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und eine offene Blockhütte, auf deren Dach im dicken Moos viele kleine Nadelbäumchen wuchsen.

      »Jetzt mal Näheres, wenn ich bitten darf«, kam von Lindt. »Am Telefon habe ich den Eindruck bekommen, Sie vermuten einen Zusammenhang mit polizeiinternen Querelen.«

      »Nimm dich bloß in Acht.«

      »Wer, ich?«, unterbrach Lindt erstaunt. »Waren wir schon beim ›Du‹?«

      »Was Gott verhüten möge«, antwortete Lea Frey, und ihr Gesicht verfärbte sich dabei dunkel.

      Sieht so Zornesröte bei alten Staatsanwältinnen aus?, fragte sich Lindt. Sattes Braun, wenn man sie auf die Palme bringt?

      Na gut, er wollte es nicht übertreiben. Vielleicht war das ja auch »Leberbraun«? War sie auf Schwarzwald-Gin geeicht? Immerhin wurde der hier in der Nähe hergestellt.

      »›Nimm dich bloß in Acht‹, das haben angeblich mehrere Kripo-Kollegen in letzter Zeit zu Kühn gesagt. Natürlich niemals unter Zeugen.«

      »Von wem wissen Sie es dann?«

      Die »Eiserne« überlegte kurz. »Auch wenn Sie es nicht glauben, es gibt durchaus Personen, für die ich so vertrauenswürdig bin, dass sie sich direkt an mich wenden.«

      »Hat also doch jemand mitgehört?«

      »Liegt ja auf der Hand. Aber ich habe mein Wort gegeben.«

      »Okay«, überlegte Lindt. »Wir werden sehen. Geht’s jetzt links hoch zum Waldcafé?«

      »Nein, bleiben Sie unten. Immer auf dem ebenen Weg. Wir haben erst die Hälfte bis zum Löwenbrunnen zurückgelegt.«

      »Den kenne ich nicht von früher.«

      »Das Waldcafé und seine Kuchenpracht wahrscheinlich schon«, giftete Lea Frey und kniff Lindt schnell in seinen strammen Bauchspeck.

      »Au!«

      »Beschweren Sie sich ruhig. Haben Sie Zeugen?«

      »Ich werte es als Liebkosung«, grinste Lindt unverschämt zu ihr hinüber und passierte einen weiteren Brunnen, bei dem das Wasser in dünnem Strahl aus dem Maul einer grässlichen, aus Sandstein gemeißelten Kreatur floss. »Halt, war er das, der Löwenbrunnen?«

      »Nein, weiter«, befahl Lea Frey. »Da vorne an der nächsten Hütte gabelt sich der Weg. Wir bleiben oben, geradeaus.«

      Der Kommissar tat, wie ihm geheißen, und manövrierte sein nicht gerade geländegängiges Fahrzeug routiniert den schmalen, mit rotem Sand belegten Weg entlang. Bei Unebenheiten fuhr er noch ein wenig langsamer und erreichte nach ungefähr zwei Kilometern eine Ansammlung mehrerer PKWs und Transporter. »Anscheinend sind wir da.«

      »Nicht ganz. Jetzt geht’s zu Fuß weiter. Dort, den Berg hoch.«

      Zweifelnd sah Lindt die Staatsanwältin an.

      »Mein Ernst. Steigen Sie aus, schließen Sie ab. Da lang!« Die hagere Juristin war bereits einige Schritte vorausgeeilt und sah sich um. »Kommen Sie, kommen Sie. Etwas Bewegung wird Ihrer Figur guttun.«

      Oskar Lindt ließ sich nicht hetzen. Betont bedächtig stemmte er sich in die Höhe, reckte sich erst einmal und sog die harzige Waldluft tief in seine Lungen. Warm ist es hier auch, aber längst nicht so drückend schwül wie in Karlsruhe unten, ging ihm durch den Kopf. Er sah sich um und betrachtete die stolzen Tannen und Fichten. Wald, grüner Wald, ja, das hätte er sich vor einigen Stunden auch noch nicht träumen lassen, dass seine Vision so schnell zur Realität würde. Gemächlich folgte er der »Eisernen« und erreichte nach gut hundert Metern den Löwenbrunnen, der sich als Kneippanlage mit Schutzhütte erwies. Offensichtlich stammte alles noch aus der guten alten Zeit, als in Freudenstadt der Kurgastbetrieb Hochkonjunktur hatte. »Luftschnapper« waren damals in Scharen gekommen, um sich in der »ozonreichen« Waldluft zu erholen.

