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der Natur und damit auch seiner selbst.

      SICH SELBST ANDERS VERSTEHEN

      Tatsächlich wird Raumfahrt so zu einer zweiten kopernikanischen Revolution. Seit Kopernikus wissen wir zwar, dass der Mensch nicht das Zentrum des Universums ist. Doch dank Raumfahrt kann er heute auf sich herabsehen und diese entrückte Position mit eigenen Augen wahrnehmen. In diesem Sinne waren der wirkliche Erfolg der Apollo-Missionen nicht die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Zusammensetzung des Mondes und seinen Ursprung, sondern die wenigen, aber immer wieder gezeigten Bilder der Erde aus der Ferne des Mondes, auf denen sie wie eine Christbaumkugel aussah. Sie machten uns eindringlich klar: Unser Heimatplanet ist zwar eine wunderschöne, aber einsame Perle des Lebens in den Weiten des Kosmos. Über die historische Dimension dieser Bilder sagte einst der dänische Wissenschaftsjournalist Tor Nørretranders:

      »Auf diesen aufrüttelnden Anblick des Planeten von außen folgte ein Bewusstwerdungsprozess, der sich in seiner Intensität durchaus mit jenem messen lässt, der einsetzte, als die Menschen sich selbst im Spiegel zu betrachten begannen.«

      Der Blick aus dem All auf die Erde ist also ein Blick auf uns. Er erzählt von den Zusammenhängen unseres Daseins auf der Erde und über unseren Stellenwert im Universum. Genau das macht einen Großteil der Faszination der Raumfahrt aus, und genau deshalb wird der kommende Weltraumtourismus unser Denken über uns und die Erde mehr verändern als alle großen literarischen Werke der Weltgeschichte zusammengenommen. Er wird uns alle so verändern wie einst den saudi-arabischen Sultan bin Salman Al Saud, der als Gast an Bord des Shuttles (tatsächlich als erster Weltraumtourist) im Juni 1985 die berühmten Worte sprach:

       »Am ersten Tag deutete jeder von uns auf sein Land.

       »Am dritten oder vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab dem fünften Tag gab es für uns nur noch eine Erde.«

      Genau diesen Wandel der Perspektive erfährt jeder beim Anblick der Erde aus dem Erdorbit.

      ABSTAND GEWINNEN

      Diese Änderung der Perspektive hat wohl jeder bereits in einer etwas anderen Form hier auf der Erde erfahren. Man wächst irgendwo auf dem Land, in einem Dorf oder Kleinstadt auf, so auch ich. Eine wunderbare Kindheit: Felder, Wiesen, Bauernhöfe und Wälder zum Herumstöbern und zu Hause der vertraute, immer gleiche Ablauf des Tages. Das ist die wohlbehaltene Welt, von der man als Kind meint, so müsse es wohl überall auf der Welt sein.

      Aber irgendwann zieht man zu einer Berufsausbildung oder einem Studium in eine Großstadt. Hier brodelt das Leben, insbesondere das Nachtleben. Genau das Richtige für Jugendliche. Diese Welt verändert, man interessiert sich für andere Themen und andere Kulturen und lernt ganz andere Menschen kennen, andere Meinungen und Ansichtsweisen. Jeden Tag.

      Aber nach Jahren des Austobens kommt man irgendwann wieder zurück nach Hause, das eigentliche Zuhause. Und alles sieht scheinbar so anders aus, als es in der Erinnerung war. Die Straßen sind enger, der Weg von der elterlichen Wohnung in die Schule war gar nicht so weit wie gedacht. Alles wirkt wie in einer Puppenstube, aber alles ist »da«, als sei es erst gestern gewesen.

      Was ist geschehen? Man hat Abstand gewonnen. Abstand gewinnen ändert Ansichten. Man sieht die Welt anders, weil man nun die größeren Zusammenhänge erkennt und weiß, dass die Welt woanders ganz anders ist.

      Diese Veränderung verstärkt sich sogar noch, wenn man für mehrere Jahre in anderen Ländern mit anderer Kultur gelebt hat. Wer einmal viele Jahre in den USA gewohnt hat, der entwickelt ein leichtes Verständnis dafür, dass diese Menschen auf ihr Recht, Waffen zu besitzen und nicht zwangsweise einer Krankenversicherung anzugehören, bestehen. Für uns Deutsche unvorstellbar.

