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geht es hier nicht. Das, was diese Worte ausdrücken sollen, hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889–1951) einmal so ausgedrückt: »Suche das einfachste Gesetz, das mit den Fakten harmoniert.« Oder Einstein mit seinem unnachahmlichen Sprachwitz: »Eine Theorie sollte so einfach wie möglich sein, jedoch nicht einfacher.« Was ist damit gemeint? Nun, es ist diejenige Erklärung zu favorisieren, die die Fakten am einfachsten erklärt. Dabei ist »einfach« nicht so zu verstehen, dass die Theorie einfach erscheint, sondern, dass sie die wenigsten unbeweisbaren Annahmen macht.

      Wenden wir nun dieses Rasiermesser auf das Problem des Weltalters an. Die Kirche bietet dazu eine durchaus mögliche Erklärung an, die aber von der nicht beweisbaren Annahme ausgeht, es gäbe einen Gott, der die Paläontologen hinters Licht führen will. Im Sinne Ockhams ist dies eine nicht notwendige, vervielfachende Annahme. Denn es gibt eine Theorie der Paläontologen, die ohne diese zusätzliche Annahme auskommt und in diesem Sinne einfacher ist. Damit ist die Theorie der Paläontologen zu bevorzugen und daher diejenige, die man bevorzugen sollte. Wohlgemerkt, Ockhams Rasiermesser ist kein Beweismittel, sondern nur ein Argument, wenn auch ein starkes, für die Auswahl der richtigen Theorie aus vielen, wenn es keine weiteren Argumente gibt. Doch selbst wenn es tiefergehende fachliche Argumente für oder gegen andere Theorien gibt: Wer möchte sich schon die Mühe machen, in die Untiefen logischer Beweise hinabzusteigen? Für eine schnelle Orientierung hilft Ockhams Rasiermesser, und das liefert zumeist sogar auch die richtige Antwort. Was will man mehr?

      3 – IST GOTT EIN MATHEMATIKER?

      Ist das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben? Wenn man sich die Wissenschaften so anschaut, könnte man das glauben. Ganz so ist es aber nicht.

      WAS MANCHE SO DENKEN

      Die Mathematik spaltet die menschlichen Lager. Diejenigen, die sie nicht mögen, halten sie für Teufelswerk, bestenfalls Menschenwerk. Umgekehrt halten ihre Liebhaber sie für die Krone der Wissenschaften. Der alte Platon (ca. 428 v. Chr. – 348 v. Chr.), ein Zahlenfetischist, ging sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn war unsere Mathematik lediglich ein mattes Abbild einer höheren Realität. Mathematische Zahlen bildeten in seiner Ideenlehre eine eigene Welt, nämlich die Zahlenwelt als Ideenkonzept, die unabhängig von unserer Welt existiert. Unsere Zahlen sind sozusagen Konkretisierungen dieser Zahlenkonzepte in unserer Welt. Jedes Mal wenn ich eine Zahl auf ein Blatt Papier schreibe, wird aus einer abstrakten Zahlenidee in der Überwelt eine konkrete Zahl in der unseren. In der objektorientierten Programmierung würde man heute sagen: Es gibt einen Objekttyp »Zahl« und eine Instanz »Zahl«. Diese Behauptung ist starker Tobak. Erstens lässt sich diese Annahme durch nichts beweisen (genauer: Gemäß Poppers Wissenschaftstheorie lässt sie sich nicht falsifizieren). Solche Gedankenklimmzüge sind nach unserem wissenschaftstheoretischen Verständnis auch nicht notwendig, und wendet man Ockhams Rasiermesser (siehe vorherigen Artikel) darauf an, ist Platons Ideenwelt sowieso falsch.

      Und dann gibt es noch diejenigen, für die Mathematik ein Buch mit sieben Siegeln ist, dem man einfach nicht trauen darf. So interpretiere ich einen Leser, der mir schrieb: »Ach hört doch endlich auf mit der Mathematik! Die Mathematik wurde von Menschen erfunden, und sie glauben, dadurch alles erklären zu können. Ja sogar das Universum zu verstehen. Das ist das Absurde dabei.« Selbst mancher Mathematiker steht dem ganzen Zahlenzauber skeptisch gegenüber. So soll der berühmte deutsche Mathematiker Leopold Kronecker (1823–1891) im Jahr 1886 gesagt haben: »Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht. Der Rest ist Menschenwerk.« Ein sehr beliebter Aphorismus in unserer Gesellschaft, den wohl auch der zitierte Leser im Sinn hatte.

      Die Wissenschaftler sind sich ansonsten aber einig. Ohne Mathematik geht in den Wissenschaften gar nichts. Bereits Galileo Galilei (1564–1642) meinte Anfang des 17. Jahrhunderts: »Die Mathematik ist das Alphabet, mit dem Gott die Welt geschrieben hat.« Genau diese Einstellung vertritt heutzutage der einflussreiche israelische Astrophysiker Mario Livio mit seinem Buch Ist Gott ein Mathematiker? Warum das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben ist.

