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und warf Blitze auf den blanken Metallgriff.

      Tora merkte, dass sie aufs Klo musste, und zupfte an Henriks Ärmel, um es ihm zu sagen. Aber sein Gesicht war so weit da oben, und sie war so klein und ganz unten auf dem Fußboden. Er hob mit der gesunden, großen Hand das Glas und erzählte. Er war Samson und sah sie nicht. Da fing es an zu laufen. Erst war es warm und gut auszuhalten, aber es war fürchterlich schlimm. Einer von den Männern sah, was los war, und sagte es Henrik. Die anderen lachten. Sie zeigten auf Tora und schlugen sich auf die Knie und nannten Henrik ein unbegabtes Kindermädchen. Das Gelächter schwoll immer mehr an, bis es ihren ganzen Kopf ausfüllte und nicht von dieser Welt war. Sie kroch in ihre Schande hinein und war allein gegen alle. Aber das war nicht das Schlimmste.

      Sie musste auch ein großes Geschäft machen. Es kam einfach. Sie konnte es nicht zurückhalten. Sie merkte, wie es drückte und herausfloss. Die Männer lachten noch mehr, schnupperten und rümpften die Nase und trieben ihre Scherze mit Henrik, weil er so schlecht auf Ingrids Kind aufpasste.

      Innerlich zitterte sie. Aber nach außen war sie ganz ruhig. Es lief an den weißen Wollstrümpfen hinunter bis auf den Boden. Dünner, dünner Kot.

      Sie hatte in der Tobiashütte ihr Gesicht verloren, deshalb ging sie nicht mehr gern dorthin. Es kam allerdings vor, dass sie dazu gezwungen war, wenn jemand sie mit einem Auftrag hinschickte. Da konnte sie spüren, wie es knackte, als ob sie etwas in sich hätte, was immer wieder zerbrechen würde. Sie hatte noch den Geruch in der Nase und sah die braunen Flecken auf den Strümpfen. Und die Erinnerung an das derbe Lachen aus den weit aufgerissenen Mäulern erfüllte sie immer noch mit Scham.

      Elisif, die im Dachgeschoss wohnte, war sehr fromm, und sie hatte Tora erklärt, dass die Scham von Gott erfunden sei. Das machte das Ganze so hoffnungslos, denn unter diesen Umständen war es ja unmöglich, von der Scham loszukommen. Gott hatte es so eingerichtet, dass man sich schämen sollte, das tat den Menschen gut, sündig, wie sie nun einmal waren. Und Tora hatte begriffen, dass sie solch ein Mensch war. Sie log, wenn sie glaubte, dass es so einfacher wäre, und sie nahm ohne zu fragen mehr Pflaumen, als die Mutter erlaubt hatte. Aber es wunderte sie trotzdem, dass einige Menschen so aussahen, als ob sie sich wegen nichts in der ganzen Welt schämten, obwohl sie sich unerträglich aufführten.

      3

      Tora stand mit bloßen Füßen am Kammerfenster und sah, dass das Heidekraut braun und verblüht war. Die Überreste einer regenreichen Nacht hingen wie ein ausgewaschenes Gespenst über dem Veten und dem Hesthammeren. Weit draußen an der Fjordmündung, hinter Dahls Kai, lag dichter Nebel, leblos und ewig. Die kleinen Boote in der Bucht waren wie mit einem weichen Bleistift skizziert, und Tora wusste, dass an den dicken Johannisbeeren im Pfarrhausgarten große Tropfen hingen. In der Dachrinne gluckerte es.

      Sie sah die scharfe Kurve, die der Weg unterhalb des Veten um die obersten Höfe machte, bevor er den Hang hinunterführte, um erst ganz draußen am Kai zu enden.

      Eine Handvoll Häuser lag am Weg verstreut am Hang. Meist alte Häuschen mit niedrigem Dachstock und kleinen, verschämten Fenstern. Die Farbe blass wie bei verblassten Papierblumen und zum Teil auch abgeblättert. Ein paar moderne Klötze mit grellem Anstrich hocherhobenen Hauptes dazwischen. Einige hatten unverputzte Mauern, die sich mit bewundernswerter Sturheit im Lehmboden festkrallten.

      Wie eine Verkündigung und wie eine Erinnerung an den Quell alles Guten brach plötzlich ein Strahl durch einen Spalt in der Wolkendecke. Die Sonne. Sie ließ die Zweige der Birkenallee, die zum Hof des Lensmanns hinaufführte, golden aufleuchten. Tora verfolgte den Schotterweg mit den Augen. Fing ganz oben in Bekkejordet an und wanderte dann vorbei an den Feldern und dem fröhlichen herbstbunten Heidekraut, vorbei an den Mooren und dem Birkenwäldchen, vorbei an den Trockengestellen und dem großen Stall, der nicht mehr benutzt wurde – wo verwahrloster, brachliegender Boden überging in kleine kahle Felsen und Tang und lebendiges, nasses Meer. Links, dort wo der Weg sich zu den Kais hin teilte, flog ihr Blick zurück in ihr eigenes Kammerfenster und war daheim. Im Tausendheim. Noch war es für einen Augenblick still im Haus. Dann brach es über ihrem Kopf los. Das waren Elisifs Kinder, die aufstanden und über den Boden polterten.

