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sagte zu.

      Zum Schießen kamen wir am Vormittag nicht. Hartmann und ich räumten alle Ecken auf, auch auf der Schießbahn die hinter der rechten Schießscharte lag. War die linke Schießbahn praktisch bis auf einige Lichtöffnungen umbaut, war die rechte Schießbahn im freien Gelände, was weiträumig abgedämmt war. Dort waren einige Pfosten teilweise mit mehreren Brettern verbunden, auf denen man Scheiben befestigen konnte. Neben der Bahn standen noch einige Äpfelbäume, von denen ich heruntergefallene Äste zusammenlesen sollte. Nebenbei sagte Hartmann: „Morgen kommt Doktor Sack.“

      Während dann die Nachmittagspfeife geraucht wurde, wagte ich zu fragen, wer Doktor Sack denn sei. Hartmann erklärte mir, dass sei der Weltmeister im Tontaubenschießen. Was das nun war, wusste ich damals auch noch nicht. Kam ich doch aus Verhältnissen, in denen man sich um Tontauben keine Gedanken machte. Höchstens um Brief- oder andere Tauben, die dann in einen Kochtopf gelangten, wie sie mein Onkel Fritz in Bürgel einige Jahre gehalten hatte. – Bald ging aber die Schießerei wieder los.

      Am nächsten Nachmittag kam Doktor Sack. Er war etwas dick und hatte eine schöne Glatze. Ich sehe sie heute noch leuchten, als er und Hartmann auf der Rasenfläche herumhantierten und Sack ab und zu schoss. Ich kann nicht sagen, ob da eine Wurfanlage war. Ich musste im Schießstand oder besser in der „Feuerstube“ bleiben und konnte beide nur durch die rechte Schießscharte beobachten, von wo sie mir ab und zu aus dem Blickfeld gerieten. Der Doktor Sack fuhr mit seinem Auto wieder davon und wir machten wie üblich weiter.

      Natürlich rauchte Hartmann erst eine Pfeife. Dann ging es los. Manchmal schoss er zweimal auf eine Scheibe, also, ohne vorher zu löschen. Die Schießscharten waren mit hellem Leder ausgekleidet. In der Mitte jeder Schießscharte war eine Vertiefung, in die man das Gewehr einlegen konnte. Geschossen wurde im Stehen. Dazu war vor den Schießscharten ein breites Brett angebracht, auf das man dann bequem die Ellenbogen auflegen konnte. Im Brett war an jeder Seite, auf der der Schütze stand, eine Aussparung, sodass man ohne viel Mühe das Gewehr richten konnte.

      Da ich während des Schießens nicht in der „Feuerstube“ war, sondern immer kurz beim ersten Gewehr, bekam ich nur flüchtig mit, wie die Gewehre beim Rückstoß schlugen. Am linken Stand, an dem mit den Flinten geschossen wurde, befand sich ein abdrehbares Gestell, in das man ein Gewehr einlegen konnte. Da war dann, wo der Gewehrschaft angelegt wurde, ein etwa sechs Zentimeter dickes Polster. Ich sah schon, das Hartman unter seiner grünen Joppe etwas trug, was wie ein Polster aussah und trotzdem legte er die Flinten noch in das Gestell. Da ich, wie jeder von uns Lehrlingen, auch gern mit einer Flinte schießen wollte, kam ich ins grübeln, wie stark der Stoß sein würde, wenn man einen Schuss abgibt. Es sah aber nicht so aus, als hätte Hartmann vor, mir die Erfahrung zu gönnen.

      Am nächsten Tag war ich wieder mit Hartmann auf dem Weg durch den Betrieb. Er trug ein Gewehr und ich vier. Ich dachte, Hartmann hatte nicht gut geschlafen, den er brummelte und schimpfte vor sich hin. Er gab mehrere Äußerungen von sich, die ich nicht deuten konnte. Er redete nach bestimmten Pausen so etwas wie „Gelump …, Scheißdreck …, Mist …, Gelump …, zum Kotzen …, Mist …, Gelump … “ Als wir schon am Sportplatz vorbei und kurz vorm unteren Tor waren, fragte ich, was denn los sei und worüber er sich ärgere. Da erklärte er mir, dass es um das Gewehr ginge, was er trug. Das sei eine „Großwildbockdoppelbüchse“ und die würde einen sehr starken Rückschlag besitzen. Er nannte wohl das Kaliber mit 9,3 Millimeter und vier Gramm Pulver. Ein Karabiner hätte nur 2,6 Gramm Pulver und da könnte ich mir ja ausdenken, dass das Ding nun fast doppelt so sehr schlug. Ich pflichtete Hartmann bei, in der Hoffnung, dass er mich nur nicht mit dem Ding schießen ließe. Gesehen hatte ich diese Waffe noch nicht, den wir trugen die Gewehre in Futteralen, die aus starkem Gewebe waren. An Stoßkanten vor allem hatte man zusätzlich Lederstreifen aufgesetzt.

      Wie üblich ging der Tag seinen Gang. Nach der Frühstückspfeife ging es los mit Flinten einzuschießen. Zum Mittag war das fertig. Am Nachmittag saß Hartmann beim Rauchen wieder vor der betriebsseitigen Tür. Wir unterhielten uns über dieses und jenes und auch über den Krieg. Stalingrad gab es noch nicht. Auf eine Frage von mir, antwortete er mit: „Nä, nä, dos gett nich gout … “ Er meinte, als er im Weltkrieg gekämpft hätte, stand auf dem Koppelschloss „Gott mit uns“. Jetzt aber würde „Blut und Ehre“ auf den Koppelschlössern stehen und das sei nicht gut. Ich kann mich nur noch an diese Aussage erinnern. Die konnte ich in meinem weiteren Leben nicht vergessen. Auch ich trug ja ein solches Koppelschloss und als es mir später an den Kragen ging, erinnerte ich mich daran.

