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viel. Ein Besuch von Boston sehren werten Ordnungshütern mit der Warnung, vor Ladendieben auf der Hut zu sein. Ein paar Kreuzfahrt-Reservierungen – sie liegen auf deinem Schreibtisch. Und ein Klassenausflug der katholischen Grundschule ›Mutter der unbefleckten Empfängnis‹.« Marylou zupfte ihren Rock zurecht. »Ist dir jemals aufgefallen, dass der Regen die Nonnen hervorlockt?«

      Stoner stählte sich und warf einen zaghaften Blick auf das oberste Regalbrett. Da oben konnte irgendetwas sein. Gehackte Leber, griechischer Salat, Döner. Einmal hatte sie ein zehn Pfund schweres Rad extrastarken Vermont Cheddar-Käse gefunden. Heute waren es gefüllte Eier, Dutzende gefüllter Eier, einige gesprenkelt mit grünen Flecken, andere mit roten und wieder andere mit etwas, was sie gar nicht so genau wissen wollte. »Marylou, was ist mit diesen Eiern?«

      »Ostereier. Willst du eins?«

      »Es ist zu früh am Morgen für Ostereier.« Sie streifte einen Stiefel ab, verlor das Gleichgewicht, fiel gegen die Wand und trat in eine Wasserlache. »Ich hasse mein Leben.«

      »Schon wieder ’ne üble Nacht gehabt, hm?«

      »Grausam. Tante Hermione möchte, dass ich nach Maine fahre.«

      Marylou wählte drei Eier aus, legte sie ordentlich auf eine Papierserviette und trug sie zu ihrem Schreibtisch. »Um zwischen Moos und Blaubeeren herumzutollen?«

      »Um jemanden zu suchen. Eine ihrer Klientinnen hat eine Schwester verloren.«

      »Das klingt übertrieben sorglos.« Sie schnippte sich etwas Eigelb von ihrer Bluse.

      »Ich denke, ich hab keine Lust auf Maine«, sagte Stoner und sammelte das Eigelb auf, um es in den Papierkorb zu werfen.

      »Sag nein.«

      »Ich kann nicht.«

      »Warum nicht?«

      »Nach allem, was sie für mich getan hat?«

      »Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Tante Hermione Punkte zählt, Schätzchen.«

      Stoner blätterte die Post durch. »Das ist nicht die Frage.«

      »Also, was gedenkst du zu tun?«

      »Fahren, nehme ich an.«

      »Allein?«

      »Wenn du dich nicht anschließt.«

      Marylou kreischte.

      »Genau so hatte ich mir das vorgestellt.«

      »Nimm die Witwe mit.«

      Stoner schüttelte den Kopf. »Gwen würde nicht mitkommen.«

      »Hast du sie gefragt?«

      »Nein.«

      »Woher willst du dann …«

      »Ich weiß es eben, das reicht. Sie hat zu tun. Sie hat immer zu tun.«

      Marylou zuckte mit den Schultern. »Du musst ja wissen, was du tust. Die Kreuzfahrt-Reservierungen, bitte.«

      Sie ging an ihren Schreibtisch und nahm das erste Blatt vom Haufen. Anguilla, um Gottes willen. Sie griff den ›Dumont‹ und las die Beschreibung durch.

      »57 Quadratkilometer unfruchtbares, aalförmiges Land, von Stränden gesäumt …« Unfruchtbar? Aalförmig? Wunderbar. »Schlängelt sich 25 Kilometer lang.« Gute Göttin. »Wer auch immer Ihnen gerade begegnet, wird Sie willkommen heißen und Ihnen das Gefühl geben, Sie seien zu Hause.« Robinson Crusoe, ohne Zweifel.

      Fünf Hotels. Wir empfehlen das ›Hotel Spitzkehre‹ am Kap der Stürme. Das ist doch ein Name, der die Seele wärmt und die Sinne entzückt.

