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Einladende für alle Christen.

      Dabei sollte das Bild von Familie, welches das Alte wie das Neue Testament zeichnet, eigentlich von einem allzu euphorischen Lobpreis der Blutsbande zurückhalten. Die schützen vor Mord und Totschlag, Habgier und Neid, Verrat und Unverständnis nämlich nicht. Jesus selbst wird offenbar von seiner Sippe verkannt („Er ist von Sinnen!“) und beantwortet die Frage: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ schlicht so: „Wer den Willen Gottes erfüllt.“ Um seinetwillen, so prophezeit er, würden sich Familienmitglieder gegenseitig in den Tod schicken. Seine Apostel lassen ihre Familien zurück, um ihm nachzufolgen. In der Bergpredigt durchbricht Jesus das überlieferte Clandenken mit den wuchtigen Fragen: „Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?“ Das Christentum kann also nur durch biblische Ignoranz oder Falschmünzerei zur Familienreligion stilisiert werden.

      Andere ideologische Überformungen des Glaubens, etwa der religiöse Sozialismus oder Ökopazifismus, stießen bei Konservativen zu Recht auf Kritik. Für ihre eigene ideologische Deformation des Glaubens müssen sie erst noch sensibilisiert werden. Die Reaktionen sind dann aber meistens uneinsichtig und aggressiv. Den Splitter im Auge der Anderen sehen sie wohl, den Balken im eigenen Auge nicht.

      Eine Szene aus einem diözesanen Pastoralrat: Mitglied X, Familienvater, schlägt, wie in jeder der halbjährlichen Sitzungen, unter „Verschiedenes“ vor, einen „Familienkongress“ abzuhalten. Welcher Gutmeinende wollte dagegen Einspruch erheben? Doch einmal meldet sich eine couragierte ältere Frau zu Wort und kontert: „Wir sollten unsere Aufmerksamkeit lieber mal auf die vielen Vereinsamten in unseren Großstädten richten“. Recht hat sie! Da wird nämlich von manchen, die lieber um die eigene Lebenswirklichkeit kreisen, eine pastorale Herausforderung ersten Grades übersehen. Womöglich nicht nur eine pastorale, sondern auch eine normative, vielleicht sogar theologische: denn der Wert einer erfüllten, Gott wohlgefälligen Existenz auf Erden bemisst sich nicht vorrangig an der Fertilität oder Bereitstellung künftiger Rentenbeitragszahler. Das Christentum bricht menschliches Nützlichkeitskalkül radikal auf.

      Jeder stiftet dem Gemeinwohl seine Talente zu: der eine durch eine große Kinderschar und liebevolle Erziehung, der andere durch berufliche Spitzenleistungen mit außergewöhnlichem Arbeitseinsatz bis hin zu einer 60- oder 70-Stunden-Woche, der nächste durch seine vorbildliche Charakterstärke, die gegen die Dunkelheiten des grassierenden Egoismus, Opportunismus, Materialismus und Hedonismus wie ein Leuchtturm strahlt. Wieder ein anderer durch eine große Biographie des Gebets oder durch die unermüdliche Verkündigung der Frohen Botschaft. Und mancher vielleicht nur dadurch, dass er eine schwere Krankheit oder Behinderung mit vorbildlicher Tapferkeit und Demut ein Leben lang trägt, ohne zu jammern.

       UNTERBELICHTET: DIE ETHIK DER FREUNDSCHAFT

      Überlassen wir das Thema Familie also nicht den bloß Selbstzufriedenen, den Ideologen und den Materialisten, die einen Klassenkampf der Kinderreichen gegen die Kinderlosen predigen und das Glück der Elternschaft, das selbstverständlich mit Opfern verbunden ist, verdunkeln. Entdecken und schätzen wir als Christen neu die Vielfalt der Berufungen zu einem fruchtbaren Leben und auch die Vielfalt der Möglichkeiten, für Kinder da zu sein. Lassen wir nicht zu, dass das Christliche überwölbt und verfremdet wird durch das Rechtskonservative, für das Familie und Vaterland die höchsten Werte sind. Für den Christen sind sie es nicht. Was sich auch als ein Stück „Entweltlichung“ begreifen lässt: Nicht im Sinne einer Geringschätzung diesseitiger Lebenswirklichkeiten, sondern einer jenseitigen Perspektive, die weltliche Glücksmaßstäbe relativiert und den Sinn irdischer Pilgerschaft nicht darin sieht, in Nachkommenschaft „weiterzuleben“, sondern in der himmlischen Herrlichkeit Gottes.

