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Worms und der Donau. Dort weist das Nibelungenlied als Wanderführer große Lücken auf. Auch Robert Sommer konnte in seinem Buch zu diesen Streckenabschnitten keine brauchbaren Hinweise geben. Deshalb habe ich hierfür eine Route nach eigenem Gutdünken gewählt.

      Das Nibelungenlied muss in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts nach Christus spielen, denn es gilt als historische Tatsache, dass König Gunther 436 (oder 437) nach Christus zusammen mit dem Großteil der Burgunden (Nibelungen) von hunnischen Hilfstruppen des römischen Heermeisters Aëtius niedergemacht wurde. Für diesen Sieg wurden allerdings nicht die Hunnen geehrt, sondern Aëtius, den Rom auf einer Bronzestatue als » … peremptisque Burgundionibus« (» … Vernichter der Burgunden«) feierte. Und der Hunnenkönig Attila (Etzel) hauchte nach der Hochzeit mit der Germanin Hildike (Ildiko) 453 nach Christus sein Leben aus. Angeblich war daran übermäßiger Alkoholgenuss in der Hochzeitsnacht schuld. Es kann aber auch ganz anders gewesen sein.

      Wenn man den Weg der Nibelungen in diese Zeit verlegt, dann bleibt es nicht aus, dass man oft auf die Römer bzw. deren Hinterlassenschaften stößt. So auch bei meiner Wanderung. Dies ist der Grund dafür, dass ich mich bei den Vorbereitungen zu meinem Unterfangen auch mit Literatur über den Limes beschäftigt habe.

      Wenn ich in diesem Buch auf das Nibelungenlied zu sprechen komme, dann so, als würde es sich darin um reale Personen und Ereignisse handeln. Ortsnamen verwende ich in ihrer heutigen Form. Ihre Entsprechungen im Nibelungenlied sind in Klammern wiedergegeben.

      Xanten – Köln – Koblenz – Mainz – Worms; 433 km, 17 Tage

      Nach dem Frühstück verlasse ich das Hotel »Nibelungen Hof«, in das ich mich standesgemäß einquartiert hatte, und begebe mich auf meine Nibelungenwanderung. Es ist Ostermontag und der Marktplatz von Xanten ist noch frei von Autos und fast menschenleer.

      Xanten liegt weit im Westen Deutschlands, am Niederrhein, dort, wo man eigentlich schon die Holländer vermutet. Im Nibelungenlied heißt es, dass Xanten (Sántén) »im Niderlande« liegt, aber das darf nicht mit den heutigen Niederlanden verwechselt werden.

      Xanten ist der Geburtsort unseres Helden und Drachentöters Siegfried. Nur er war gar kein Burgunde, kein Nibelunge. Weshalb also meine Nibelungenwanderung in Xanten beginnen? Es ist ganz einfach: Siegfried freite erfolgreich die burgundische Königstochter Kriemhild aus Worms und kehrte mit ihr als seine Gemahlin und spätere Königin nach Xanten zurück. Jahre später reisten Siegfried und Kriemhild gewissermaßen zu einem Familientreffen nach Worms, so dass Xanten sehr wohl als Ausgangspunkt des Weges der Nibelungen gelten kann. In Worms kam es bekanntlich erst zum Streit zwischen den Königinnen und schließlich zur Ermordung Siegfrieds.

      Xanten wurde im Jahre 98 nach Christus von den Römern als Colonia Ulpia Traiana, kurz »CUT«, gegründet, nachdem es dort schon seit 12 vor Christus ein römisches Militärlager namens Vetera gab. Die Besatzung von Vetera musste im Jahre 9 nach Christus einen hohen Blutzoll entrichten. Zwei der drei römischen Legionen, die in der sogenannten Varusschlacht von Cheruskern unter der Leitung von Arminius (Hermann der Cherusker) vernichtet worden waren, stammten aus Vetera. Moderne Historiker sehen in Arminius gar die Vorlage für den Sagenhelden Siegfried. Der Drache (Lindwurm) symbolisiert demnach den Heereswurm der drei Legionen des Feldherrn Varus. Siegfrieds Schwert Balmung sei gleichzusetzen mit dem hochwertigen römischen Kurzschwert, welches Arminius als römischer Präfekt und Auxiliaroffizier sicherlich auch besaß. Den Nibelungenschatz soll die Beute aus der Varusschlacht darstellen.

      Mir erscheint dies ziemlich weit hergeholt, dem deutschen Fernsehen war es 2010 immerhin zwei Abendsendungen wert.