      Der Kommissar registrierte einen kleinen, aber trockengelegten Sandsteinbrunnen mit der Aufschrift ›Willst frischen Mut, trink Löwenblut‹ und eine fünfeckige Wassertretstelle, die aus einem in der Mitte senkrecht aufragenden Metallrohr mit frischem Nass gespeist wurde. Ein rundes Eisengeländer, an dem sich die Kurgäste beim Wassertreten festhalten konnten, umgab das Wasserrohr.

      »Da drin?« Er sah die Staatsanwältin fragend an.

      Sie nickte. »Unfassbar, der Anblick«, und winkte einem von drei Kriminaltechnikern, die noch auf Spurensuche waren. »Haben Sie die Fotos parat?«

      »Klar«, antwortete der Kollege und nahm einen Tabletcomputer aus dessen Schutzhülle. Seine Hände zitterten, als er das Gerät hielt. »Hier, bitte. Unser Chef. Tot, ganz tot. Sitzend, dort an das Geländer gelehnt. Blickrichtung talwärts.«

      Lindt setzte seine Lesebrille auf, um die Bilder genauer betrachten zu können, und erschrak.

      War er das wirklich, der Franz? Franz-Otto Kühn. Kahl rasierter Schädel, grauer, dichter Vollbart? Wie lange hatten sie sich nicht mehr gesehen? Zwei Jahre oder drei? Früher war er doch immer glatt rasiert gewesen und hatte eine gepflegte Frisur getragen. Und jetzt so?

      Lindt registrierte Sportkleidung, kurze Hose, ärmelloses Laufshirt, Asics – Runningschuhe und … er hielt die Luft an … ausladende Tattoos, die sich über die ganzen Schulterbereiche und Oberarme erstreckten. Franz, bist du’s? Was ist denn mit dir passiert?

      Allerdings, je länger er das Gesicht betrachtete, umso mehr Ähnlichkeiten mit dem in der Erinnerung gespeicherten Bild seines Kollegen ergaben sich.

      »So kennen Sie ihn wohl noch nicht?« Lea Frey hatte das sachte Kopfschütteln des Kommissars bemerkt.

      »Ja, der Kühn hat sich verändert. Mordsmäßig sogar, in den letzten Jahren.«

      Lindt atmete tief durch. Ein verstörender Anblick, sowohl seine äußerlichen Veränderungen als auch die Tatsache, dass Franz-Otto Kühn tot war. Obwohl er in langen Berufsjahren schon genügend kalte Leichen gesehen hatte, ließ ihn dieser Anblick alles andere als kalt. Er war dankbar, dass er den Toten nur auf den Bildern präsentiert bekam und nicht in natura. In echt. Echt tot, angelehnt sitzend, mit hängendem Kopf, im knietiefen Wasser der Wassertretstelle Löwenbrunnen im Freudenstädter Erholungswald.

      Auf weiteren Bildern stach eine ausgeprägte längliche Verletzung am Hinterkopf sofort ins Auge, aufgrund der fehlenden Haare mit besonders prägnanter Wirkung auf den Betrachter.

      »Stumpfer Gegenstand?«

      Der Techniker nickte: »Unserer ersten Einschätzung nach hat er dort einen starken Schlag erhalten. Wird gerade in der Rechtsmedizin Tübingen untersucht. Bestimmt machen die auch eine Computertomografie.«

      »Hmm«, brummte Lindt und sah sich eine Nahaufnahme genauer an. »Schädelbruch ist sicherlich möglich.«

      »Ich habe denen dort gleich eine klare Ansage gemacht«, unterbrach die Staatsanwältin. »Alles stehen und liegen lassen. Diese Untersuchung hat Vorrang.«

      »Und«, wollte Lindt wissen, »hatten Sie Erfolg?«

      »Ich kenne den Professor persönlich!«

      Der Kommissar verkniff sich eine hässliche Bemerkung wie: ›Könnte in Ihrem Fall auch ein Hinderungsgrund sein‹ und nickte. »Todesursache Schädelbruch? Ja, vielleicht, es wird sich zeigen.«

      »Kann auch anders sein. Die Barthaare waren feucht, und bei der Bergung kam einiges an Wasser aus seinem Mund«, berichtete der Techniker.

      »Wie? Hatte die Totenstarre noch nicht eingesetzt?«

      »Nein, war erst im Anfangsstadium. Die Tat muss in der Morgendämmerung geschehen sein. Die Zeugin, die ihn gefunden und den Schreck ihres Lebens bekommen hat, sagt, sie sei immer eine der Ersten im Wald. Badet wohl regelmäßig ihren Hund dort unten in der Kuhle.«

      Er wies zum Graben, in dem das aus der Kneippstelle überfließende Wasser talwärts rann. Ein Holzschild am Baum neben dem Kolk war beschriftet mit ›Hier bade ich‹, darunter ein stilisierter Hund in Badewanne.

      Oskar

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