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Kappe.»

      Wenn Klara ihn Kappe nannte statt Hermann, war jeder Widerspruch zwecklos. Das wusste er aus langjähriger Eheerfahrung. Und so fanden sich Hermann und Klara Kappe eine Stunde später bei minus 15 Grad auf dem Wochenmarkt am Steglitzer Rathaus wieder, vermummt wie die Teilnehmer einer Polarexpedition.

      Die Eierhändlerin war da und fror ebenso erbärmlich wie Kappe, während Klara das alles nichts auszumachen schien. «Dienst am Kunden», erklärte die Eierfrau auf seine knurrige Nachfrage, warum sie diese ungemütliche Situation auf sich nehme. Klara strahlte sie freundlich an und kaufte zehn Eier.

      Auch der Knoblauch- und Majoranspezialist war gekommen. Er wärmte seine Hände an einem unter der Markise baumelnden Konservendosen-Holzkohleöfchen. Kappe sah ihm neidvoll zu. Dann hustete er betont laut. Der Kräutermann hatte auch Hustenbonbons. Klara kaufte ihm welche ab und zog Kappe dann vorbei an den Ständen der Rosinen-, Nudel-, Wollsocken- und Bohnerwachsbranche. Der weiße Käse, das Gewürzgurkenwasser, die Sülze, selbst das Salatöl waren gefroren, sah Kappe und tat sich selbst leid. Die Händler standen bibbernd hinter ihren Tischen, teils in Holz-, teils in Filzschuhen, und trösteten sich über die ausbleibende Kundschaft mit heißem Kaffee aus Thermosflaschen hinweg. Der einzige Stand, der gute Geschäfte machte, war der mit den heißen Würstchen und dem Glühwein.

      Doch Klara strebte auch daran vorbei zu ihrem Lieblingsfischstand. «Kann ich zwei Bücklinge mit Rogen haben?»

      «Welche hätten Se denn gerne, Jnädige?», nuschelte die Fischfrau hinter ihrem Schal hervor.

      Klara Kappe schaute sich alle genau an. «Den da. Und den.»

      Die Fischfrau nickte, legte die Fische auf Zeitungspapier, schlug sie aber noch nicht ein, sondern streckte sie Klara entgegen. «Rogen in Hülle und Fülle. Wolln Se mal drückn?»

      Klaras prüfender Daumendruck scheiterte am Glatteis auf den Bücklingsbäuchen, die Finger rutschten ab. Sie hatte ein Einsehen. «Ich nehm sie», erklärte sie. Sodann sagte sie in Richtung ihres Ehemanns: «Lass uns heimgehen!»

      Kappe war sehr erleichtert und erinnerte sein Eheweib lieber nicht daran, dass sie eigentlich noch zu Wertheim gewollt hatte. Er hasste die Drängelei und das Einkaufen in Kleidergeschäften, erst recht, wenn er so dick vermummelt wie jetzt in die Wärme eines Ladens sollte. Im Schlussverkauf an den Wühltischen war es immer besonders schlimm.

      Seine Erleichterung währte nicht lange. Als sie vor dem Haus an der Wartburgstraße ankamen, in dem ihre Wohnung lag, trafen sie Otto vor der Haustür an.

      «Was machst du denn hier?», nuschelte Kappe mit halberfrorenen Lippen und schaute seinen Neffen erstaunt an.

      «Ich brauch deine Hilfe, Onkel Hermann. Dringend!»

      «So, so», meinte Hermann Kappe.

      «Das können wir bereden, wenn wir in der Wohnung sind», fuhr Klara dazwischen. «Im Warmen.»

      «Ach nee, guck an, jetzt frierst du auch!», konstatierte Kappe nicht ohne eine gewisse Befriedigung. «Dann lass uns mal nach oben gehen.» Oben, das bedeutete dritter Stock rechts.

      «Ich bin suspendiert», war das Erste, was Otto sagte, nachdem sie sich aus ihren Winterklamotten geschält hatten und er seinem Onkel in der Stube gegenübersaß. Er auf dem Sofa, Hermann Kappe in seinem Lieblingssessel. Klara werkelte in der Küche. Sie hatte den Männern einen heißen Grog versprochen.

      Kappe traute seinen Ohren nicht. «Wie bitte?»

      «Du hast richtig gehört: Ich bin suspendiert.»

      «Aber um Himmels willen, Junge, was ist denn passiert?»

      Hermann Kappe nannte seinen Neffen noch immer Junge, obwohl der inzwischen auch schon Mitte vierzig war. Otto hatte mit 25 Jahren als Kriminalassistent bei der Kriminalpolizei angefangen, damals noch am Alexanderplatz. Dort gab es nun seit 1948 ein Polizeipräsidium Ost: in der Neuen Königstraße 27 bis 37, im ehemaligen Karstadt-Haus. Das Präsidium West war 1951 in einen Gebäudeteil des Flughafens Tempelhof gezogen, die Adresse lautete: Tempelhofer Damm 1 bis 7, Berlin 42. Die Kriminalpolizei war noch in der Friesenstraße geblieben, doch ein Umzug nach Schöneberg stand bevor. In Hermann Kappes letzten Dienstjahren als Kriminaler hatten Onkel und Neffe Kappe zusammengearbeitet.