      Die Stadt Xanten präsentiert heutzutage die Relikte aus der Römerzeit auf hervorragende Weise im Archäologischen Park Xanten mit dem neuen Römermuseum. Die Römer sorgten Anfang des 4. Jahrhunderts dafür, dass Xanten auch einen Märtyrer bekam, nämlich den Heiligen Viktor, zu dessen Verehrung der das Stadtbild beherrschende Dom errichtet wurde. Xantener Lokalpatrioten wollen denn auch in Viktor den Helden Siegfried erkennen, indem sie »Siegfried« aus dem Wort für »Sieger« herleiten, welcher auf Latein eben »Victor« heißt. Der Grund dafür ist verständlich, denn in Xanten deutet rein gar nichts auf Siegfried und sein Königreich hin. Lediglich die Kriemhildmühle aus dem 18. Jahrhundert hielt durch ihren Namen für lange Zeit allein die Erinnerung an Siegfried und Kriemhild wach.

      Auf dieser Mühle hätte ich vor etlichen Jahren in Begleitung einer jungen Isländerin beinahe den Kopf verloren. Jedenfalls kam es uns so vor. Als wir nämlich die Windmühle außen auf der Galerie umrunden wollten, versperrte uns ein gespanntes Seil den Weiterweg. Neugierig reckten wir uns weit darüber, um zu sehen, was hinter der nächsten Ecke war und Wusch! rauschte ein Windmühlenflügel knapp vor unseren Köpfen vorbei. Erschrocken fuhren wir zurück, froh, dass uns das Schicksal der Nibelungen erspart geblieben war.

      An der Stadtmauer neben der Kriemhildmühle zeigt eine Bronzetafel drei Szenen aus dem Nibelungenlied, offensichtlich nicht in der richtigen Reihenfolge. Aber immerhin taucht hier das Nibelungenlied erstmals auf.

      Inzwischen hat sich Xanten werbewirksam der Nibelungen bemächtigt und im Herbst 2009 das Museum NIBELUNGEN[H]ORT eröffnet. Außerdem gibt es vor den Mauern der Stadt auch eine Siegfriedmühle, die aber noch nicht vollständig renoviert ist. Diese späte Erinnerung an die mythische Vergangenheit Xantens als »Siegfriedstadt« mag wohl auch an deren Verklärung in der Zeit des Nationalsozialismus liegen. Es begann 1934 mit der Ausgrabung des römischen Ruinenfeldes, der CUT-Grabung, publizistisch werbewirksam auch als »Siegfriedgrabung« bezeichnet. Während die Ausgräber um wissenschaftliche Neutralität bemüht waren, erhoffte sich das deutschtümelnde Umfeld die Aufdeckung der Burg Siegfrieds, des »Edelsitzes« von Siegfried. Als dies nicht der Fall war, kürte man gar das ausgegrabene römische Amphitheater zur »Jungsiegfried-Kampfbahn der Hitlerjugend«. Es ist nur allzu verständlich, dass sich zunächst niemand mehr mit den Nibelungen hervortun wollte.

      Die Kriemhildmühle in Xanten

      Das Museum NIBELUNGEN[H]ORT suchte ich am Vortag zunächst vergeblich, denn dieser Name taucht auf keinem Haus auf. Dafür sah ich an einem Gebäude in großen Lettern »Das Siegfried Museum«, und eine Schrottplastik an der Gebäudewand sollte Siegfried mit dem Drachen darstellen. Weil ich den Eingang zum Museum nicht finden konnte, fragte ich im Museumsshop nach und erfuhr, dass er hier versteckt war. Im Museum erwartete mich eine absolut sehenswerte Ausstellung. Dies ist umso bemerkenswerter, als es ja keine Hinterlassenschaften der Nibelungen gibt.

      Eine Replica von Siegfrieds Schwert Balmung lieferte mir eine Vorstellung, wie dieses Sagenschwert ausgesehen haben könnte. Von der Form her war es eine Spatha, ein Langschwert, wie es schon die Kelten in vorrömischer Zeit benutzten und wie es bis ins 12. Jahrhundert in Gebrauch war. Wie Siegfrieds Schwert aussah, ist im Nibelungenlied beschrieben: ein goldener Griff und im Knauf ein Jaspis, »grüner als Gras«.

      Mich interessierte im Museum aber ganz besonders die große Schautafel, welche die Schauplätze des Nibelungenlieds zeigte. Diese Schautafel gab es im Museumsshop auch als Postkarte zu kaufen. Ich erhielt sie dort als Geschenk, als ich erzählte, dass ich genau den auf der Karte gezeigten Weg gehen wollte.

      Ich gehe also über den Marktplatz und dann weiter auf einer Straße, die mich Richtung Alpen führen soll. Damit sind nicht die Berge im Süden Deutschlands gemeint, sondern ein Ort am Niederrhein. Ich sehe hier auch Markierungen und Wegweiser des Europäischen Fernwanderweges und des Jakobsweges, die beide über Köln führen sollen. Da ich aber deren Verlauf nicht kenne, bleibe ich bei der von mir gewählten Route. Der einfachste Weg nach Köln und dann weiter nach Worms wäre, den Rhein entlang auf dessen Deich zu gehen. Zur Zeit der Nibelungen konnte man aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht dem Verlauf des Rheins folgen, denn damals gab es noch viele tote Flussarme, und es lässt sich vermuten, dass die Flussniederung

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