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wandte sich an Daniel. »Ist die Staatsanwältin informiert worden?«

      »Ja. Frau Koswalla ist auf dem Weg. Sie bringt den Durchsuchungsbefehl und die Anordnung zur Obduktion mit.«

      »Ist der Notarzt noch da?«

      »Nein, er ist gerade gefahren. Hier ist der Totenschein.« Daniel überreichte ihr das Dokument. »Unnatürliche Todesursache« war angekreuzt, aber das war ja ohnehin eindeutig.

      Birthe hatte ihre erste Hemmung überwunden und hockte sich zu der Frau. Eine schlanke, fast zierliche Statur, sommerlich gekleidet, große Kreolen in den Ohren, feiner, gerader Nasenrücken, das sah sie von der Seite, helle Augenbrauen, solariumgebräunte Haut, verschiedene Ringe an den sorgsam manikürten, feingliedrigen Händen. Aus dem Mund war eine bräunliche Flüssigkeit gequollen.

      »Ist das Blut?«, fragte sie und deutete auf die Mundwinkel der Toten.

      Hansmann verneinte. »In der Küche stehen Essensreste. Ich vermute, sie hat kurz vor ihrem Tod Currywurst gegessen.«

      Birthe hatte erst vor einer halben Stunde ausgiebig gefrühstückt und verspürte erneut einen Anflug von Übelkeit. Sie stand auf. »Sie lebte alleine hier?«

      Hansmann nickte. »Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie mit jemandem zusammenlebte. Aber das lässt sich ja schnell in Erfahrung bringen. Es ist ein Zweiparteienhaus. Die obere Wohnung wird ebenfalls von einer alleinstehenden Dame bewohnt.«

      »Wenn sie dem Täter nachts selbst die Tür geöffnet hat, könnte es sich um eine Beziehungstat handeln.«

      »Möglich«, sagte Hansmann. »Es ist definitiv kein Raubmord. Keine offenen Schränke und Schubladen, kein Chaos in der Wohnung. Ihre Handtasche lag auf der Kommode im Flur. Alles drin, Geld, Ausweispapiere, Handy.«

      »Das Opfer weist keine Verletzung an Händen oder Armen auf«, sagte Birthe. »Anscheinend hat es keinen Kampf, keine Abwehrbewegung gegeben. Offenbar wurde sie überrascht. Der Täter muss sie von hinten angegriffen haben. Sie war vollkommen arg- und wehrlos.«

      »Sie muss ihn gekannt haben, sonst hätte sie ihm wohl kaum den Rücken zugedreht«, fasste Daniel seine Beobachtungen zusammen.

      Birthe nickte. »Davon gehe ich auch aus. Schau dir mal die Kleidung der Toten an. Sie trägt Ausgehklamotten und Schuhe, silberfarbene Riemchensandaletten mit hohem Absatz. Sie ist stark geschminkt. Sieht nicht nach einem gemütlichen Fernsehabend auf dem Sofa aus. Sie muss unterwegs gewesen sein. Vielleicht hat sich der Täter mit ihr zusammen in die Wohnung gedrängt.«

      Nachdenklich zupfte sich Daniel am Ohr. »Sollte es eine Beziehungstat gewesen sein, wird ein Streit vorausgegangen sein. Die Nachbarn könnten etwas mitbekommen haben.«

      Birthe sah sich in dem etwa 40 Quadratmeter großen, schlauchförmigen Raum um. Ein Wohnraum wie aus einem Hochglanzmagazin. Parkettboden, weiße Sprossenfenster mit goldenen Beschlägen, weiße Kassettentüren. Auf der Südseite, die zum gepflegten Garten zeigte, befand sich eine hellgraue Sitzlandschaft mit niedrigen Beistelltischen und einem flauschigen Teppich. An der Wand hing ein großer Flachbildschirm. Die Nordseite mit Erker wurde als Essbereich genutzt. Ins Auge fiel ihr ein moderner Kaminofen, davor ein großer Holztisch mit Metallbeinen und sechs verschiedenfarbigen Lederstühlen. Ein paar dezent platzierte antike Möbel verliehen dem Raum Wärme und Tiefe. Die Einrichtung wirkte repräsentativ und ungewöhnlich für eine junge Frau.

      Die Kollegen von der Tatortgruppe hatten bereits an jenen Stellen, an denen Spuren gesichert worden waren, Karten aufgestellt.

      »Reiches, armes Mädchen«, sagte Daniel, der Birthes Blick gefolgt war. »Nur womit ist sie reich geworden? Allein durch Mama und Papa?«

      »Habt ihr die Tatwaffe?«, erkundigte sich Birthe.

