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Besonderes Verwaltungsrecht. Mathias Schubert
Читать онлайн.Название Besonderes Verwaltungsrecht
Год выпуска 0
isbn 9783811453593
Автор произведения Mathias Schubert
Жанр Языкознание
Серия Schwerpunkte Pflichtfach
Издательство Bookwire
Der plebiszitär-demokratische Charakter des Bürgerbegehrens verleiht diesem einen besonderen Schutz gegenüber den Handlungen der Gemeindeorgane. Der aus dem allgemeinen Staatsrecht entwickelte Grundsatz der Organtreue gilt auch im Verhältnis der Gemeindeorgane zur Bürgerschaft im Rahmen eines Bürgerbegehrens. Gleichwohl besteht allein durch Einleitung eines Verfahrens zur Herbeiführung eines Bürgerbegehrens bzw Bürgerentscheides noch keine generelle „Entscheidungssperre“ für den Rat oder andere Gemeindeorgane[38]. Andererseits ist das Handeln der Gemeindeorgane aber dann als treuwidrig anzusehen, wenn es in der Sache oder hinsichtlich des dafür gewählten Zeitpunkts bei objektiver Betrachtung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, sondern allein dem Zweck dient, dem Bürgerbegehren die Grundlage zu entziehen und damit eine Willensbildung auf direkt-demokratischem Wege zu verhindern[39]. So darf der Gemeinderat nicht einseitig durch Beschleunigung von Verfahrensschritten, kombiniert mit einer Verzögerung des Verfahrens des Bürgerbegehrens Fakten schaffen, welche letztlich dem Bürgerbegehren die Grundlage entziehen[40]. Im Konfliktfall stellt sich mithin die Aufgabe, „die direkte Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene mit der Handlungsfreiheit der Gemeinden und ihrer gewählten Organe zu verbinden“[41].
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Rechtsschutzfragen können sich nun in allen diesen geschilderten Stadien des Bürgerbegehrens ergeben, wobei der praktische Schwerpunkt bei den Klagen gegen Entscheidungen über die Unzulässigkeit eines Bürgerbegehrens liegt. In allen denkbaren Konstellationen geht es im Kern um drei Grundfragen, die miteinander zusammenhängen: Wem steht das geltend gemachte Recht zu? Um welche Art von Recht – Innen- oder Außenrechtsverhältnis – handelt es sich? Und welche Klageart steht verwaltungsprozessual zur Verfügung, um das Klageziel zu erreichen? Insoweit lassen sich sieben verschiedene Fallkonstellationen unterscheiden, deren Thematisierung im Detail jedoch den Umfang dieses Lehrbuchs sprengen würde, weshalb hier auf die Rechtsprechung und Spezialliteratur zu verweisen ist[42].
2. Einwohnerantrag und Bürgerversammlung
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Ein weiteres, den Volksinitiativen in den Landesverfassungen vergleichbares Element plebiszitärer Bürgerbeteiligung stellt der Einwohnerantrag dar (vgl § 18 KV M-V; § 31 NKomVG; § 25 GO NRW; § 17 rh.pf.GO; § 23 sächs.GO; § 16f schl.h.GO; § 16 thür.KO; § 20b I 1 bd.wtt.GO – in Bayern und Bremen nur als „Bürgerantrag“, vgl Art. 18b bay.GO; Art. 87 II bremVerf.). Hierbei handelt es sich um das Recht der Einwohner, durch die Vorlage einer Unterschriftenliste zu beantragen, dass die Gemeindevertretung über bestimmte Angelegenheiten berät, welche im Rahmen ihrer Entscheidungszuständigkeit liegen. Anders als bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (o. Rn 108) geht es also nicht um die Herbeiführung einer Sachentscheidung im Wege der unmittelbaren Demokratie, sondern lediglich um eine Initiativkompetenz, um bestimmte Agenden auf die Tagesordnung der Gemeindevertretung setzen zu können (Anregungsrecht). Einen Anspruch auf eine bestimmte Sachentscheidung bietet der Einwohnerantrag allerdings nicht, weshalb seine Bedeutung für die kommunale Praxis eher gering zu veranschlagen ist[43].
