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Besonderes Verwaltungsrecht. Mathias Schubert
Читать онлайн.Название Besonderes Verwaltungsrecht
Год выпуска 0
isbn 9783811453593
Автор произведения Mathias Schubert
Жанр Языкознание
Серия Schwerpunkte Pflichtfach
Издательство Bookwire
119
Die norddeutsche Ratsverfassung, die von der britischen Besatzungsmacht beeinflusst war und lange den Gemeindeordnungen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu Grunde lag, war im Ansatz ein monistischer Verfassungstypus, weil die Zuständigkeit für alle Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung hier grundsätzlich bei der Gemeindevertretung (Gemeinderat) lag. Der Gemeinderat war Dienstvorgesetzter des Hauptverwaltungsbeamten (Gemeinde-, Stadtdirektor), der als nachgeordnetes Verwaltungsorgan unter Verantwortung und Kontrolle des Rates tätig wurde. Den Vorsitz im Rat führte der ehrenamtlich tätige Bürgermeister, dem im Übrigen noch Repräsentationsfunktionen zufielen[4].
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Kennzeichen der in ihrer organschaftlichen Kompetenzzuordnung dualistisch geprägten süddeutschen Ratsverfassung, die seit dem 19. Jh. in Bayern und dem heutigen Baden-Württemberg anzutreffen ist und später auch in Sachsen, Thüringen und (mit Modifikationen) in Sachsen-Anhalt übernommen wurde, sind zwei unmittelbar von den Bürgern gewählte Gemeindeorgane: der Gemeinderat und der (erste) Bürgermeister. Anders als die Bezeichnung dieses Verfassungstyps nahelegt, ist die Stellung des unmittelbar demokratisch legitimierten Bürgermeisters, der die Verwaltungsgeschäfte erledigt, die Gemeinde nach außen vertritt und zugleich als Ratsvorsitzender fungiert, bei der süddeutschen Ratsverfassung besonders stark ausgeprägt[5].
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In der Magistratsverfassung, deren Wurzeln in der Steinʼschen Städteordnung von 1808 liegen[6] und die in den Städten Schleswig-Holsteins und in Hessen anzutreffen war, existierten zwei Kollegialorgane mit selbstständigen Entscheidungsbereichen: Neben der aus unmittelbarer Wahl hervorgegangenen Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung), dem Beschlussorgan, trat als Vollzugsorgan der von der Gemeindevertretung gewählte Gemeindevorstand (Magistrat), der sich aus dem Bürgermeister und einer bestimmten Zahl von hauptamtlichen oder ehrenamtlichen Beigeordneten zusammensetzte. Zum Kompetenzbereich des Gemeindevorstands gehörten die Erledigung der laufenden Verwaltungsgeschäfte nach Maßgabe der Beschlüsse der Gemeindevertretung und die Vertretung der Gemeinde. Nach der „echten“ Magistratsverfassung bedurften die Beschlüsse der Gemeindevertretung sogar der Zustimmung des Magistrats[7]. In Hessen findet sich auch heute noch eine „unechte“ Magistratsverfassung, bei welcher der vorerwähnte Zustimmungsvorbehalt entfallen ist und der Bürgermeister vom Volk gewählt wird (vgl §§ 39, 65 ff hess.GO)[8].
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Die dem französischem Vorbild folgende Bürgermeisterverfassung kennzeichnete traditionell die innere Gemeindeverfassung in Rheinland-Pfalz und (mit Abweichungen) dem Saarland sowie in den schleswig-holsteinischen Landgemeinden. Sie war ebenfalls dualistisch geprägt, weil sie den Bürgermeister als zweites Organ konzipierte, der gleichzeitig Ratsvorsitzender und Leiter der Verwaltung war und dabei über eine Reihe von eigenen, vom Rat unabhängigen Kompetenzen verfügte. Im Unterschied zur süddeutschen Ratsverfassung wurde der Bürgermeister jedoch nicht unmittelbar von den Bürgern, sondern vom Gemeinderat gewählt[9].