      Der Familienbegriff erstreckt sich heute, weit über die Kernfamilie hinausgreifend, für jeden Sechsten sogar auf „enge Freunde, Freundinnen“. Dies dürfte als kompensatorisch zu erklären sein angesichts der Verkleinerung der Kernfamilien und der häufigeren geographischen Zerstreuung der weiteren Familie durch die erhöhte berufliche Mobilität. Es ist daher an der Zeit, neben der kirchlichen Sorge für die Familie theologisch und seelsorglich auch eine Ethik christlicher Freundschaft zu pflegen, die ein Beziehungsnetzwerk der Liebe und Fürsorge dort gewährleisten hilft, wo kein „Blut zieht“. Für diese Erweiterung des Blickwinkels spricht nicht zuletzt ein Befund aus dem in 27 Sprachen übersetzten Bestseller „The Top Five Regrets of the Dying“ von Bronnie Ware. Sie begleitete auf der Palliativstation todkranke Patienten und schrieb auf, was diese im Rückblick auf ihr Leben bedauerten. Eines der fünf wichtigsten Versäumnisse: „Ich wünschte mir, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrecht erhalten.“ Die hohe Bedeutung von Freundschaft würde vielen Menschen erst bewusst, wenn ihr eigenes Leben zu Ende gehe. Sie seien zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen, um sich genug Zeit für die Pflege von Freundschaften zu nehmen. „Jeder vermisst seine Freunde, wenn er stirbt.“

       Andreas Püttmann

      geb. 1964, Dr. phil., Politikwissenschaftler und freier Publizist; zuvor Wiss. Mitarbeiter und Referent für Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung; sein Buch „Gesellschaft ohne Gott. Risiken und Nebenwirkungen der Entchristlichung Deutschlands“ (2010) erscheint in vierter Auflage bei Gerth Medien.

      LITERATUR

      Püttmann, Andreas, Wertschätzung und Wandel von Familie – Empirische Erkenntnisse in christlicher Perspektive, in: Augustin, George / Kirchdörfer, Rainer (Hg.), Familie. Auslaufmodell oder Garant unserer Zukunft? Freiburg / Basel / Wien 2014, 99-113 (mit Quellenangaben der hier referierten empirischen Befunde).

       Danke für Freundschaft, für Freundschaft in der Familie und für die (christliche) Familie!

      Die Replik von Josef Römelt auf Andreas Püttmann

      Als ich aufgrund meiner Behinderung zunehmend Probleme hatte, meine Texte am Computer mit der Hand zu schreiben, schaffte ich mir eine Worterkennungssoftware an. Sie setzt das gesprochene Wort in geschriebenen Text um. Um sie zu trainieren, musste ich einen Text vorlesen, der über den Umgang von Berufsgruppen mit der deutschen Sprache handelte. Er behauptete, dass vor allem Journalisten dazu neigen, neue Worte zu erfinden – für eine Erkennungssoftware natürlich ein Problem. Es ist leichter, Gewohntes wiederzuerkennen, als Neues und Ungewohntes zu identifizieren.

      Das neue Wort vom Familismus scheint eine soziologische Erfindung zu sein. Meine Erkennungssoftware – modernste Technik – kennt diesen Begriff nicht, muss sich an dieses Wort gewöhnen. Es mag richtig sein, dass Menschen in einer Gesellschaft, die vor allem das Ungewöhnliche und das Neue wertschätzt, mit einer gewissen Härte Werte vertreten, die mit diesem Ausdruck „Familismus“ offenbar verbunden werden: Orientierung an lebenslanger Partnerschaft, Kinderreichtum und Glaubenstreue. Aber sozialwissenschaftliche Analyse lässt auch erkennen, dass der oft maßlose Druck, den die moderne Welt mit ihrer vor allem durch die ökonomischen Interessen geprägten Logik ausübt, die Lebbarkeit von Familie enorm belastet. Ist es hilfreich, die Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Familienformen zu vertiefen?

       EINE CHRISTLICHE DEUTUNG VON FREUNDSCHAFT UND LIEBE

      Vielleicht hilft eine Entfaltung christlicher Deutung von Freundschaft und Liebe weiter. Schon Thomas von Aquin nennt als Kennzeichen der Sakramentalität christlicher Ehe neben der Sichtbarmachung der Liebe Gottes und der Weitergabe des Lebens an Kinder die eheliche Freundschaft (!). Mit dem Wort Freundschaft versucht er, die emotionale Intimität und die gegenseitige Hilfe zu beschreiben, welche die Partner füreinander bedeuten. Genau diesen Gedanken hat das Zweite Vatikanische Konzil aufgegriffen und mit dem Wort der Freundschaft beschrieben, dass die Ehe nicht ein Vertrag, sondern ein Bund ist, den die Partner schließen (GS 49). Und es ist richtig: den Partnern helfen Freundschaften, welche

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