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Die Bürgerversammlung (Art. 18 bay.GO; § 8a hess.GO; zu Einwohnerversammlungen siehe etwa § 23 II GO NRW; § 20a bd.wtt.GO; § 16 I 2 KV M-V; § 16 rh.pf.GO, § 22 sächs.GO, § 16b schl.h.GO, § 15 I 2 thür.KO) dient der Unterrichtung über bedeutsame Gemeindeangelegenheiten und der plastischen Präsentation und bürgernahen Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten.
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Zutreffend hat der BayVerfGH freilich die gesetzgeberische Verpflichtung betont, „die die Kommunalverfassung nach wie vor prägenden Elemente der repräsentativen Demokratie“ mit den vorgenannten Elementen unmittelbarer Demokratie in einer Weise zu verbinden, die sicherstellt, dass die Gemeinden handlungsfähig bleiben. Die Befugnisse der gewählten Vertretungsorgane dürfen nicht so beschnitten werden, dass dadurch das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt wird.
Als verfassungswidrig wurde so der gesetzgeberische Verzicht auf ein Beteiligungs- oder Zustimmungsquorum beim Bürgerentscheid im Zusammenhang mit einer mehrjährigen Bindungswirkung angesehen[44].
Wiederholungs- und Verständnisfragen
1. | Wie unterscheiden sich Einwohner und Bürger? Rn 99, 106 |
2. | Wie unterscheiden sich Bürgerbegehren und Bürgerentscheid? Rn 108, 111 |
Anmerkungen
Zum historischen Hintergrund dieser Zweiteilung vgl Mann, in: HKWP3, § 17 Rn 2 ff.
Insoweit kommt es nicht auf melderechtliche Besonderheiten, sondern allein auf die tatsächlichen Verhältnisse an, wie sie auch für die §§ 7–11 BGB relevant sind, vgl im Detail Mann, in: HKWP3, § 17 Rn 6 ff.
Dazu im Überblick H. Meyer, HKWP3, § 20.
Zur Frage eines Kommunalwahlrechts von „Drittstaatern“ s. Pfaff, ZAR 2011, 102.
Zum aktiven Wahlrecht mit 16 Jahren vgl § 48 I 1 Nr 1 NKomVG; § 7 KWG NRW; § 4 II Nr 1 LKWG M-V; §§ 14 I, 12 I GO BW; §§ 23 I, 21 II 1 KVG LSA; § 3 I Nr 1 GKWG SH; § 8 S. 1 Nr 2 Bbg.KWahlG; § 1 I Nr 1 ThürKWG. In neuester Zeit die Vereinbarkeit der Absenkung mit dem GG bzw. der Landesverfassung bejahend BVerwG, NJW 2018, 3328; zur darin bestätigten Vorinstanz vgl Waldhoff, JuS 2018, 501 und ThürVerfGH, NVwZ-RR 2019, 129.
Vgl § 48 I 1 Nr 2 NKomVG; § 12 I 1 GO BW; § 13 II Nr 3 rh.pf.GO; § 18 II KSVG Saarl.; § 15 I sächs.GO; abweichend etwa § 4 II 1 Nr 2 LKWG M-V: 37 Tage; § 3 I Nr 2 GKWG SH: 6 Wochen; Art. 1 I Nr 3 bay. GLKrWG: 2 Monate; § 7 KWahlG NRW: 16 Tage.
Vgl § 49 I 1 Nr 1 NKomVG; § 12 I KWG NRW; § 6 I 1 LKWG M-V; § 28 I GO BW; § 40 I 1 KVG LSA; § 6 I 1 Nr 1 GKWG SH; § 11 I 1 Bbg.KWahlG; § 12 ThürKWG.
Vgl § 50 I NKomVG, § 29 I GO BW; Art. 31 III bay.GO; § 37 HGO; § 25 KV M-V; § 32 sächs.GO; § 41 KVG LSA; § 31a GO SH; § 23 IV thür.KO.