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wie sie erst als Mutter gewesen sein muss … mir wird ganz anders.«

      »Oh ja«, sagte Stoner. »Allerdings.«

      Tante Hermione sah sich in der Küche um. »Wir brauchen einfach mehr Chrom.«

      »Ich kann nachher auf dem Nachhauseweg welches aus der Apotheke mitbringen, oder brauchst du es jetzt sofort?«

      »Verzeihung, was meinst du?«

      »Wenn sie es in reiner Form nicht dahaben, soll ich dann so eine Tablettenmischung nehmen?«

      »Stoner, um alles in der Welt, wovon sprichst du?«

      »Na, von Chrom. Spurenelementen …«

      Ihre Tante brach in schallendes Gelächter aus. »Doch nicht solches Chrom. Chrom, wie in Handtuchhaltern, Zuckerdosen, Radkappen. Fernfahrerkneipenchrom.«

      »Wenn ich vorhätte, nach Maine zu fahren«, spöttelte Stoner, »könnte ich dir irgendeinen Kram von einem Flohmarkt mitbringen.«

      Tante Hermione zuckte mit den Achseln. »Ich wünsche dir viel Spaß. In Maine finden, besonders in der Zwischensaison, hemmungslose Volksfeste statt.« Sie musterte den Raum. »Es wäre nett, die Küche im Fernfahrerdesign zu erneuern. Wir könnten das kleine Brokatsofa durch Barhocker ersetzen …«

      »Ja, mit zerrissenen roten Plastikbezügen.« Sie schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein.

      »Und die Wände rosa streichen. Unser ganzes Essbesteck hat ein einheitliches Design. Dagegen müssen wir unbedingt etwas tun.«

      »Bunte Karovorhänge statt weidengeflochtener Vogelkäfige an den Fenstern«, sagte Stoner, die begann, Gefallen an der Sache zu finden.

      »Wir brauchen ein Hinterzimmer. Vollkommen dunkel, nur mit einem roten Lämpchen für ungewöhnliche Zwecke. Und Herrenmagazine.«

      »Herrenmagazine!« Sie verschluckte sich an ihrem Kaffee. »Heutzutage nennt man das Pornos, Tante Hermione.«

      Die Augen der älteren Frau gerieten ins Träumen. »Ich hab mal in der größten Fernfahrerkneipe der Welt gegessen. Das war in Xenia, Ohio. 1956. Ich war unterwegs zu einem Psychologinnenkongress am Barea College. Ethel Morrissey war bei mir. Sie entmaterialisierte sich 1963.«

      »Hörst du noch manchmal von ihr?« fragte Stoner.

      »Nicht oft. Sie interessierte sich nicht sonderlich für die materielle Ebene. Außer für die Xenia-Fernfahrerkneipe.«

      »Vielleicht schaut sie ja mal vorbei, wenn wir die Küche renoviert haben.«

      »Was denn, Stoner«, sagte Tante Hermione, »ich dachte, du glaubst nicht an Geister.«

      »Tu ich auch nicht, aber ich bin zu müde zum Diskutieren.«

      »Denk an meine Worte, irgendwann dieser Tage wirst du eine Offenbarung haben …«

      »Nicht im März.«

      Tante Hermione aß das Rührei auf. »Wenn wir ins Fernfahrermilieu wechseln, meinst du, dass ich mich dann von meinem Aschenbecher trennen muss?«

      Der Aschenbecher war fest in die Mitte des Tisches eingelassen und wirkte dadurch ein bisschen wie der Mittelpunkt des Universums. Er war alt und rissig, teilweise abgesplittert und mit dem goldenen Schriftzug ›Asch gefälligst hier rein‹ geschmückt.

      »Ich finde«, sagte Stoner, »er ist so protzig, er passt zu allem.«

      »Ich habe diesen Aschenbecher gewonnen«, verkündete Tante Hermione stolz. »1947 bei der Penny-Tombola unter den Arkaden von Old Orchard Beach.«

      Stoner stand auf und durchforstete den Brotkasten auf der Suche nach weiteren Milchbrötchen.

