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sich in mehr als 25 % der Fälle die Diagnose einer somatischen Belastungsstörung (diagnostiziert nach den Kriterien des DSM-5; Häuser et al. 2015). Dessel et al. (2016) fanden in einer Stichprobe mit Patientinnen und Patienten mit medizinisch unerklärten Körperbeschwerden, dass bei 92,9 % die DSM-IV Kriterien einer somatoformen Störung erfüllt waren, aber nur 45,5 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Kriterien der somatischen Belastungsstörung nach DSM-5 erfüllten. Eine Studie aus einem psychiatrischen Setting in China (Huang et al. 2016) berichtet im Unterschied dazu, dass 40,3 % der Patientinnen und Patienten die DSM-5-Kriterien erfüllten und lediglich 24,6 % die Kriterien der somatoformen Störungen nach DSM-IV.

      Forschungsbedarf zur Prävalenz

      Auch die Prävalenzangaben der somatischen Belastungsstörung schwanken also stark je nach untersuchtem Setting. Es bedarf weiterer epidemiologischer Studien, um die neuen Diagnosekriterien nach DSM-5, aber auch ganz aktuell nach ICD-11, systematisch zu untersuchen.

      2.1.6 Kulturelle Aspekte

      Somatoforme Störungen sind in allen Kulturen bekannt und auch die häufigsten körperlichen Symptome scheinen, unabhängig von der Kultur, gleich zu sein. Dennoch findet sich eine Häufung somatoformer Beschwerden in bestimmten Kulturkreisen (APA 2013; Lee et al. 2011; Rief et al. 2001). Über verschiedene Kulturen variiert vor allem die Art und Weise, wie somatische Symptome ausgedrückt werden (Kirmayer / Sartorius 2007). Somatische Symptome können in einer bestimmten Kultur eine spezifische Bedeutung haben. Die kulturelle Umgebung hat auch einen Einfluss darauf, wie somatische Symptome interpretiert werden und welche Ursache den Symptomen zugeschrieben werden. Darüber hinaus kann die Kultur beeinflussen, wie und wann Patientinnen und Patienten medizinische Versorgung in Anspruch nehmen und den Krankheitsverlauf zu beeinflussen versuchen.

      Häufigkeit bei Flüchtlingen erhöht

      In einem aktuellen Review zeigte sich, dass die Häufigkeit somatoformer und funktioneller Symptome bei Flüchtlingen aus nichtwestlichen Ländern im Vergleich zu nicht geflüchteten Personen aus der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht ist. Damit ist Somatisierung ein gesundheitspolitisch relevantes, aber selten adressiertes Problem in Flüchtlingspopulationen. Mögliche Erklärungen für die erhöhten Prävalenzangaben sind aufgrund der Heterogenität der in den Studien verwendeten Methodik schwer zu treffen. Sie liegen aber vermutlich in einer bei dieser Gruppe allgemein erhöhten Psychopathologie infolge von Traumatisierung, aber auch infolge eines erhöhten Stigmatisierungserlebens gegenüber psychischen Diagnosen und Behandlungen (Rohlof et al. 2014).

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Angsterkrankungen und Depressionen die häufigsten Komorbiditäten bei somatoformen Störungen (und somatischen Belastungsstörungen) darstellen. Vor allem bei schweren Verlaufsformen funktioneller und somatoformer Körperbeschwerden bestehen außerdem oft komorbide Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen (v. a. Alkohol- und Medikamentenabusus).

      Am Ende des aktuellen Kapitels wird auf Suizidalität als schwerste begleitende Komplikation bei somatoformen Störungen eingegangen. Die wichtigsten Differentialdiagnosen werden in Kap. 5 dargestellt.

      2.2.1 Psychische Komorbidität bei somatoformen Störungen

      psychische Komorbidität häufig

      Eine ganze Reihe von Studien belegt die hohe Komorbidität von somatoformen Körperbeschwerden und verschiedenen anderen psychischen Erkrankungen (Fröhlich et al. 2006). Eine „reine“ somatoforme Störung ist selten und die psychische Komorbidität stellt eher die Regel als die Ausnahme dar. Komorbide psychische Erkrankungen können dabei in einem (möglicherweise wechselseitigen) ursächlichen Zusammenhang mit den Körperbeschwerden stehen. Die einzelnen Störungsbilder entstehen aber nicht notwendigerweise gleichzeitig oder verlaufen parallel. Manchmal liegen viele Jahre zwischen dem Erstauftreten der somatoformen und einer weiteren komorbiden psychischen Symptomatik, wobei sich in einigen Fällen zuerst die somatoforme Störung und in anderen Fällen zuerst die andere psychische Störung entwickelt (Hiller / Rief 1997).