      Hartmut, Hermann Kappes ältester Sohn, tat in der Zone Dienst und war aufgrund seiner guten Arbeit sogar schon zum Major aufgestiegen. Hermann Kappe war sich nicht sicher, ob das nun ein Grund war, stolz auf seinen Ältesten zu sein. Zumindest in dieser einen Hinsicht war er froh, seit nunmehr zwei Jahren pensioniert zu sein: Endlich arbeiteten er und sein Sohn nicht mehr für «feindliche Lager». Die Teilung Berlins hatte Vater und Sohn einander entfremdet. Das schmerzte.

      Um sein Verhältnis zu Heinzi, seinem Jüngsten, stand es auch nicht zum Besten. Karl-Heinz würde wohl für immer das Sorgenkind bleiben. Der Junge war nach dem Krieg vollends in ein zwielichtiges Milieu abgerutscht. Eigentlich wusste Kappe gar nicht genau, was sein Heinzi tat, wovon er lebte, und vor allem, was er fühlte. Zwischen ihm und seinem einstigen Liebling hatten die Jahre ebenfalls eine tiefe Kluft entstehen lassen. Zurzeit verkaufte Heinzi, nach außen ganz der seriöse Geschäftsmann, Kies aus seiner Grube am Teufelsberg. Ganz so seriös schien es allerdings bei seinen Kieslieferungen an Mitglieder der Berliner Baumafia nicht zuzugehen. Jedenfalls verdiente er offenbar viel Schotter mit dem Kies. Immerhin konnte Heinzi sich eine schicke Wohnung an der Steglitzer Ahornstraße leisten.

      Mit Otto war das anders, der stand ihm näher. Er war so etwas wie sein Nachfolger bei der Kripo geworden. Ja, sein Neffe war ihm in vielerlei Hinsicht vertrauter als seine beiden Söhne, denn dessen Verstand arbeitete ähnlich. Kappe bewunderte Otto sogar hin und wieder für dessen messerscharfe Intelligenz, besonders aber für seine Redegewandtheit und Schlagfertigkeit – wenn es sein musste, mit ätzender Berliner Kodderschnauze. Als einer, der aus dem Fischerdorf Wendisch Rietz stammte, fühlte sich Kappe im Berliner Jargon noch immer nicht so heimisch wie der Neffe, der eine echte Berliner Pflanze war.

      Äußerlich waren er und Otto sehr unterschiedlich. Er, Hermann Kappe, war eher kompakt gebaut. Otto hingegen hatte früher die Figur eines Mittelstreckenläufers gehabt: lang, mit sehnigen Beinen, kein Gramm Fett am Leib. Letzteres hatte sich inzwischen geändert. Er war zwar noch immer gut in Schuss, aber seine Sportlerfigur hatte einige Ausbuchtungen bekommen. Dennoch hatte er sich etwas Jungenhaftes bewahrt, trotz des Sumpfes, in dem er aufgrund seines Berufs immer wieder wühlen musste.

      Wie alt war Peterchen jetzt, Ottos und Gertruds Sohn? Fünfzehn, rechnete Kappe aus. Herrgott, wie die Zeit verging!

      Klara und Gertrud, auch Trudchen genannt, verstanden sich prima. Kappe konnte sich noch gut erinnern: Otto hatte seine Gertrud bei der Aufklärung eines Mordfalls in der Kakao- und Schokoladenfabrik Greiser & Dobritz in Kreuzberg kennengelernt. Anfangs war Hermann Kappe Gertrud gegenüber eher reserviert gewesen. Sie stammte aus einer strenggläubigen Familie, und er hatte befürchtet, sie könne zu jenen Bigotten gehören, die sonntags in die Kirchen rannten und während der Woche über andere herzogen. Doch so eine war Gertrud nicht, wie Klara und er schnell festgestellt hatten. Inzwischen waren die beiden Frauen Freundinnen.

      Das alles ging Kappe durch den Kopf, während er auf die Antwort seines Neffen wartete.

      Otto druckste herum, und zu seiner Verblüffung sah Kappe, dass dessen Augen wässrig wurden.

      «Junge, nun red endlich! Was ist passiert?»

      «Ich hab eine Frau angeschossen. Sie liegt im Urban-Krankenhaus.» Er machte eine Pause. Dann brach es aus ihm heraus. «Wir wollten eine Fälscherwerkstatt ausheben, in einer Wohnung am Fraenkelufer. Aber der Tipp, den wir bekommen hatten, war ’ne Ente. Jedenfalls is die Frau aus’m Küchenfenster raus und weggelaufen. Da war aber noch nicht klar, dass in der Wohnung gar keine Fälscherwerkstatt existiert. Ich bin ihr also hinterhergerannt und hab immer wieder gerufen, dass ich von der Polizei bin und sie stehen bleiben solle. Dann hat sie eine Waffe aus der Tasche gezogen …»

      «Aber dann hast du doch ganz nach Vorschrift gehandelt. Wo liegt das Problem? Weshalb bist du suspendiert?»

      «Die Waffe wurde

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