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      Als ich wieder einmal von meinem Spind zu den Waschbecken wollte – der Lehrausbilder vom Dienst war nicht zu sehen und ich musste mich ebenso beeilen wie der Wichtshäuser, weil wir mit dem gleichen Zug fahren wollten –, trat er mir erneut von hinten an die Beine. Nun rappelte ich mich auf und wendete das erste Mal im Ernstfall einen beim Jiu Jitsu gelernten Griff an. Der Wichtshäuser fand sich eingeklemmt zwischen zwei Heizkörpern wieder. Er konnte nur staunen und wusste nicht, wie ihm geschehen war. Ich war auf ihn zugelaufen und habe ihn mit dem Kopf in den Bauch gestoßen und gleichzeitig seine Kniekehlen gefasst. Der Schwung von meinem Anlauf ließ ihn so zurücktaumeln, dass wir dann bald an der Fensterwand angelangt waren, wo sich die Heizkörper befanden. Ich drohte ihm, wenn er das noch einmal tun würde, käme noch Schlimmeres auf ihn zu. Dabei hätte er mich fast am ausgestreckten Arm verhungern lassen können, so stark hätte ich ihn eingeschätzt. Er ließ mich daraufhin in Ruhe.

      Das hatte nun nichts mit den Dorfgeschichten zu tun, denn wenn wir nach Wichtshausen kamen, habe ich ihn nicht gesehen. Die beiden Dörfer Schmeheim und Wichtshausen hatten den Nachteil, dass ihre Bewohner immer nach Dietzhausen mussten, wenn sie mit dem Zug fahren wollten. Die Wichtshäuser mussten dazu durch halb Dietzhausen. Die Schmeheimer dagegen konnten am Rand ein kurzes Stück entlang.

      Ich habe versucht, auf die Dietzhäuser Heißsporne einzureden, dass sie Ruhe geben. Es war ein Herbsttag im Jahr 1942, ein Sonnabend, da sollte in Dietzhausen Kino sein. Meine Freunde aus Schmeheim wären gern zum Kino gekommen, doch sie hatten Bedenken, wegen der zu erwartenden Schlägerei. So machte ich in Dietzhausen unter meinen neuen Kumpels klar, dass der, der die Schmeheimer angreift, auch mich angreifen würde. Ich würde dann auf der Seite der Schmeheimer stehen. So hatte ich erst einmal freies Geleit für die Schmeheimer erwirkt und sie kamen auch.

      Der Film war zu Ende und wir standen gemeinsam vor der Gaststube, in welcher der Film vorgeführt wurde. Unser Treffpunkt war sonst mehr die Gaststätte am Bahnhof. In diese hier, die mitten im Dorf an der Hauptstraße lag, gingen wir nur zum Kino hin. Der Film war so zeitig vorgeführt worden, damit auch wir jüngeren ins Kino konnten. Wir standen also zusammen und auf einmal fing ein Dietzhäuser an zu stänkern. Ich weiß nicht, ob er die Abmachung nicht kannte oder ob er Streitlust bekommen hatte. Er war gut ein Jahr jünger als ich, kräftig und einen halben Kopf größer. Er war nicht davon abzubringen, den Schmeheimern „in die Fress“ zu hauen. Wegen der Verdunkelung war es nicht sehr hell in dem Vorraum vor der Gastwirtschaft. Ich forderte den jungen Stänkerer auf, Ruhe zu geben oder er läge als erster am Boden. Er gab nicht Ruhe und da lag er, ohne, dass ich eine Hand aus der Hosentasche getan hatte. Darüber wunderten sich außer Rolf Triebel alle. Vor allem weil ich meine Hände nicht gebraucht hatte, um einen zu Boden zu bringen. Noch dazu einen größeren und kräftigeren. Ich drohte, dass ich mit Händen noch besser und mehr könne und Rolf Triebel ebenfalls. So war Ruhe eingekehrt und ich schlug einen Freundschaftspakt mit den Schmeheimern vor.

      Vom 3. März bis zum 21. März 1943 musste ich mit meinem inzwischen besten Freund in Dietzhausen, dem Walter Debertshäuser, nach Bad Berka in ein Wehrertüchtigungslager. Von Weimar aus ging es mit einer Kleinbahn in diesen schönen Ort. Das Lager war am Ortsausgang in Richtung Kranichfeld. Es bestand aus einem festen Gebäude und einigen Baracken, die oberhalb des Gebäudes standen. Walter Debertshäuser war in einer der Baracken untergebracht und ich in dem großen, festen Gebäude.

