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kenne nur das Plakat, das ihn mit Judenpass zeigt«, gab sie zu.

      »Er war ein Osnabrücker Jude aus großbürgerlicher, wohlhabender Kaufmannsfamilie. Sie besaßen eine herrschaftliche Villa in Osnabrück und führten ein gutes Leben. Sein Vater war Hobbymaler, der das Talent seines Sohnes erkannt und gefördert hat. Felix Nussbaum hat Anfang der 30er-Jahre noch große Erfolge gefeiert, in Osnabrück und in Berlin. Leider musste er mit Beginn der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 emigrieren, zunächst nach Italien und Frankreich, später nach Belgien, zusammen mit seiner Frau Felka Platek, seiner großen Liebe. Seitdem lebte er in Brüssel in ständiger Angst vor Verfolgung. Im Versteck malte er weiter, und seine Werke veränderten sich. Die dunklen Farben und schroffen Konturen sind Sinnbild seiner zerrissenen, ängstlichen Seele. Er hatte wohl eine düstere Vorhersehung, die sich in seinen Werken zeigt. Das Exil hat aus ihm einen kaputten Mann gemacht.«

      Sie erreichten über einen gläsernen Gang das Innere des Nussbaum-Hauses. Im holzverkleideten Haupttrakt fanden sich frühe Werke des Künstlers, die seine Liebe zur Natur und seine positive Lebenseinstellung ausdrückten.

      Als sie über die zinkverkleidete Nussbaum-Brücke den »Gang der ungemalten Bilder« erreichten, blieb Max stehen und zog Katharina zur Seite. Sie waren allein, und er nutzte sofort die Chance, um sie zu küssen.

      »Ich finde es hier nicht sonderlich romantisch«, sagte sie.

      »Warum? Weil es mal nicht rosarot zugeht? Weil es keine Kerzen gibt, keine Blumen und keine Geigen?«

      »Sei nicht so zynisch. Mich bedrückt die Atmosphäre. Ich finde sie beklemmend.«

      »Ach ja? Ist doch interessant, was der Architekt daraus gemacht hat. Passt gut zu Nussbaums Werken. Selten spiegeln sich die Werke eines Künstlers so deutlich in der Architektur eines Gebäudes wider.«

      »Ist Felix Nussbaum umgebracht worden?«

      Max nickte. Sie gingen weiter. Kamen an Fenstern vorbei, die gezackt waren wie Blitzeinschläge, an spitzen Winkeln, harten Materialien wie Beton und Zink. Ständige Richtungswechsel über schiefe Ebenen sorgten für Verwirrung und Unbehagen.

      Katharina fühlte sich von der bizarren Architektur überfordert.

      »Mir wird schwindlig«, stöhnte sie. »Das ist ja dunkel hier wie im Kerker. Einfach gruselig. Und alles ist schief.«

      »Das ist beabsichtigt«, erklärte er. »Die dunklen Töne, schroffen Materialien und schiefen Ebenen sollen Nussbaums Gemütszustand versinnbildlichen. Der amerikanische Architekt Daniel Libeskind hat sich etwas dabei gedacht, als er den Komplex aus drei ineinander übergehenden Gebäuden konzipiert hat. Ich finde es grandios. Der Besucher nähert sich so Nussbaums Seelenzustand an, seiner Verzweiflung, seiner inneren Zerrissenheit, seinen Depressionen. Wenn wir ein Gefühl von Schwindel verspüren, können wir nachvollziehen, wie der Künstler in den letzten Jahren seines Wirkens den Halt verloren hat, die Orientierung. So geht es mir auch manchmal. Manchmal verliere ich den Halt, besonders, wenn ich daran denke, dass unsere Beziehung nicht von Dauer sein wird, weil du dich nicht offen zu mir bekennst.« Er hatte einen melancholischen Ausdruck im Gesicht.

      »Bitte hör auf!« Sie ließ ihn stehen und ging einfach weiter.

      Rasch hatte er sie eingeholt. »Felix Nussbaum hat sich nie sicher gefühlt im Exil; er musste jederzeit damit rechnen, denunziert und verhaftet zu werden«, rief er atemlos. »Ich verstehe seine Unsicherheit, auch wenn ich vielleicht nicht verfolgt und vom Tod bedroht bin. Aber man kann nie wissen.«

      Sie riss ihre Augen auf. »Wie meinst du das? Was erzählst du für einen Käse? Du hast einfach zu viel Psychozeug gelesen.«

      Max fixierte sie mit einem seltsamen Blick. »Es ist kein Käse, Katharina. Manchmal habe ich Angst. Ich bin mit dir hierhergekommen, damit du verstehst, wie ich das meine.«

      Sie hatten den dunkelsten Raum erreicht. Darin hingen jene Bilder, die Nussbaum kurz vor seinem Tod im Exil gemalt hatte. Es waren finstere Prophezeiungen, die der Maler auf die Leinwand gebannt hatte.

