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essbare Pilze, die Judasohren. Das sind violett gefärbte, an abgeschnittene Ohren erinnernde muschelförmige Pilze, die eigentlich keinen Eigengeschmack haben. Trocknet man sie, dann schrumpfen sie auf einen Bruchteil der ursprünglichen Größe. Ich mische getrocknete Judasohren, die sich in einem geschlossenen Behältnis lange halten, gerne Suppen oder Soßen bei, in denen sie sich mit der Brühe vollsaugen und so wieder zur ursprünglichen Größe anschwellen. Sie haben dann den Geschmack der Brühe angenommen und verleihen dem Gericht optisch eine chinesische Note.

      Da ich keine Lust habe, durch die Industriegebiete vor Koblenz zu wandern, fahre ich von Mühlheim-Kärlich mit dem Bus zum Koblenzer Hauptbahnhof und lasse mir in der Tourist Information ein Hotelzimmer besorgen. Ich habe die Wahl zwischen einem Hotel ganz in der Nähe oder etwa zweieinhalb Kilometer entfernt beim Deutschen Eck. Da ich heute nicht weit gegangen bin, entscheide ich mich für letzteres und ziehe los. Auf halbem Weg stoße ich auf das bekannte »Weindorf Koblenz«, ein großes Gaststättenareal, in das ich zunächst einkehre. Da erst früher Nachmittag ist, gönne ich mir nur einen kleinen Imbiss zu einem Glas Riesling. Vor dem Weitermarsch zum Hotel probiere ich dann, gewissermaßen als Nachtisch, einen Riesling-Perlwein, einen Secco Antonio. Er beflügelt meine letzten Schritte zum Hotel.

      Von dort aus gehe ich zum nahe gelegenen Deutschen Eck, dem deutschesten aller deutschen Ecke. Es wird überragt vom Denkmal von Kaiser Wilhelm I. Ich hatte fast während meines gesamten Berufslebens regelmäßig in Koblenz zu tun und hatte anfangs selbstverständlich auch das Deutsche Eck besucht. Später natürlich nicht mehr. Deshalb war es mit völlig entgangen, dass das nach 1945 wegen seiner Kriegsschäden abgebaute Denkmal 1993 nach einer privaten Schenkung wieder hergestellt werden konnte. Hoch zu Ross sitzt da der Kaiser in Begleitung eines Siegesengels. In Erinnerung an den Krieg 1870/​71 war das verständlich, auch wenn nicht der Kaiser sondern die Soldaten den Krieg ausgefochten haben.

      Ich verlasse Koblenz mit dem Taxi, das mich bis zum sogenannten Rittersturz bringt, einem Aussichtspunkt südlich von Koblenz. So vermeide ich einen öden Marsch durch die Stadt und erspare mir gleichzeitig einen Aufstieg.

      Der Aussichtspunkt Rittersturz hat seinen Namen von einer Legende, nach der sich ein Ritter aus Liebeskummer von dem Felsen hinabgestürzt haben soll. Was war nur mit den rheinischen Rittern los? Erst erhängt sich einer im Rolandsbogen und jetzt stürzt sich ein anderer von einem Felsen!

      Am Rittersturz beginnt wieder der markierte Rheinhöhenweg, diesmal mit gut sichtbarer, neuer Markierung. Diese Markierung weist aber in eine andere Richtung, als auf der Karte verzeichnet, und so folge ich lieber dem bisherigen Weg. Dort wurde zwar das Markierungs-»R« von den Baumstämmen geschabt, zurück blieb aber ein gut sichtbares »R« in der Rinde. Hier im Koblenzer Stadtwald verläuft auch eine Römerstraße, auf die ich irgendwann stoße und auf der ich entlang gehe. Aus ihr ist inzwischen eine asphaltierte Landstraße geworden. Einmal treffe ich auf eine größere Ausflugsgruppe, die nicht so recht weiß, welches der richtige Weg sei. Einige sind ziemlich skeptisch, als ich mithilfe des Navis den Weg vorgebe, aber dann folgen sie mir doch und gelangen mit mir zu den Resten eines römischen Tempels, welcher Rosmerta und Merkur geweiht war. Danach erreiche ich die offene Hügellandschaft, sehe in der Ferne die berühmte Marksburg und wandere zwischen blühenden Rapsfeldern und durch Buchen- und Eichenwälder, die mich immer wieder begeistern. Es muss hier offenbar einen Künstler geben, der aus Baumstämmen Skulpturen schnitzt, die am Wegesrand stehen. Besonders gut gefällt mir eine aus einem liegenden Baumstamm herausgearbeitete, liegende Frau, die ein Buch liest. Nach weiteren romantischen Ausblicken auf Täler und Höhen komme ich zum vielgepriesenen Vierseenblick, wo man allerdings keine Seen sieht, sondern eine Rheinschleife. Der Blick hinab ist dabei mehrfach unterbrochen, so dass man den Eindruck haben könnte, vier Seen zu sehen. Das ist eher ein Touristengag und hat vielleicht damit zu tun, dass es hier ein Ausflugslokal gibt, welches etwas Besonderes bieten will. Ich mache Pause bei Kaffee und Kuchen und wenig später kann ich am Gedeonseck die Rheinschleife bei Boppard ohne störende Unterbrechungen sehen, was mir viel besser gefällt. Und ich sehe ein Schild »Sessellift 200 m«. Die Existenz dieses Sesselliftes hat mir der Rheinhöhenweg-Wanderführer verschwiegen. Deshalb ist meine Freude umso größer und statt den Serpentinenweg nach Boppard hinunterzustolpern, schwebe ich auf einem Sessel zu Tal. Ich quartiere mich in einem Weinhaus ein, welches vorzügliche Rieslingweine aus eigenen Steillagen hat. Mir haben es die trockenen Spätlesen dieses Winzers angetan. Da ich heute recht wenig gelaufen bin, bleibt mir genügend Zeit und Energie in Boppard die gut erhaltenen Reste des römischen Kastells Boudobrica anzuschauen.