      »Marylou wäre schockiert«, fuhr ihre Tante fort, »aber ihre Mutter wäre bestimmt ganz wild darauf, einmal dorthin zu kommen. Da du gerade stehst, gib mir doch bitte noch etwas von dem Krautsalat.«

      »Es ist mir ein Rätsel, wie du dieses Zeug schon morgens essen kannst«, sagte Stoner, hob ein paar Löffelvoll auf den Teller und versuchte, dabei nicht zu atmen.

      »Koste doch mal davon, sehr erfrischend.«

      »Nein, besten Dank.« Sie gab die Suche nach den Milchbrötchen auf, entdeckte einen halben Kirschkuchen im Kühlschrank und schnitt sich davon ein Stück ab.

      »Vielleicht solltest du lieber alleine frühstücken?«

      »Dann würde ich dich so gut wie nie zu Gesicht bekommen.« Sie nahm ihren Kaffee und kauerte sich wieder auf das Plaudersofa.

      Tante Hermione seufzte. »Weißt du, ich würde nicht nachts arbeiten, wenn es eine bessere Möglichkeit gäbe. Aber manche Leute glauben einfach nicht, dass Wahrsagen auch bei Tageslicht funktioniert. Sosehr ich es hasse, ich muss solch kleingeistigem Zweifel Sorge tragen.«

      »Ich würde lieber nachts arbeiten, wenn es möglich wäre.«

      »Wenn du nachts arbeiten würdest, wann kämst du jemals dazu, Gwen zu sehen?«

      Stoner starrte finster in ihren Kaffee. »Wann komme ich denn jetzt dazu?«

      »Armer Schatz«, murmelte Tante Hermione. »Kein Wunder, dass du so betrübter Stimmung bist.«

      »Ich vermisse sie. Ich kann sie verstehen, aber ich vermisse sie.«

      »Ja, das ist das Schlimmste, Verstehen. Es macht einen ganz hilflos.«

      Sie verweilten einen Augenblick in kameradschaftlichem Brüten.

      »Ich wünschte, ich wäre besser im Tarot«, sagte Tante Hermione schließlich. »Die gestrige Deutung war zwar positiv, aber bei meinem augenblicklichen Wissensstand ist es schwierig, sicher zu sein.«

      »Was macht denn dein Unterricht?« fragte Stoner.

      »Grace D’Addario ist eine sehr engagierte Lehrerin, aber ich habe noch nicht so den rechten Zugang dazu gefunden. Und ich bin noch so unsicher, was die Umkehrbedeutungen angeht.«

      »Gibt es da keine Regeln?«

      »Wie alles im Leben hat auch das Okkulte seine Grauzonen.«

      Stoner lachte. »Für mich ist das insgesamt eine Grauzone.« Sie lehnte sich zurück in das Sofa. »Willst du mir jetzt von Claire Rasmussen erzählen?«

      Tante Hermione schob ihre Serviette durch den silbernen Serviettenring. »Bist du sicher, dass du ganz bei dir bist?«

      »So nah ich mir selbst überhaupt sein kann.«

      »Claire Rasmussen wird vermisst.«

      »Ja?«

      »Ich habe ihrer Schwester gesagt, dass du vielleicht versuchen würdest, sie zu finden.«

      »Tante Hermione«, sagte Stoner ruhig, »nimm es mir nicht übel, wenn ich kleinlich bin …«

      »Du kannst nichts dafür. Ein Charakterzug des Steinbock.«

      »… aber könntest du vielleicht von vorne beginnen?«

      »Claire ist Nancys Schwester. Nancy ist eine meiner Klientinnen, eine Krankenschwester. Erzähle ich zu schnell?«

      »Nein, nein, wunderbar so.«

      »Claire, ebenfalls Krankenschwester, hat eine Stellung in einer Privatklinik für psychisch Kranke irgendwo im Norden von Portland angenommen. Vor zwei Wochen erhielt Nancy einen kurzen, ziemlich rätselhaften Anruf von Claire, und seitdem geschah nichts mehr. Wir haben versucht, Schwingungen von ihr zu empfangen, aber es herrscht nur Dunkelheit.«

      »Ominös«, sagte Stoner.

      »Allerdings. Zu allem Überfluss war gestern Nancys Geburtstag. Claire hat noch nie vergessen, sie an ihrem Geburtstag anzurufen, bis jetzt.«

      »Ich verstehe.«

      »Nancy ist Widder, und einen beunruhigten Widder stellt nichts zufrieden außer jede Menge hektischer Aktivitäten.

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