2. Zunehmende Konvergenz der Kommunalverfassungen
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Wie bereits vermerkt (Rn 118) haben sich diese vier Grundtypen von Kommunalverfassungen spätestens seit den 90er-Jahren durch vielfältige Modifikationen und Überlagerungen einander angenähert. Auch wenn insoweit noch nicht von einer Einheitlichkeit der Kommunalverfassungen ausgegangen werden kann, ist doch unverkennbar, dass vor allem die Elemente der süddeutschen Ratsverfassung mit einem infolge unmittelbarer Wahl durch die Bürger in seiner Position gestärkten Bürgermeister, der in sich die zentralen Funktionen des stimmberechtigten Vorsitzes im Rat, der Leitung der (monokratisch strukturierten) Verwaltung und der Repräsentation der Gemeinde nach außen hin vereinigt, beispielgebend für die kommunale Binnenorganisation in beinahe allen Ländern geworden ist[10].
In Kauf genommen wird damit freilich zugleich, dass bei dem Bürgermeister eine gegenüber der Ratsmehrheit unterschiedliche parteipolitische Ausrichtung besteht, die für die kommunale Willensbildung (bis hin zu gegenseitiger Neutralisierung) relevant werden kann. Gerade dies aber kann auch als „Filzbremse“ wirken[11].
In der Literatur wurde so bereits von einem Umbruch im deutschen Kommunalrecht hin zu „plebiszitären Bürgermeisterverfassungen“[12] und von „Verfassungssynkretismus“[13] gesprochen.
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Insbesondere in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, die früher der Norddeutschen Ratsverfassung folgten, haben sich zahlreiche Veränderungen ergeben:
– | Die sog. Doppelspitze wurde abgeschafft. Als kommunaler Wahlbeamter ist nunmehr ein hauptamtlicher Bürgermeister (Rn 162 ff) verantwortlich für die Leitung und Beaufsichtigung des Geschäftsgangs der gesamten Verwaltung (§§ 80 V, 85 NKomVG, hier mit dem Sammelbegriff „Hauptverwaltungsbeamtin“ bzw „Hauptverwaltungsbeamter“ bezeichnet; § 62 I 1, 2 GO NRW). Der Bürgermeister, der in NRW zugleich jeweils den Vorsitz in Rat und Hauptausschuss innehat (vgl §§ 40 II 4, 57 III 1 GO NRW), wird von den Bürgern unmittelbar auf die Dauer von fünf (NRW) bzw acht (Nds.) Jahren nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt (§ 80 I 2 NKomVG; § 65 I GO NRW). Durch die Maßgabe, dass diese Wahl zeitgleich mit der Wahl des Rates zu erfolgen hat, könnte zudem die Einheitlichkeit der politischen Führung der Gemeinde signalisiert werden. Der Bürgermeister erhält ehrenamtliche Stellvertreter, die ihn bei der Leitung der Ratssitzungen und bei der Repräsentation vertreten und vom Rat aus seiner Mitte gewählt werden (§ 81 II, III NKomVG; § 67 I GO NRW)[14]. Der Bürgermeister kann auch wieder abgewählt werden (vgl § 82 NKomVG; § 66 GO NRW). |
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– | Mit dem sog. Verwaltungsvorstand (vgl § 70 GO NRW) wurde in NRW ein neues Gremium institutionalisiert, bestehend aus Bürgermeister, hauptamtlichen Beigeordneten und dem Kämmerer, das an die Stelle der früher (auf der Grundlage von § 52 GO NRW aF) vielfach üblichen Beigeordneten- oder Dezernentenkonferenz getreten ist. Ihm wird mangels eigenständiger Entscheidungsbefugnisse die Organqualität abgesprochen[15]. Unter dem Vorsitz des Bürgermeisters, der auch bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet, wirkt der Verwaltungsvorstand beratend insbesondere mit bei – den Grundsätzen der Organisation und der Verwaltungsführung, – der Planung von Verwaltungsaufgaben mit bes. Bedeutung, – der Aufstellung des Haushaltsplans, – den Grundsätzen der Personalführung und Personalverwaltung. |
Insofern wurden hier gewisse Elemente der Magistratsverfassung appliziert.
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Der in Niedersachsen bestehende Hauptausschuss (§§ 74 ff NKomVG) ist hingegen kein Produkt der Reformentwicklungen,
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