      Am häufigsten berichten Patientinnen und Patienten mit somatoformen Störungen zusätzlich belastende angstbezogene oder depressive Symptome (Kohlmann et al. 2016), wobei dies nicht bedeutet, dass immer die vollen Diagnosekriterien für eine Angststörung oder Depression erfüllt sind. Die Komorbidität ist so hoch, dass lange diskutiert wurde, ob funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden überhaupt eigene Krankheitsentitäten sind oder eigentlich nur Manifestationen einer depressiven oder Angststörung darstellen (Kleinstäuber et al. 2016). Dagegen spricht, dass sich, trotz hoher Komorbiditätsrate, bei ca. 20 % der Patientinnen und Patienten mit somatoformen Körperbeschwerden keine affektive Symptomatik findet, wobei die Raten hier je nach Art, Dauer und Schweregrad der Beschwerden und dem jeweiligen Versorgungssetting schwanken (Henningsen et al. 2007). Darüber hinaus sprechen hohe Komorbiditätsraten zwischen psychischen Störungen nicht grundsätzlich gegen das Vorliegen distinkter klinischer Entitäten, sondern können auch durch die zum Teil wenig spezifisch formulierten Diagnosekriterien selbst verursacht werden (Maj 2005).

      Das vermehrte gleichzeitige Auftreten von somatoformen, angstbezogenen und depressiven Symptomen wird in der Primärversorgung auch als so genannte „Somatisierungs-Angst-Depressions-Triade“ beschrieben (Hänel et al. 2009).

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      Somatisierungs-Angst-Depressions-Triade

      Es wird geschätzt, dass jede / r zweite Patient / in mit einem der SAD-Syndrome (Somatisierung, Angst oder Depression) unter mindestens einem weiteren leidet (Löwe et al. 2008; Abb. 2.2). Da die entsprechenden Untersuchungen zwar einerseits eine hohe Überlappung dieser Phänomene, gleichzeitig aber auch deren Unabhängigkeit belegen (Henningsen et al. 2003; Löwe et al. 2008), wird weiterhin davon ausgegangen, dass es sich bei somatoformen Störungen, Angststörungen und Depressionen jeweils um eigenständige Krankheitsentitäten handelt. Diagnostisch wird dabei vorgeschlagen, Komorbiditäten ohne Hierarchien nebeneinander zu diagnostizieren (und auch zu verschlüsseln; Stein / Müller 2008; Kap. 5).

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      Eine große epidemiologische Studie aus der deutschen Allgemeinbevölkerung kam zu dem Schluss, dass Komorbidität bei insgesamt 44 % aller Fälle bei Patientinnen und Patienten mit einer psychiatrischen Diagnose vorhanden ist. Die Kombination aus somatoformen, Angst- und depressiven Störungen fand sich dabei in 4,7 % der Fälle (Jacobi et al. 2014).

      In einer Studie von Rief et al. (1992) fand sich bei 47 % der untersuchten Patientinnen und Patienten mit einer Somatisierungsstörung zusätzlich auch eine depressive Störung (Lebenszeit-Diagnosen). Seltener fand sich eine Komorbidität mit einer Agoraphobie (17 %), Panikstörung (13 %), Zwangsstörung (10 %), Essstörung (17 %) oder Alkoholabusus (20 %). Nur bei 7 % der Patienten mit somatoformer Störung bestand in dieser Studie keine andere zusätzliche Störung (Hiller / Rief 1997). Auch Traumafolgestörungen treten gehäuft zusammen mit somatoformen Störungen auf. Für die Posttraumatischen Belastungsstörungen finden sich Zahlen zwischen 8 % bis 19 % (Spitzer et al. 2009; Lieb et al. 2007). In einer Studie, die im Hausarztsetting durchgeführt wurde (n >10.000), zeigten diejenigen Patientinnen und Patienten mit einer Somatisierungsstörung sechsmal häufiger ein erhöhtes Maß an Angst oder depressiven Symptomen als diejenigen ohne Somatisierung (30 % versus 5 %; Clarke et al. 2008).

      Risikofaktoren für Komorbidität

      Für das Vorliegen einer komorbiden Angstsymptomatik und / oder Depression bei somatoformen Störungen wurden zahlreiche Risikofaktoren identifiziert. Ein konsistent belegter Risikofaktor ist eine hohe Anzahl an somatischen Symptomen. So steigt mit zunehmender Anzahl körperlicher Symptome auch die Symptombelastung durch Angst-

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