig oder bleiben die angekündigten oder erhofften Erfolge aus, werden die Retter als Täter und Therapien als Verfolgung erlebt. Um sich aus der Opferrolle zu befreien, beschuldigen Patienten nicht selten ihre Ärzte oder die Medizin. Indem Patienten zu Anklägern werden, geraten die ursprünglichen Retter in die Opferrolle. Diese Dynamik neigt dazu zu eskalieren, insbesondere wenn die Behandler dann ihrerseits zu beschuldigen beginnen oder zu immer nebenwirkungsreicheren Therapien greifen, um aus der Opferrolle heraus und wieder in die Rolle des Retters zu gelangen.

      Ein Ausstieg aus den in diesem Dreieck wechselnden Rollen wird durch eine patientenzentrierte Kommunikation mit ihren oben aufgeführten Funktionen möglich – indem wieder die Bedürfnisse und Werte des Patienten in den Vordergrund gerückt werden. Indem er in seiner Autonomie, aber auch mit seinen Emotionen und in seiner Verletzlichkeit gesehen und respektiert wird und erstrebenswerte Ziele Vorrang gegenüber einer Rettung bekommen, die um jeden Preis erfolgen soll.

       4.2Therapeutisch wirksame Kommunikation ist bedürfnisorientiert

      Den Leitlinien, aber auch einer ärztlich-therapeutischen Grundhaltung entsprechend, sollte es selbstverständlich sein, sich an den Bedürfnissen des einzelnen Patienten zu orientieren. Menschen mit einer Krebserkrankung machen aber leider sehr häufig andere Erfahrungen. In unserem Modell empfehlen wir als eine der Brillen, mit denen wir Patienten betrachten, eine Bedürfnisbrille. Patientenzentriertheit ist garantiert, wenn es gelingt, die individuellen, aktuellen, mittelfristigen und langfristigen Bedürfnisse der Patienten, ihr Gesund- und Kranksein, im Auge zu behalten. Die Bedürfnisbrille ermöglicht auch einen einfühlsamen, verständnisvollen und konstruktiven Umgang mit Gefühlen. Diese können als Signale betrachtet werden, die auf Bedürfnisse hinweisen.

      Da sich die Bedürfnisse im Verlauf einer Erkrankung verändern, werden wir bei den einzelnen Wegstrecken im Verlauf der Erkrankung immer wieder auch auf phasenspezifische Bedürfnisse eingehen und sie mit den auftretenden Gefühlen in Beziehung setzen.

      Wir werden ein Modell der vier emotionalen Grundbedürfnisse vorstellen: Bindung und Verbundenheit, Autonomie, Kompetenz und Orientierung (Abschn. 5.3.1, S. 61 f.) Sie dienen als Raster zur Suche nach Unerfülltem sowohl bei Patienten als auch ihren Behandlern. Zugleich regt die Bedürfnisbrille zum Perspektivenwechsel an, zur Umfokussierung von Problemen und Symptomen auf Wünschenswertes und Ressourcen. Gemeinsam kann immer wieder nach Möglichkeiten gesucht werden, auf eine Balance der Bedürfnisse zu achten und die Spielräume zu deren Erfüllung zu bemerken und auszuschöpfen.

      Die Bedürfnisorientierung bezieht sich auch und insbesondere auf die Art und Weise, wie Betroffene über ihre Krankheit informiert und in Entscheidungsprozesse einbezogen werden wollen. Diese Umsetzung wird anhand des SPIKES- und NURSE-Modells diskutiert (Abschn. 5.5.1). Die Bedürfnisorientierung bezieht sich nicht nur auf die angestrebten Ziele der Behandlung, sondern auch auf deren Prozessqualität. Sie bezieht sich schlussendlich darauf, auch das Lebensende – so weit wie möglich – den Bedürfnissen der Patienten und ihrer Angehörigen entsprechend zu gestalten (Abschn. 10.2, S. 334). In unserem Stufen- oder Pyramidenmodell bezeichnen wir das als die gemeinsame Erarbeitung und Einigung auf einen objektiv angemessenen und subjektiv möglichst befriedigenden Gesamtbehandlungsplan und dessen gemeinsame Modifikation je nach Krankheitsverlauf (Abb. 2, S. 53).