      Wir waren in Züge oder, ich glaube nach Hitlerjungenart, in Gefolgschaften eingeteilt. Der für mich zuständige Unteroffizier hieß Pfitzner und der beigeordnete Obergefreite hieß Pongo. Pongo ähnelte vom Aussehen her dem Pongo, der in den Schwarten von Rolf Torring immer als Retter auftauche und ein Afrikaner sein sollte. Konnte man mit Pongo reden, ging das mit Pfitzner nicht.

      Zu dem Objekt ging es von der Straße her recht steil nach oben, wo vor dem Hauptgebäude ein großer Platz war, auf dem wir alle antreten konnten. Am zweiten Tag musste sich unser Zug beim Unteroffizier Pfitzner vorstellen. Dazu ließ er uns nahe dem Aufgang von der Straße antreten und dann das erste Glied sechs Schritt und das zweite drei Schritt vortreten. Pfitzner ging dann von einem zum anderen und fragte nach dem Namen und Beruf und anderes. Als er zu mir kam und ich meinen Beruf Systemmacher nannte, sagte er: „Was, du machst wohl Politik?“ Ich konnte ihn natürlich beruhigen. Man sagte damals in der Nazizeit zu der vorhergehenden Zeit bis 1933 „Systemzeit“.

      Wir wurden ganz schön getriezt, wie man so sagt. Pfitzner hatte es drauf, dass er uns unten auf der Straße marschieren ließ und ein Lied forderte. Wenn er brüllte: „Ein Lied!“, mussten ohne große Pause die ersten zwei Rotten ein Lied bestimmen und danach gleich mit „drei, vier“ zum Singen auffordern. Ging das nicht so, wie Pfitzner sich das vorstellte, kommandierte er „Hinlegen!“ oder „Panzer von rechts!“ oder „Tiefflieger von links!“. Er brachte uns immer zu Boden, wenn er das wollte. Lagen wir auf dem Bauch nun herum, rief er nicht: „Achtung!“ und „Antreten!“, sondern einfach: „Im Gleichschritt!“, wonach wir uns blitzartig aufzustellen hatten, um bei dem kurz darauf folgendem Kommando „Marsch!“ sofort abzumarschieren.

      Nahe der Auffahrt zum Objekt befand sich eine kleine Brücke über die Ilm. Dahinter lag eine große Wiese, auf der man uns ausreichend herum jagen konnte. Da wurden Grundstellungen und Wendungen geübt. Die Wendungen im Stand oder in der Bewegung. Die Wiese eignete sich nicht gut für Wendungen im Stand. Dafür konnte man dann „zweimal links schwenkt!“ oder auch anders herum bis zur Erschöpfung üben.

      Wir hatten auch Topographie im Gelände. Dabei marschierten wir mit dem Kompass, auch bei Nacht. Ich hatte einmal eine Gruppe zu führen, aber wir sind nicht dort angekommen, wo wir es sollten. In nördlicher Richtung von Bad Berka gab es einen Berg, den Hexenberg. Vorher sind wir dahin Lieder grölend durch die Stadt gezogen. Mehrere solche Haufen und jeder Haufen ein anderes Lied – die Einwohner hatten sicher keinen Spaß daran. Uns kommandierte gerade Pongo. An dem Berg angekommen, gab es das Gleiche, was auf der Wiese ausgeführt wurde. Man konnte uns schön oder noch besser triezen, als auf der Wiese. Es wurde angetreten, gerichtet, abgezählt und „Auf den Hexenberg marsch, marsch!“ kommandiert. Wenn man das ’zig mal ausführen muss, vergisst man das nicht mehr.

      Eines Abends hatte ein anderer Unteroffizier scheinbar schlechte Laune. Als Unteroffizier vom Dienst, UvD, ließ er uns an diesem Tag gegen 19.00 Uhr raustreten. Das klappte nach seiner Meinung nicht und er wiederholte es. Dabei wurde gesprochen und das sollten wir nicht. Bei jedem neuen Raustreten mussten wir uns umziehen. Aber in Eile. Dann mussten wir in die Betten und wieder heraus. Bei den Bettgängen war ich einer unter denen, die bis ins dritte Bett hochsteigen mussten. Da brauchte man natürlich mehr Zeit. Doch da gab es keine Rücksicht. Das schlimmste war dann, dass ein Nachtmarsch durchgeführt wurde. Durch das immerwährende Umziehen hatten manche keine ordentliche Fußbekleidung, weil sie Zeit sparen wollten. Nun mussten sie ohne Strümpfe marschieren. Es gab viele Blasen. Wir hatten so manche Vorstellung, was wir dem Herrn Unteroffizier hätten antun wollen.

      Kurz vor dem Ende dieses Lagers erhielt ich eine Postkarte, mit der mir meine Mutter mitteilte, dass mein Großvater Josef Modry verstorben sei. Als die ankam, war er schon längst unter der Erde.

       Wehrertüchtigungslager Bad Berka, Horst Riemenschneider Mitte vorn mit Brille

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