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Trotzdem waren Katharina und Jessica nicht unbedingt Freundinnen. Das ist etwas anderes.«

      »Hat Frau Jütting sich mal abwertend über Jessica Wagner geäußert?«

      »Nicht, dass ich mich erinnere, nein. Es ist nur ein Gefühl, mehr nicht.«

      »Meinten Sie vorhin Frau Jütting, als Sie sagten, jetzt hätte sie erreicht, was sie wollte?«

      »Das weiß ich nicht mehr, vielleicht. Ich habe an keine konkrete Person gedacht.«

      »Trotzdem ist es Ihnen spontan herausgerutscht.«

      »Das passiert mir häufig. Ich denke nicht immer, bevor ich spreche. Das wird mir oft zum Verhängnis. Daran sind schon viele Beziehungen gescheitert.«

      »Gerade habe ich das Gefühl, dass Sie die kranke Sängerin der Tat bezichtigen.«

      »Glauben Sie, was Sie wollen.« Er streckte seinen Rücken durch und setzte seinen Hut auf.

      »Wie lange kannten Sie sich? Sie und Jessica Wagner?«

      »Seit ungefähr zehn Monaten. Damals war Jessi Backgroundsängerin einer völlig unbekannten Band und trällerte nur unterstützend den Refrain mit. Sie konnte mehr, das habe ich gleich gemerkt. Sie hatte Potenzial. Ich habe sie angesprochen und gefragt, ob sie Lust auf Probeaufnahmen hätte. Natürlich hatte sie das. Wir haben unsere Nummern getauscht und gleich am nächsten Tag habe ich sie angerufen. Von da an unterstützte sie uns manchmal als Backgroundsängerin, sie und ihre Freundin Angie. Aber Angie blieb nicht lange, zum Glück. Hat sich bei uns anscheinend nicht wirklich wohlgefühlt. An Talent fehlte es ihr sowieso. Von daher war ich froh, dass Angie von selbst die Segel gestrichen hat und ich sie nicht rausschmeißen musste.«

      Birthe erkundigte sich nach dem Namen der Band und musste zugeben, dass sie ihn nie zuvor gehört hatte.

      »Eine Osnabrücker Band«, erklärte Tobecke. »Gibt es schon lange, genau genommen seit Jahrzehnten, ist aus einer Schülerband hervorgegangen. Damals hießen wir ›Nonsense‹. Jürgen und ich kennen uns seit unserer Kindheit. Aber erst jetzt starten wir so richtig durch. Wir bekommen inzwischen Anfragen aus ganz Niedersachsen mit guten Gagen. Das war früher nicht der Fall. Da mussten wir gewaltig Klinken putzen, wenn wir mal irgendwo auftreten wollten. Gemäß dem Slogan: ›Zahlen können wir nichts, aber es ist ja auch Werbung für Sie, wenn Sie auftreten.‹ Geil, ne?« Er legte mitleidheischend sein Gesicht in Falten.

      »Was ist mit diesem Jürgen? Wie heißt er mit Nachnamen?«

      »Jürgen Teepe. Er ist älter als ich, geht auf die 60 zu. Hat immer noch Flausen im Kopf. Dem merkst du sein Alter nicht an, der spielt virtuos Saxophon wie kein anderer. Ein guter Gitarrist ist er außerdem.«

      »Wer gehört noch zur Band?«

      »Max Grewe, Schlagzeuger. Er ist ziemlich jung, aber das spielt keine Rolle. Er hat’s voll drauf. Ich hoffe, er wird uns erhalten bleiben, denn er studiert schon seit Ewigkeiten Psychologie und will ja vielleicht mal fertig werden mit dem Studium. Dann ist da noch Clarissa Will, eigentlich Erzieherin. Sie hat eine schöne, tiefe Soulstimme. Tolle Frau, wenn auch nicht mein Typ. Aber sie füllt die Bühne aus, lebt ihr Ding und strahlt das aus, das ist wichtig.«

      »War sie gestern mit am Maibrunnen?«

      Er nickte. »Ja, eine Weile. Dann ging sie weiter, hatte wohl eine Verabredung.«

      »Okay, weitere Bandmitglieder?«

      »Meine Wenigkeit. Ich bin Gitarrist. Und eben Katharina, die frühere Frontsängerin.«

      Birthe runzelte die Stirn. »Frühere Frontsängerin?«

      »Ja. Jessica Wagner sollte ihren Platz einnehmen. Was ich jetzt mache, muss ich mir erst überlegen. Vielleicht hole ich Katharina zurück, ich glaube allerdings eher nicht. Ich werde wohl nach einer neuen Sängerin Ausschau halten.«

      »Okay. Ich benötige die Kontaktdaten Ihrer Bandkollegen.«

      Kläglich sah er sie an. »Hat das nicht Zeit bis nach der Maiwoche? Ich brauche die Jungs und Mädels jetzt. Sie können nicht abliefern, wenn sie durcheinandergebracht werden. Morgen haben wir den nächsten Auftritt.«

      »Ach, und der Tod ihrer Bandkollegin bringt sie nicht durcheinander? Wollen Sie den vor Ihren Leuten geheim halten?«

      Tobecke sah aus dem Seitenfenster. Ein Mann mit Funktionskleidung und einem großen Hund kam gerade vorbei und spähte mit misstrauischer Miene zu ihnen hinüber.

