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du verheiratet?«, fragte ich. Keine Ahnung, wie ich darauf kam. Kaum zu glauben, dass ich nicht wusste, ob meine Schwester verheiratet war.

      »Tja …«, sagte sie, und ich hielt den Atem an. Ich wollte nicht, dass sie verheiratet war. Ganz und gar nicht.

      »Ich war mal verheiratet«, sagte sie. »Aber die Ehe ging in die Brüche.«

      Ich war vielleicht froh, das können Sie mir glauben. Ich wollte sie nicht wieder zurückhaben, nur um sie dann mit jemand anderem teilen zu müssen.

      »Nach ein paar Monaten war alles schon wieder vorbei«, sagte sie.

      »Wie kam das?«, fragte ich.

      »Es ging einfach nicht«, sagte sie. »Es war ein Fehler. Ich bin nicht zum Hausmütterchen geboren.«

      »Und wozu bist du geboren?« Es war wirklich merkwürdig. Als wir noch zusammen waren, hätte ich sie so etwas nie fragen müssen. Sie war zu etwas Besserem geboren, das stand fest. Jeder mochte sie. Sie hätte werden können, was sie wollte, außer vielleicht Gehirnchirurg – in der Schule waren wir beide nicht die Besten.

      »Ach«, sagte sie. »Ich habe Verschiedenes ausprobiert. Aber es war schwer. Meine andere Familie …«

      »Ja?«

      »Ruhig, Eva«, sagte sie. »Es lässt sich nicht ändern. Du weißt, dass wir nichts dagegen machen konnten. Wir waren noch Kinder. Wir mussten dahin gehen, wo man uns hingeschickt hat.«

      »Aber deshalb musstest du dich noch lange nicht adoptieren lassen«, sagte ich. »Du musstest nicht für immer zu ihnen gehen. Dazu hat dich keiner gezwungen.«

      »Es gibt solche und solche Zwänge.«

      »Was soll denn das wieder heißen?«

      »Ach, Eva«, sagte sie. »Schrei mich nicht an. Bitte, schrei mich nicht an. Ich kann es nicht ertragen, wenn du mich anschreist.«

      Das stimmte. Sie musste immer weinen, wenn sie angeschrien wurde. Deshalb hat sie auch nicht halb so viele Schläge kassiert wie ich. Man brauchte sie bloß anzuschreien, damit sie anfing zu weinen.

      »Du musstest nicht für immer zu ihnen gehen«, sagte ich.

      »Sie hatten Teppiche auf dem Fußboden«, sagte sie. »Und Zentralheizung. Ich bekam ein eigenes Zimmer. Sie wollten mich. Sie haben mir ein Zuhause gegeben, Eva.«

      »Ich wollte dich auch«, sagte ich. »Und ein Zuhause hattest du schon.«

      »Nein«, sagte sie.

      »Doch«, sagte ich.

      »Nein«, sagte sie. »Und du auch nicht. Sei doch mal ehrlich. Und schrei mich nicht an. Wenn du mich anschreist, gehe ich.«

      »Wir hatten uns«, flüsterte ich. Mir hatte das genügt. Warum war es für sie nicht genug gewesen? Ich brauchte keinen Teppichboden, wenn ich sie hatte.

      »Wir hatten immer nur Ärger, waren ständig auf der Flucht.«

      »Aber wir waren zusammen. Es war schön, wenn wir zusammen waren.«

      »Scht!«, sagte sie. »Du warst zäher als ich.«

      »Ja, und wer hat auf dich aufgepasst?«

      »Jetzt schreist du schon wieder.«

       »Ich schreie doch gar nicht!«

      »Ich gehe«, sagte sie. Und sie ging.

      Ich konnte es nicht fassen. Von einer Sekunde auf die andere war sie weg. Schnips, ich habe eine Schwester, schwups, ich habe keine mehr. Einfach so.

      Ich stand auf.

      Der Wirt kam an. Er sagte: »Heb sofort den Stuhl auf, Eva. Du kannst nicht einfach hier reingewalzt kommen und mit den Möbeln um dich schmeißen.«

      »Weißt du was?«, sagte ich. »Geh doch in die Kirche und orgel dir einen.«

      Ich weiß nicht mehr genau, was danach passiert ist, auf jeden Fall saß ich plötzlich draußen im Regen, in der Gosse. Irgendwie war ich in den letzten Tagen ein bisschen zu oft auf dem Hosenboden gelandet. Vor der Kneipe lungerten ein paar Kerle rum, die gackerten wie die Hühner. Ich stand auf und ging nach Hause. Ich konnte es nicht fassen – sie war einfach abgehauen. Einfach so, ohne mir ihre Adresse dazulassen.