      Max blieb vor einem Gemälde stehen. Es zeigte das bekannte Selbstbildnis des Malers. »Ich muss dir was sagen«, begann er stockend. Er schluckte sichtbar. »Jessi ist tot.«

      »Was sagst du da?« Katharina begann zu frösteln. Die düsteren Bilder, die dunklen Betonwände und Betonböden um sie herum nahmen ihr die Luft zum Atmen. Sie hatte das Gefühl, den Halt zu verlieren und von der Atmosphäre verschluckt zu werden.

      »Carsten hat mich angerufen. Sie ist letzte Nacht in ihrer Wohnung gestorben. Jemand hat sie erstochen.«

      Fassungslos starrte sie ihn an. »Du lügst.«

      »Warum sollte ich?«

      »Das erzählst du mir hier? Ausgerechnet hier? Du hast mich in diese unheimlichen Katakomben gelockt, um mir etwas derart Schreckliches mitzuteilen?«

      Er nickte ernst. »Du musst mir sagen, was du weißt, Katharina.«

      »Was soll ich wissen?«

      »Genau das ist die Frage, die mich brennend interessiert.«

      Sie lachte hysterisch. »Du glaubst nicht wirklich, dass ich was damit zu tun habe!«

      Er zog die Schultern hoch. »Sag du es mir, Katharina. Du hast sie gehasst, das ist kein Geheimnis.«

      »Ja und? Das macht mich nicht zur Mörderin! Ich bin doch nicht bescheuert und bringe sie deswegen um!«

      »Wo warst du denn gestern? Du hörst dich nicht erkältet an, so schnell wird man nicht gesund. Also, wo warst du?«

      »Zu Hause. Ich bin wirklich erkältet, das merkt man, wenn ich länger rede. Das geht voll auf meine Stimme, und manchmal muss ich husten. Unmöglich, so auf der Bühne zu stehen.«

      »Kann das jemand bezeugen?«

      »Dass ich krank war?«

      »Dass du zu Hause warst.«

      Sie trat einen Schritt zurück und sah ihn finster an. »Du redest wie ein Polizist. Verdächtigst du mich etwa? Was bildest du dir ein?«

      »Entschuldigung, das war nicht so gemeint. Ich glaube, wir werden alle noch vernommen. Vielleicht ist es gut, wenn du dich darauf vorbereitest!«

      Sie senkte den Kopf. »Darauf antworte ich nicht. Ich bin dir keine Antwort schuldig.«

      »Ich verdächtige dich nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass Jessis Tod irgendwie mit dir zusammenhängt. Was ist mit deinem Stalker?«

      »Müller? Der ist harmlos, Max. Mit dem werde ich fertig.«

      »Könnte er dahinterstecken?«

      »Aus welchem Grund?«

      Er kraulte seinen Bart. »Um dich zu beschützen? Dass der Mensch nicht richtig tickt, wissen wir. Für mich steckt eine tiefgreifende Persönlichkeitsstörung dahinter, möglicherweise Asperger oder Borderline. Vielleicht auch beides. Seine soziale Interaktion ist erheblich eingeschränkt und er zeigt Stereotypen und zwanghafte Verhaltensweisen. Er bräuchte dringend eine Therapie. Die Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass er sich seiner Krankheit stellt, dass er sie akzeptiert und sich eine Veränderung wünscht. Und das ist gerade bei Asperger-Patienten schwierig. Durch die autistischen Züge fällt es den Betroffenen schwer, eine Störung bei sich zu erkennen und sich einem Therapeuten anzuvertrauen.«

      »Vielleicht ist er ja schon in Therapie.«

      Max zuckte mit den Schultern. »Wenn du wirklich nichts weißt, dann tippe ich auf ihn. Vielleicht ist seine kranke Denke, du würdest zurückkommen, wenn er deine Konkurrentin erst einmal ausgeschaltet hat.«

      »Müller ein Mörder? Niemals! Er ist krank, okay, aber ich habe ihn nie aggressiv erlebt. Außerdem kapiert er, wenn er zu weit gegangen ist. Das hat er bisher jedes Mal eingesehen und sich getrollt. Nein, mit deiner Vermutung liegst du völlig falsch!«

      »Wir werden sehen«, sagte Max und rieb sich ein Auge. »Ich werde ihn nicht anzeigen,

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