      WAS NATUR UND MATHEMATIK GEMEINSAM HABEN

      Ist also die Natur reine Mathematik ewiger Wahrheit oder nur Menschenwerk und somit anfechtbar? Schauen wir uns die Natur an. Ein Vorschlaghammer fällt auf meinen Fuß. Autsch! Ist dieser Vorgang durch Zahlen getrieben? Wohl kaum, denn Zahlen symbolisieren nur etwas, sind aber nicht selbst dieses Etwas. Was den Fall des Hammers bestimmt, ist das Gravitationsgesetz F = mMG/r2. Es beschreibt, wie die Erde mit Masse M im Abstand r (hier Erdradius) auf die Masse m des Hammers einwirkt. Dabei ist G eine feste Konstante, die berühmte Gravitationskonstante. Solche Naturgesetze unterliegen der Logik (ich sage bewusst »der« und nicht »einer« Logik). Die Logik im Gravitationsgesetz ist nicht das Gravitationsgesetz selbst, sondern dass die Massen multiplikativ die gegenseitige Anziehungskraft bedingen. Das ist logisch, denn Multiplikation ist kommutativ, also 3 · 5 = 5 · 3 = 15. Das heißt, die mathematische Multiplikation gibt die Logik der Natur »Die Anziehungskraft von m auf M ist identisch zur Anziehungskraft M auf m« richtig wieder. Wie groß die Zahl für m oder M ist, ist dabei irrelevant, denn das Kommutativgesetz gilt für jede reelle Zahl, zum Beispiel auch für 1,11 · 2,22 = 2,22 · 1,11 = 2,46 42. Wie man sieht, ist also nicht die zahlenmäßige Beschreibung der Natur entscheidend, sondern ihre innere Logik, die von der Mathematik richtig wiedergegeben wird.

      Ein anderes Beispiel. Was ist im Gravitationsgesetz die Logik hinter r2? Wir leben in einem dreidimensionalen Raum. Ohne auf Details, die die Physik inzwischen verstanden hat, einzugehen, verlangt die Natur, dass die Wirkung punktförmiger Größen (etwa Masse und Ladung) in einem n-dimensionalen Raum von der Form rn-1 sein muss. Daher muss in unserem dreidimensionalen Raum das Gravitationsgesetz mit r3-1 = r2 gelten! Um diese Dimensionslogik richtig darzustellen, brauchen wir eine entsprechend logische Darstellungsform. Genau das ist die Mathematik. Mit anderen Worten, weil die Natur strikt logisch aufgebaut sein muss und Mathematik Logik pur ist, lässt sich die Natur so wunderbar durch die Mathematik beschreiben. Die treibende Kraft hinter beiden ist also die gnadenlose Logik in unserer Welt.

      LOGIK ERKLÄRT NICHT ALLES, ABER OHNE LOGIK LÄUFT GAR NICHTS

      Die Natur muss perfekt logisch sein, um konsistent zu sein. Es gibt keine Ausnahmen in Naturgesetzen. Jedes Naturgesetz hat Absolutheitsanspruch. Das klingt hart, macht aber die Physik so wunderbar verlässlich. Aus der Logik der Natur folgt aber nicht unbedingt die Vorhersagbarkeit unserer Welt, wie man früher dachte (Laplacescher Determinismus), sondern lediglich ihre innere Widerspruchsfreiheit. Oder wie Albert Einstein es einmal unnachahmlich ausdrückte: »Raffiniert ist der Herrgott, aber boshaft ist Er nicht.«

      Wir Menschen sind für Logik nicht gemacht. Wir sind gnadenlos unlogisch. Hier ein Beispiel. Wenn Sie auf meine Frage »Sie sind doch nicht blöd, oder?« empört mit »Nein!« antworten, dann würden Sie zugeben, Sie wären blöd. Denn eine doppelt negierte Aussage ist logisch gesehen die ursprüngliche Aussage. Sollten Sie also der Überzeugung sein, Sie seien nicht blöd, dann müsste Ihre richtige Antwort lauten: »Ja! (Ich bin nicht blöd.)« Um solche menschliche Unlogik zu verhindern, brauchen wir Mathematik. Mathematik ist die Leitplanke unseres Denkens. Ohne die Mathematik würden wir immer noch in der Irrationalität und Mystik des Mittelalters leben und denken. Die Errungenschaft unserer aufgeklärten, modernen Welt, die oft mit »Vom Mythos zum Logos« beschrieben wird, verdanken wir der Mathematik. Logik ist lästig, kompliziert und tut manchmal weh, aber sie räumt unser verqueres Denken radikal auf. Oder anders ausgedrückt: Traue keiner Idee oder Theorie, die sich nicht mit der Logik der Mathematik untermauern lässt. Daher hatte zum Beispiel Popper mit solcher Kritik am einflussreichen Historizismus vollkommen recht.

      NICHT ALLES, WAS LOGISCH IST, EXISTIERT AUCH

      Es gibt mit der Anwendung von der mathematischen Logik auf unsere Welt nur eine logische Komplikation (die Anwendung von Logik unterliegt ebenfalls der Logik!). Mathematik ist zwar Logik pur, und die Natur muss ebenfalls gnadenlos logisch sein. Das bedeutet aber nicht, dass alles, was logisch ist, auch in der Natur realisiert sein muss! Nur weil man eine vierdimensionale Welt mathematisch sauber darstellen kann, heißt das noch lange nicht,

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