      Abends mache ich mir Gedanken über die weitere Route für die kommenden drei Tage. Von Boppard nach Oberwesel sind es laut Wanderführer fast dreißig Kilometer, und dann folgt eine Etappe, die nach 22 Kilometern im Wald ohne Übernachtungsmöglichkeit und ohne öffentliche Verkehrsmittel endet. Die darauffolgende Etappe beginnt dann wieder an derselben Stelle. Keine realistische Wegführung! Ich brüte deshalb eine neue Route aus: Von Boppard mit der Bahn nach Oberwesel und von dort abweichend vom Rheinhöhenweg tiefer in den Hunsrück hinein, wo es eine Übernachtungsmöglichkeit geben soll. Anschließend Richtung Bingen, wobei ich zwischendurch wieder auf den Rheinhöhenweg stoßen müsste. Die Grundlagen meiner Routenplanung sind die Generalkarte 1 : 200 000, die im Navi gespeicherte topografische Karte 1 : 25 000 von Deutschland, der Wanderführer Rheinhöhenweg und mein Logbuch. Das Logbuch habe ich vor Antritt der Reise geschrieben. In einem A5-Heft habe ich die wesentlichen Orte notiert, durch die ich auf der Wanderung kommen müsste und was ich mir dort anschauen sollte. Außerdem habe ich Hinweise auf Hotels und Pensionen eingetragen, allerdings ohne Anschrift oder Telefonnummer, denn das passt nicht zum Charakter einer solchen Tour. Ein wenig Abenteuer sollte schon noch dabei sein, und wenn es nur die Suche nach einer Unterkunft ist. Das Logbuch schreibe ich jetzt täglich als Tagebuch weiter.

      Rheinschleife bei Boppard

      Der neue Routenplan erfordert, dass ich mir an einem Automaten der Deutschen Bahn eine Fahrkarte kaufe, wozu in meinem bisherigen Leben als eingefleischter Autofahrer keine Notwendigkeit bestand. Deshalb gehe ich hinüber zum Bahnhof und vertiefe mich in die Bedienung eines Kartenautomaten. Erfreut stelle ich fest, dass es selbst einem mäßig begabten Senior nach zwei Vierteln Riesling möglich ist, eine Fahrkarte für einen gewünschten Bestimmungsort zu erwerben. Beruhigt und weinselig gehe ich zu Bett.

      Planmäßig bringt mich die Bahn nach Oberwesel, und mit Elan beginne ich den Aufstieg zur Burg Schönburg hoch über dem Rheintal. Als ich durchschwitzt die Hochebene erreiche, habe ich schon circa 350 Höhenmeter geschafft. Von hier oben habe ich einen schönen Blick über die steilen Weinberge hinab zum Rhein mit der fernen Pfalz bei Kaub im Morgendunst. Der Wanderführer hat dafür die Bezeichnung »Tiefblick«.

      An einem Bauernhaus lerne ich die dort verewigten Wetterregeln für den Weinbau:

       Sind im Januar die Bäche klein, gibt im Herbst es guten Wein Pfingstregen – Weinsegen

       Mariä Himmelfahrt Sonnenschein, bringt uns viel und guten Wein Wenn gedeihen soll der Wein, muss der Juli trocken sein

       Einer Traub’ und einer Geiß, wird’s im September nie zu heiß

      (anstelle einer Geiß zeigt die zugehörige Zeichnung allerdings eine Bäuerin)

      Überaus störend sind heute Schwärme von kleinen, schwarzen Fliegen um mich herum, die sich, wenig angenehm, in Nase und Ohren niederlassen.

      Ich wandere auf einsamen Asphaltstraßen. Keine Autos – nur ein Reh kreuzt in der Mittagshitze den Weg. In Erbach mache ich Rast bei einem Springbrunnen. Ein kühlender Wind macht die Sonne erträglich und ich schlafe kurz ein. Das ist genau die richtige Art zu wandern.

      Als ich in den Ort namens Dichtelbach erreiche, gehe ich einfach in Richtung Kirche und komme dadurch direkt zu einer Pension, deren Wirtin gerade vor der Tür steht. So bekomme ich schon am frühen Nachmittag eines der wenigen freien Zimmer. Bis hierhin hat sich also mein neuer Routenplan bewährt.

      Ich unterhalte mich mit der Wirtin über den Räuber Johannes Bückler alias Schinderhannes, der im Hunsrück bei vielen

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