      »Ich kann leider keine Rücksicht darauf nehmen, dass gerade Maiwoche ist«, sagte Birthe. »Wir ermitteln in einem Mordfall. Da zählt jeder Tag, jede Stunde, jede Minute.«

      »Also gut, ich suche die Nummern raus. Die Adressen meiner Kollegen habe ich zu Hause.« Er zückte sein Handy und wischte auf dem Display herum.

      Birthe notierte die Namen und Rufnummern der fünf Bandmitglieder und vergewisserte sich, alles richtig geschrieben zu haben. Carsten Tobecke irritierte sie. Zweifelsohne hatte er Charme. Mit seinem zerknautschten Gesicht erinnerte er sie an eine Handpuppe aus einer Muppet Show. Birthe musste lächeln bei dem Vergleich. Knuffig sah er auf jeden Fall aus. Typ Teddybär, ein Mann zum Anlehnen, sie konnte sich vorstellen, dass er bei Frauen gut ankam.

      »Wie lange waren Sie zusammen am Maibrunnen?«

      »Bis halb zwölf etwa. Dann hatte ich keine Lust mehr. War dann auch irgendwie durch.«

      »Was haben Sie danach gemacht?«

      »Ich bin ins Hotel gegangen.«

      »Ach, Sie übernachten im Hotel? Ich denke, Sie spielen in einer Osnabrücker Band. Wohnen Sie nicht in Osnabrück?«

      »Nein, in Rheine. Ist mir zu weit abends. Ich mag es, nach dem Feiern keine weiten Wege mehr zu haben. Ein paar Meter zu Fuß in die Koje, das ist doch schön. Und wenn ich mal Lust habe, eine Frau mitzunehmen, ist das kein großes Ding. Nach Rheine hätte wohl keine Dame Lust mitzukommen.«

      »In welchem Hotel sind Sie?«

      »Im Remarque. Nur ein Katzensprung zu den Auftrittsorten. Zum Glück, denn nach einem Gig bin ich ziemlich fertig. Außerdem darf ich trinken, muss mir keine Gedanken über den Heimweg machen. Taxis kriegt man eh nicht um die Zeit. Können Sie vergessen.«

      Birthe nahm ihn ins Visier. »Was haben Sie zwischen 23.30 und 1.30 Uhr gemacht?«

      Er machte einen tiefen Atemzug. »Ach, jetzt kommt die Frage nach dem Alibi. Sie halten mich für verdächtig? So eine Frage wurde mir zuletzt als Halbstarker gestellt, als eine Brandserie aufgeklärt werden sollte. Na schön: Gepennt habe ich. Als ich im Hotel ankam, bin ich gleich ins Bett gehüpft. Ich habe geschlafen wie ein Baby, bis 8.30 Uhr, als mein Handy mich brutal aus dem Schlaf gerissen hat.« Wie um das Gesagte zu unterstreichen, rieb er sich ein Auge und gähnte.

      »Und die anderen?«

      »Keine Ahnung. Sie wollen sie ja sowieso fragen. Die sind auf jeden Fall länger geblieben.« Seine Stimme klang heiser. Er legte den Kopf zurück, atmete tief durch und schloss die Augen.

      »Wie ist Jessica nach Hause gekommen? Hat sie jemand begleitet?«

      »Nein. Sie ist mit dem Bus gefahren«, murmelte er mit halb offenen Lidern. »Ist das Vernünftigste, was sie tun konnte.«

      »Wann ist eigentlich Ihr nächster Auftritt?«

      Er drehte sich zu ihr hin und blinzelte. »Morgen spielen wir am Nikolaiort. Ab 20 Uhr.«

      »Werden Sie ihn absagen?«

      Tobecke schüttelte den Kopf. »Nee, das kann ich mir nicht leisten. Wir stehen unter Vertrag. Die Konventionalstrafe wollen wir uns sparen.« Er zog einen Schmollmund. Volle, sinnliche Lippen, stellte Birthe fest. Als hätte Tobecke ihre Gedanken erraten, sah er ihr tief in die Augen. Er lächelte. »Hätte ich nicht gedacht, dass es so tolle Frauen bei der Polizei gibt. Könnte weitaus schlimmer sein.«

      Birthe ging nicht darauf ein. »Fühlen Sie sich dazu überhaupt schon wieder

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