      »Nein, bisher nicht«, sagte Daniel. »Wir hoffen, dass wir sie bald finden.«

      »Ich schaue mich mal um.« Birthe verließ das Wohnzimmer, gefolgt von Daniel.

      Die Küche hatte einen quadratischen Zuschnitt und bot eine herrliche Aussicht auf den Garten. Sie war mit hochwertigen, weißen Einbaumöbeln ohne Griffe, viel Edelstahl und teuren Geräten ausgestattet.

      »Okay«, sagte sie und deutete auf den hohen Tisch. »Hier hat sie also gesessen und ihre letzte Mahlzeit eingenommen. Currywurst, Pommes rot-weiß, Cola. Nur ein Barhocker ist zum Sitzen vorgezogen worden, der andere wurde nicht bewegt. Die Cola hat sie ausgetrunken. Die Wurst hat sie nur zur Hälfte gegessen. Es sieht so aus, als sei dabei gestört worden. Das würde bedeuten, sie war vor dem Täter in der Wohnung.«

      »Vielleicht wollte sie vor dem Ausgehen noch was zu sich nehmen, hatte dann aber keinen Appetit mehr.«

      Birthe ging zum Abfalleimer und nestelte mit langen Fingern ein Einpackpapier heraus, an dem Reste der braunen Soße pappten. »Nur eine Portion hat sie geholt. Schwierig herauszufinden, an welchem Stand sie die Currywurst gekauft hat, bei dem Überangebot an Imbissbuden.«

      »Wir werden es herausfinden«, meinte Daniel.

      »Was ist mit ihrem Handy? Brauchen wir die PIN?«

      »Ja. Ich hoffe, die Kollegen kommen schnell dran. In der Regel ist das ja kein Problem.«

      »Wir müssen wissen, mit wem sie kurz vor ihrem Tod Kontakt hatte, ob sie sich vielleicht mit jemandem für die Maiwoche verabredet hatte.«

      »Klar«, meinte Daniel.

      »Wer hat die Polizei gerufen?«

      »Die Nachbarin von oben, Else Leinweber. Die Frau hat einen Schock erlitten und ist nicht vernehmungsfähig. Momentan wird sie im RTW versorgt.«

      »Ach ja, von der älteren Dame habe ich schon gehört. Ich werde mal nach ihr sehen. Vielleicht ist sie inzwischen in der Lage zu reden.«

      Kapitel 3

      Der Rettungswagen stand halb auf dem Bürgersteig. Durch die offene Tür sah Birthe eine ältere Frau darin. Sie erkundigte sich bei den Rettungssanitätern nach dem Befinden der alten Dame und setzte sich zu ihr auf einen ausklappbaren Hocker. »Frau Leinweber, mein Name ist Birthe Schöndorf von der Osnabrücker Kriminalpolizei. Sie haben Ihre Nachbarin gefunden. Wie geht es Ihnen? Fühlen Sie sich imstande, mir ein paar Fragen zu beantworten?«

      Die alte Dame nickte.

      »Was haben Sie gesehen? Wenn Sie reden möchten, höre ich Ihnen zu«, sagte Birthe leise.

      »Ich bin froh, dass endlich die Polizei da ist. Ich hatte so eine Angst.« Else Leinweber strich über ihren Handrücken, in dem eine Infusionsnadel steckte, nickte. Sie wirkte mitgenommen.

      »Wann haben Sie Ihre Nachbarin gefunden?«

      »Ich weiß nicht genau. Es war furchtbar. Ich bekam eine Panik, ich dachte, ich sterbe! So etwas Entsetzliches habe ich noch nie gesehen. Es war wie in einem Horrorfilm!«

      »Das glaub ich Ihnen«, sagte Birthe mitfühlend.

      »Das können Sie nicht verstehen, weil Sie es nicht selbst erlebt haben.«

      »Nein, darum wäre es schön, wenn Sie mir davon erzählen würden.«

      »Irgendwas haben die mir gegeben. Ich bin auf einmal todmüde und könnte auf der Stelle einschlafen.« Für einen Moment schloss Else Leinweber ihre Augen, sodass Birthe fürchtete, sie würde es tatsächlich tun. »Ich habe noch nie etwas derart Furchtbares erlebt«, jammerte die Frau. »Und das bei mir zu Hause! Ich hatte Todesangst. Ich dachte, der Mörder treibt sich irgendwo im Haus rum und will mich auch abstechen.«

      »Haben Sie jemanden gesehen?«, fragte Birthe vorsichtig.

      »Nein. Trotzdem hatte ich die ganze Zeit über das Gefühl, er wäre da.«

      »Sie fühlten sich beobachtet?«

      »Ja. Da war jemand, das Gefühl hatte ich.«

      »Wodurch? Haben Sie Geräusche gehört oder etwas Außergewöhnliches wahrgenommen?

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