       4.3Therapeutisch wirksame Kommunikation ist beziehungsorientiert – Resonanz

      Kommunikation und Beziehung bedingen einander. Die Art und Weise der Kommunikation gestaltet die Beziehung; zugleich wird die Art der Kommunikation durch das Beziehungsangebot und die Haltung der Beteiligten beeinflusst. Eine evidenzbasierte Medizin fokussiert auf möglichst wissenschaftlich fundierten, nachgewiesenermaßen wirksamen Interventionen bei definierten Krankheiten und »Störungen«. Dabei bleiben Arzt und Patient als Personen und ihre Beziehung im bereits erwähnten Dreieck zwischen Arzt, Patient und dessen Krankheit (Kap. 3) zumindest konzeptuell unberücksichtigt. In unserem Plädoyer für eine resonanzbasierte Medizin wählen wir die aus Physik und Musik stammende Metapher der Resonanz für eine beziehungsorientierte Medizin: Ein Klangkörper schwingt in seiner Eigenfrequenz und bringt einen anderen zum Mitschwingen. Dessen Schwingung wirkt wieder auf den ursprünglichen Klangkörper zurück. Es entsteht Resonanz (Abb. 1).

       Abb. 1: Spontane Skizze zu interpersonaler Resonanz (MEH 1995) mit »inneren Harfen«, deren Saiten in Resonanz miteinander schwingen

      Das Bild des Klangkörpers macht deutlich, dass ein resonanzbasiertes Vorgehen auch einer körperlichen und emotionalen Resonanzbereitschaft und Schwingungsfähigkeit des Behandlers bedarf, einer bewussten, verkörperten Präsenz und der Bereitschaft, sich für eine begrenzte Zeit auf professionelle Weise als ganze Person zum Wohl des Patienten zur Verfügung zu stellen. Es bedarf darüber hinaus auch der Fähigkeit der Behandler, sich selbst immer wieder zu zentrieren und auf die persönliche Eigenschwingung einzustimmen. Diese eigene Erdung, Zentrierung und Einstimmung auf sich selbst ist Ausgangspunkt und Endpunkt des Zyklus, der als Trias von Präsenz, Einstimmung auf den Patienten und Resonanz beschrieben wurde (Siegel 2012; siehe S. 105 u. 174). Im Bereich der Achtsamkeit finden sich einfache Übungen, diese Fähigkeiten zur Präsenz zu kultivieren.

      Präsenz ist charakterisiert durch eine Haltung grundsätzlichen Wohlwollens dem Patienten gegenüber und dem Wunsch, dessen Leiden so weit wie möglich zu lindern. In diesem Sinne beschreiben wir sie als mitfühlende Präsenz. Indem die Behandler ihre Patienten als Mitmenschen betrachten, begegnen sie ihnen auf Augenhöhe. Indem sie sich ihrer eigenen Endlichkeit bewusst sind, ist ihnen auch klar, dass sie letzten Endes »im gleichen Boot« sitzen. Zugleich sind sie sich der Rolle gewahr, aus der heraus sie die Begegnung mit ihren Patienten gestalten. Der Begriff einer mitmenschlichen und mitfühlenden Professionalität beinhaltet dieses Rollenbewusstsein. Auch dazu zeigt die Achtsamkeitspraxis Wege auf, indem sie einen »Metaarzt« (S. 182) kultiviert. Der Metaarzt achtet darauf, diese Intentionen und die mit ihnen verknüpften höchst anspruchsvollen Übungsfelder nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu trägt auch eine Bewusstheit über jene Anteile seiner Gegenübertragung bei, die zwar in der Resonanz mit dem Patienten auftauchen, aber ihre Ursprünge in der eigenen Lebensgeschichte haben (S. 354 f.).

      Gerade angesichts der existenziellen Bedrohung im Rahmen onkologischer Erkrankungen erscheint uns neben der Unterstützung der Patienten beim Kampf gegen die Krankheit und für all das, was das Leben lebenswert macht, die Rolle eines »Begleiters ein Stück des Weges« (Ebell 2008b) von entscheidender Bedeutung. Dessen Gegenwart führt Patienten aus Isolation und Entfremdung. Sie ermöglicht ihnen, aus Kampf- und-Flucht-Zuständen mit verständlichen

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