      Zunächst stand aber noch ein einzuschießendes Gewehr in den Gestellen im Feuerraum. Als die Nachmittagspfeife geraucht war, ging Hartmann mit mir und einem großen Stück Papier unter dem Arm hinten um die Flintenschießbahn herum. Durch eine Tür kamen wir auf die rechte Schießbahn. Dort ging es zu einer Tafel an zwei Pfosten. An der entfaltete Hartmann das Papier und heftete es mit Reiszwecken an. Wir verließen die Schießbahn wieder und Hartmann verschloss die Tür des hohen und stabilen Zaunes. Bald waren wir wieder vorn und Hartmann nahm die Bockdoppelbüchse, über die er so geflucht hatte. Er schoss mehrmals. Nach jedem Schuss sah er durch das große Fernrohr. Dann musste ich vor gehen und die Einschusslöcher zukleben. War die Entfernung zum Flinteneinschießen dreißig Meter, so war die Papierscheibe für die Büchse bei 150 Metern aufgestellt. Als ich zurück kam, schoss Hartmann noch ein paar mal. Ich sah, wie das Gewehr sprang und hoffte, dass ich nicht damit schießen müsse. Hartmann sah noch einmal durch das Fernrohr und sagte dann: „So, nu’ kaste ach e’ mol geschess.“

      Nun hatte ich das durchzustehen. Ich musste mich an die Schießscharte stellen und das Gewehr übernehmen. Hartmann erklärte mir, was ich eigentlich schon wusste, was wir in der Schießgruppe gelernt hatten: Der Gewehrkolbenhals wird mit Daumen und Zeigefinger saugend und schraubend umfasst. Hartmann zeigte es mir. Nachdem er glaubte, ich mache das mit dem Umfassen des Gewehrkolbenhalses richtig, erklärte er mir dann wie ich zielen soll. Nachdem gab er mir eine Patrone. Ich sollte das Gewehr im unteren Lauf laden. Im unteren Lauf würde das Gewehr nicht so stark belastet und – beruhigte mich Hartmann – dann schlägt es nicht so.

      Ich ging also in den Anschlag und Hartmann beobachtete mich. Dann sagte er in seinem Dialekt: „Wehe wenn du finzt, da hast es bei mir verschissen.“ Unter „finzen“ versteht man das Verschließen des Zielauges vor und bei Abgabe des Schusses. Dadurch wird das Gewehr nicht mehr geführt und der Schuss geht meist daneben. Finzen erfolgt meist aus Angst vor dem Knall und auch vor dem Rückschlag des Gewehres. Hartmann beugte sich links von mir vor und sah mir ins Gesicht. Ich zielte und drückte so wie er es gefordert hatte ab. Von zielen konnte keine Rede mehr sein, aber ich behielt das Auge auf. Ich hatte nicht „gefinzt“. Hartmann blickte durch das Fernrohr und sagte: „Wo haste dann hie geschosse?“ Ich ahnte, dass ich nicht getroffen hatte. Wartete ich doch auf den Knall und vor allem den Schlag. Es war ein heftiger Schlag. Mein erster Schuss aus einer großkalibrigen Waffe. Ich dachte, wenn der Karabiner beim Militär ein geringeres Kaliber hat und sogar weniger Pulver, kann es doch nicht so schlimm werden. Nicht so schlimm wie mit dieser Büchse.

      Ich musste noch einmal schießen, nachdem mir Hartmann noch einmal das mit dem „Spiegel aufsitzend“ erklärt hatte, was ich aber längst wusste. Spiegel aufsitzend bedeutet, dass der schwarz gehaltene Teil der Zielscheibe mit seiner unteren Seite oder der untere Bogen dieses Kreises auf der Linie Kimme-Korn aufsitzt. Hartmann beobachtete mich wieder. Ich wusste ja nun, was kommt, und zielte, wie ich es gelernt hatte. Nun war Hartmann erst einmal zufrieden. Ich gab noch einen Schuss ab und Hartmann widmete sich seiner Pfeife. Er hatte die gesamte Munition bei mir gelassen. Mir reichte es bisher und ich hoffte, dass ich nicht die ganze Munition verschießen müsste. Als ich den sechsten Schuss mit diesem Gewehr abgegeben hatte, sagte Hartmann, dass es genug sei. Ich war erleichtert, säuberte die Läufe und stellte das Gewehr ab. Da sagte Hartmann: „So, nu kaste noch mit die Flint geschieß.“

      Es ging also nichts an mir vorbei. Mein Ausbilder kam zu mir und erklärte mir, wie ich mit einer Flinte zielen muss. Auch hier sah er nach, ob ich das Zielen begriffen hatte. Ich hatte. Nach dem zweiten Schuss setzte sich Hartmann wieder zu seiner Pfeife und sah mir zu. Ich schoss und schoss. Nach dem sechsten Schuss fragte ich Hartmann, ob ich die Schulterstütze nehmen dürfte. „Warum?“, fragte er. – „Mir schmerzt die Schulter,“ sagte ich. Das löste bei ihm einen

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