      Dabei hatte ich sie gar nicht angeschrien. Oder? Na gut, vielleicht war ich ein bisschen laut geworden, aber das galt noch lange nicht als anschreien. Was bildete sie sich eigentlich ein?

      Es stand auch kein Renault Clio mehr auf der anderen Straßenseite. Als ob ich mir alles nur ausgedacht hätte.

      Aber ich hatte es nicht erfunden. Simone war wieder da. Oder zumindest da gewesen.

      Die Hunde spielten verrückt, und da fiel mir wieder ein, dass ich sie vergessen hatte. Also ließ ich sie raus. Ramses war dermaßen sauer, dass er mir ein Stück aus der Jacke riss. Ich musste ihm einen Tritt verpassen, sonst hätte er nach mir geschnappt. Lineker sah mich nur höhnisch an.

      »Verpisst euch«, sagte ich. »Ihr versteht das nicht. Ich weiß nicht, wo ich sie finden soll. Ihr seid bloß Köter. Ihr habt doch keine Ahnung, wie das ist.«

      »Hörf?«, sagte Milo.

      »Schnauze«, sagte ich. »Mit dir bin ich auch fertig.« Und das meinte ich so, wie es sich anhörte. Ich wollte keinen halbstarken Hund. Ich wollte Simone.

      »Hip«, sagte Milo, und Ramses schnappte nach ihm.

      »Sie ist zu empfindlich«, sagte ich. »Sie war schon immer ein viel zu sensibles Pflänzchen.«

      »Hip?«

      »Ich muss sie finden. Sie ist zu weich, sie kann nicht auf sich selber aufpassen.«

      »Hip-hörf?«

      »Schnauze«, sagte ich. »Misch dich nicht dauernd ein. Ich habe sie nicht angeschrien. Das kam ihr bloß so vor.«

      Milo rannte davon.

      »Hau doch ab«, sagte ich. »Verschwinde du ruhig auch noch. Ihr alle. Meint ihr, das macht mir was aus?«

      Ich hielt mir Ramses mit einem Besenstiel vom Leib. Er hatte das Fell gesträubt und den Kopf gesenkt. Er sah so aus, als hätte er am liebsten ein paar Kätzchen aufgespießt und zum Nachtisch noch einen Weltkrieg angezettelt.

      »Du willst mir an die Kehle, was?«, sagte ich und stocherte nach ihm. »Immer dasselbe, ich kenn dich doch. Pech gehabt, Freundchen. Heute Abend ist es noch nicht so weit. Hörst du?«

      Er hatte verstanden. Er wich zurück und preschte wie ein Bluthund zum Tor. Er war unruhig, gefrustet und hungrig. Genau wie ich.

      Ich ging in den Hänger und stöberte in den Schränken erfolglos nach etwas Essbarem. Vielleicht hatte ich vergessen einzukaufen oder ich hatte das Zeug verräumt, als ich nach der Zahnbürste suchte.

      Ich setzte mich aufs Bett und wickelte mir den Schlafsack um die Schultern. Ich konnte überhaupt nichts mehr finden – nichts zu essen, nicht die Zahnbürste und meine Schwester auch nicht. Wäre ich nicht so ein zäher Brocken gewesen, hätte ich bestimmt angefangen zu flennen.

      Dann weiß ich nichts mehr. Plötzlich war es Morgen. Ein Scheißmorgen. Ich sperrte die Hunde in den Zwinger und ließ die Arbeiter rein. Ob sie mir dafür dankbar waren? Ungefähr so dankbar wie Schüler, die einen Haufen Hausarbeiten aufgebrummt kriegen.

      »Du blöde Kuh«, sagte der Vorarbeiter. »Wir stehen uns jetzt schon eine halbe Stunde die Beine in den Bauch und rufen nach dir.«

      »Ich hab die Grippe«, sagte ich. »Ich bin eine kranke Frau.«

      »Aber ja, natürlich bist du krank«, sagte er. »Du bist schon seit Wochen krank. Aber die Krankheit kenne ich. Sie kommt aus der Flasche. Reiß dich ein bisschen am Riemen, sonst muss ich dich melden.«

      »Melde

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