      DER OVERVIEW-EFFEKT

      Um wie viel mehr muss sich die Sichtweise verändern, wenn der Abstand noch größer wird? Wenn man aus mehreren Hundert Kilometern Abstand fast ganze Kontinente überblickt? Wenn man sieht, dass es keine Grenzen zwischen Ländern gibt, sondern nur in unseren Köpfen? Wenn man erkennt, dass dieses Denken in dörflichen, ländlichen und nationalen Grenzen im Erdkundeunterricht geprägt wurde, wo solche Grenzen im Diercke-Atlas eingezeichnet waren und man fortan glaubte, diese Grenzen seien real? Nein, diese Grenzen gibt es nicht! Man schaut wie Sultan bin Salman Al Saud aus der Umlauf bahn oder Alfred Worden vom Mond auf die Erde und sieht nur Kontinente und viel, viel Wasser – unsere gigantischen Ozeane. Erst dieser Blick macht klar, dass Dinge, die wir miteinander teilen, wertvoller sind als jene, die uns trennen. Wir leben alle auf einem Boot, auf unserem Heimatplaneten Erde, das führerlos durch die Weiten des Weltraums treibt. Es gibt nichts, was uns bei dem Überleben auf diesem Boot hilft. Wir müssen uns selbst helfen, weil wir alle aufeinander angewiesen sind – und wenn das Boot kentert, ist es aus. Keiner und nichts wird uns vermissen. Es würde so sein wie in den 23 Stunden, 59 Minuten und 50 Sekunden auf der Erdgeschichtsuhr davor: einfach keine Menschen mehr. Damit kam unsere Erde gut zurecht, und so würde es in Zukunft auch ohne uns sein.

      Solches Nachdenken und die damit einhergehenden Änderungen des Denkens vollziehen sich aber meist erst, wenn man von der Missionsreise wieder zurück ist. Wenn ich gefragt werde: »Was hat Sie bei Ihrer Mission am meisten verändert?«, dann ist es dieser Perspektivwechsel. Dafür gibt es im Englischen einen schönen Ausdruck: Overview-Effekt. Der Übersichts-Effekt.

      Mit der Änderung der Ansicht über unsere Erde kommt irgendwann auch die Frage: Mit dem Wissen, dass sich Ansichten mit zunehmendem Abstand verändern können, sollte man nicht auch versuchen, allein durch klares Denken Abstand zu gewinnen, um somit alltägliche Dinge des Lebens anders zu sehen? Selbst wenn es ungemütlich oder gar lästig ist? So jedenfalls ging es mir. Seitdem nehme ich manchmal zu meinem Denken bewusst gegensätzliche Standpunkte ein, anfangs, weil es Spaß machte, später, weil man merkte, so ganz andere Standpunkte aus einer ganz anderen Perspektive können manchmal auch ihren Reiz haben, selbst wenn man sich nicht ganz damit identifizieren kann. Aber dann versteht man wenigstens, dass dieses Denken kulturell geprägt und tief in uns verankert ist.

      Dieses Buch ist ein Sammelsurium von solchem Andersdenken. Bewusst anders denken. Sich nicht durch eingetretene Vorurteile leiten lassen, sondern versuchen, objektiv zu denken. Dabei hilft Wissenschaft. Sie ist mein treuer Begleiter, seitdem ich Naturwissenschaft studiert habe. Sie schafft manchmal Abstand vom Herumkrebsen in eingefahrenen Überzeugungen. Ein guter Freund und Kollege nannte Wissenschaft die »Leitplanken für unser Denken«. Aber keine Sorge, es geht in diesem Buch nicht um Naturwissenschaft, sondern um die Frage, warum die Welt so ist, wie sie ist, und ob wir mit objektivem Wissen und Denken vielleicht Abstand gewinnen und so manchmal einen klareren Überblick und somit eine andere Perspektive auf unsere Welt gewinnen können.

      Seien Sie also bereit, Abstand zu gewinnen und vielleicht Ihre Perspektive zu wechseln.

      1 – BETEN HILFT NICHT!

      Haben Sie schon einmal gebetet? Ich meine, als jemand in Not war und Sie keinen anderen Ausweg mehr wussten. Wer hätte das nicht schon einmal getan und gehofft, es würde helfen! Hat es geholfen?

      Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht mehr daran. Ist auch egal, denn das Beten hat zumindest Ihnen geholfen, die kritische Situation psychisch zu bewältigen. Das ist ein wichtiger Grund, warum wir beten, weil es UNS hilft. Aber hilft es auch den anderen, für die wir beten?

      Es gibt leider kaum Situationen, wo wir wissenschaftlich nachweisen können, ob Gott Einfluss auf unsere Welt ausübt. Aber Beten ist eine solche. Denn wenn Gott allgut, allwissend und allmächtig ist, dann sollte er uns helfen, wenn wir ihn darum inständig bitten. So sagen es jedenfalls die christlichen Kirchen und fordern uns deshalb immer wieder zum Gebet auf. Ob Beten tatsächlich hilft, lässt sich wissenschaftlich nachweisen. Selbst wenn es nicht in jedem einzelnen Fall funktionieren sollte (weil gewisse Übel Strafe Gottes seien, so die Kirchen), so sollte sich Beten doch wenigstens insgesamt irgendwie positiv auswirken. Genau das haben mehrere Mediziner in zwei groß angelegten Blindtest-Studien untersucht und in den angesehenen Fachzeitschriften The Lancet, doi:10.1016/S0140-6736(05)67718-5 (Mantra-II-Studie), im Jahr 2005 und American Heart

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