      Die Geräusche waren weder angenehm noch unangenehm. Scharren, Trippeln, Elisifs gottesfürchtige Stimme, von der Tora wusste, dass sie kein bisschen böse war, auch wenn sie noch so sehr vom Jüngsten Gericht redete.

      Sie hörte, wie die Mutter draußen in der Küche den Kaffeekessel mit Wasser füllte. Henrik würde noch nicht aufstehen. Bevor Tora in die Schule ging, gab es nur die Mutter und sie. Wenn Ingrid in der Fabrik war, dann war Tora mit den Brotscheiben und der Wanduhr allein.

      Tora wusste, dass der Stärkste bestimmte und in allen Dingen recht hatte.

      Es war wichtig zu wissen, wer der Stärkste war. Henrik war der Stärkste.

      Denn er hatte zwar eine Schulter, über die die Leute ein wenig lachten und die keine richtige Schulter war, aber die andere war eben furchtbar stark. Und er sprach hastig und stoßweise, mit großem, offenem Mund.

      Wenn er lachte, war es kein richtiges Lachen. Es hörte sich so an, als ob er traurig wäre. Wie eine Art Blubbern oder wie ein Unwetter in den Bergen. Henrik hatte oft schlechte Tage. Dann ging er nicht zu Dahl aufs Lager.

      Mamas Tage waren weder gut noch schlecht, glaubte Tora. Sie sah immer gleich aus, nur manchmal etwas blasser. Gewöhnlich waren Mamas Augen groß und grünlich, mit einem dünnen Schleier davor, genau wie die Sommergardinen bei Tante Rakel. Aber plötzlich konnten sie die Farbe wechseln, die Gardinen wegziehen und Tora hineinsehen lassen.

      Sie füllten sich mit Leben. Glichen Laubbäumen im Sommer, mit vielen kleinen Vögeln und schnell wechselnden Schatten. Es flatterte und lebte da drinnen in dem Grün. So war es fast immer, wenn Tora und die Mutter allein waren.

      Henrik schlug härter als jeder andere, den Tora kannte. Mit der gesunden Hand. Es kam schon mal vor, dass Mama ihr eins mit der flachen Hand hintendrauf gab. Einen kleinen Klaps. Sie wollte Tora zu verstehen geben, dass sie traurig war. Die Klapse taten nicht weh. Mama schlug auch nicht oft. Nur wenn es sein musste. Tora durfte weinen, wenn die Mama schlug.

      Wenn Henrik schlug, schrumpfte Tora ein. Wand sich gleichsam wie ein Lappen um seine Hand.

      Sie hatte das Gefühl, keine Füße mehr zu haben, und es drückte so, dass sie beinahe Pipi gemacht hätte. Bis jetzt war es immer gut gegangen, denn sie erinnerte sich ja an die Tobiashütte.

      Sie war wie die zerrupfte Katze, die die Jungen von Været zu Tode gequält hatten, weil sie niemandem gehörte. Sie hatten sie an einem Zaun gekreuzigt. Die Katze schrumpfte ein. War zum Schluss nur noch Fell und Pfoten.

      Die Krähen hackten ihr schon am ersten Tag die Augen aus. Tora überlegte oft, ob die Katze genauso gefühlt hatte wie sie, dass sozusagen kein Platz zum Weinen da war. Es war alles zum Zerplatzen gespannt, aber es kam nichts heraus. Es war alles zu eng. Die Mutter sagte immer wieder, dass Henrik nicht böse sei. Tora hatte niemals gedacht oder gesagt, dass Henrik böse sei, deshalb verstand sie nicht, wieso die Mutter das sagte.

      Es war, als ob sie Tora streng ansah und ihr in Erinnerung rief: »Henrik ist nicht böse!« Aber für Tora war Henrik weder böse noch gut, er war Henrik.

      Tora zog Rock und Strümpfe an. Es war kalt in der Kammer, obwohl die Herbstsonne tat, was sie konnte. Aber es war noch früh am Morgen. Tora musste das Gesicht unter den kalten Wasserstrahl halten. Sie passte den Augenblick ab, da die Mutter mit irgendetwas draußen auf dem Gang beschäftigt war, dann brauchte sie nicht die Blechschüssel zu füllen. Ingrid war damit so genau. Sie sprachen beim Frühstück nicht viel. Aber die Stille war nicht bedrohlich, wie sie es wurde, wenn er dabei war. Wenn Henrik mit ihnen zusammen frühstückte, dann hielt Tora immer die Augen auf den Tisch gesenkt. Sie wusste, dass er sie beobachtete. Darauf wartete, dass sie etwas umstieß oder sonst etwas falsch machte. Sie hatte sich angewöhnt, nur das Allernötigste zu essen, wenn er dabei war. Und sie gab niemals Zucker oder Marmelade auf ihr Brot. Damit könnte sie doch kleckern. Käse war gut. Der klebte an der Butter fest, auf den war Verlass.

      Das Milchglas war eine Heimsuchung. Sie hatte das Gefühl, dass es schon

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