      Die Leute, wer auch immer sie gerade sind, werden Anguilla hassen. Willkommen geheißen von Wer-auch-immer-ihnen-gerade-begegnet, gibt es zwölf Stunden nach ihrer Ankunft einen Militärputsch. Sie werden unter Hausarrest im charmanten ›Hotel Spitzkehre‹ gestellt, wo umgehend Sushi und Wein knapp werden. Drei Tage später schickt der Präsident ›Friedenstruppen‹, also finden sie sich in einem Militärjumbo eingepfercht wieder. Der wird leider von libyschen Terroristen entführt, die ihn nach Algier fliegen. Algier verweigert ihnen die Landeerlaubnis. Also versuchen sie es in Johannesburg, Athen, Frankfurt und Havanna, bevor sie schließlich auf den Falkland-Inseln aufsetzen, während die ganze Nation zur Geisel von Cable-News-TV geworden ist. Wenn dann alles überstanden ist, werden sie auf der Andrews-Luftwaffenbasis von einer Meute frisch rasierter Reagan-Fans, ›Born in the USA‹ grölend, in Empfang genommen. Sie (müde, zerzaust und unfotogen) werden von einem Bataillon Radio- und Fernsehreporter interviewt und dann zum Weißen Haus hinübergefahren, auf Straßen, die durch gelbe Bänder zwischen den Bäumen abgesperrt sind, während ihr Gepäck auf Nimmerwiedersehen in Richtung Guatemala entschwindet. Kesselbaum & McTavish wird selbstverständlich für alles verantwortlich gemacht. Wir müssen ihnen ihre Gelder zurückerstatten und werden von ihnen gerichtlich für erlittene Traumata belangt.

      Sie warf das Buch auf den Schreibtisch zurück. »Vergiss Anguilla. Wir können uns den Prozess nicht leisten.«

      »Entschuldige, wie?«

      »Tut mir leid, ich wusste nicht, dass du gerade telefonierst.«

      Marylou wedelte Stoners Entschuldigung fort und widmete ihre ganze Aufmerksamkeit dem Telefonhörer. »Gwen Owens, bitte.«

      Stoner stand auf. »Marylou …«

      »Ich«, erklärte Marylou dem Telefon, »bin Marylou Kesselbaum. Wer sind Sie?«

      »Marylou, was fällt dir eigentlich ein?«

      »Also, Mrs. Bainbridge, dies ist ein Notfall. Ich rufe von der Hauptklinik Boston an. Wir haben hier einen Fall von Gelbsucht, und wir nehmen an, dass er sich bis zu Ms. Owens zurückverfolgen lässt.«

      »Um Gottes willen, Marylou.« Sie riss das Telefon an sich.

      »Zu spät, Schätzchen. Sie stellen dich gerade ins Lehrerzimmer durch.«

      »Ich hasse dich.«

      »Mich?«, fragte Gwen am anderen Ende der Leitung. »Wer spricht da?«

      »Es ist nichts«, sagte Stoner. »Nur einer von Marylous blöden Scherzen.«

      »Ach, hallo, Stoner. Schön, deine Stimme zu hören. Was gibt’s?«

      Stoner hielt Marylou den Hörer hin. »Du hast das Ganze angefangen, nun bring es auch zu Ende.«

      »Ich nicht«, sagte Marylou. »Ich muss gerade mal aufs Klo.« Sie huschte zur Tür hinaus.

      »Es tut mir leid.«

      Gwen lachte. »Ihr beide müsst euch ja ziemlich langweilen, wenn ihr jetzt schon Telefonstreiche macht. Ich hab das nicht mehr getan, seit ich sieben war.«

      »Na ja, eigentlich …« Sie wischte sich ihre Hand am Hosenbein ab. »Ich wollte dich fragen …«

      »Ja?«

      »Na ja … Tante Hermione … ich meine …« Sie holte tief Luft. »Ich muss am Wochenende nach Maine. Du hast bestimmt keine Lust mitzukommen, oder?«, sagte sie in einem Atemzug.

      »Nach Maine?«

      »Wenn du nicht willst … ich meine, falls du eine Verabredung oder so hast, verstehe ich d…«

      »Eine Verabredung? Warum sollte ich eine Verabredung haben?«

      »Du hattest letztes Wochenende eine Verabredung.«

      »Das war keine Verabredung, sondern ein Arbeitstreffen.«

      »Danach seid ihr aber unterwegs gewesen.«

      »Neun Lehrerinnen und Lehrer trinken Bier und diskutieren im Watertown-Leanding-Gebäude bei einer Pizza, so was mag mit sechzehn eine Verabredung sein, mit einunddreißig ist das ein Arbeitstreffen.«

      »Oh.«

      »Ich fände es toll, mit dir nach Maine zu fahren. Lass

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