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weil ich meine Forschungszeit zunehmend dazu benutzte, über Kultur zu lesen und diesem Interesse zu folgen. Ich verbrachte ziemlich viel Zeit in der Rhodes House Bücherei beim Lesen anthropologischer Literatur, ich saugte die Debatte über afrikanische »Überlebende« in der Karibik und in der Kultur der Neuen Welt auf. Meine Dissertation über Henry James war eigentlich von diesen Interessen nicht so weit entfernt. Sie hatte das Thema »Amerika« vs. »Europa« in den Romanen von James. Es ging um den moralisch-kulturellem Gegensatz zwischen Amerika und Europa, eines der großen kulturübergreifenden Themen von James. An James interessierte mich auch die Destabilisierung des Ich-Erzählers. Es war der letzte Augenblick im modernistischen westlichen Roman vor Joyce. Joyce repräsentierte die Auflösung des Ich-Erzählers, James stand dicht am Rand dieser Auflösung. Seine Sprache überrennt fast die Fähigkeit des Ich-Erzählers. Ich war also an zwei Fragen interessiert, die wichtige Implikationen für Cultural Studies haben. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass es für mich nicht richtig war, kulturelle Fragen weiterhin »rein« literarisch zu denken.

      Während ich in Chelsea unterrichtete, hielt ich die Verbindung mit Williams und Hoggart aufrecht. Ich organisierte die erste Gelegenheit, bei der die beiden sich trafen. Das war ein Gespräch, das in Universities and Left Review nachgedruckt wurde. Sie diskutierten Culture and Society und The Uses of Literacy. Hoggart entschied sich damals, Leicester zu verlassen und als Professor für Anglistik nach Birmingham zu gehen. Er wollte weiter in dem Bereich forschen, der in Uses of Literacy behandelt wurde, statt die üblichen Literaturstudien zu machen. Und die Universität von Birmingham sagte, »Das können Sie tun, aber wir haben kein Geld, um sie zu unterstützen.« Aber Hoggart hatte in dem Prozess um Lady Chatterley’s Lover für Penguin Books ausgesagt und so ging er zum Leiter des Verlages, Sir Allen Lane, und überredete ihn, uns etwas Geld zu geben, um ein Forschungsinstitut zu gründen. Allen Lane gab Hoggart ein paar tausend Pfund jährlich, die Penguin von der Steuer absetzen konnte, weil es eine Erziehungsaufgabe war. Hoggart beschloss, mit diesem Geld jemanden einzustellen, der diese Seite der Arbeit betreuen würde. Er blieb Anglistikprofessor und lud mich nach Birmingham ein, um diese Stelle zu übernehmen. Hoggart hatte Universities and Left Review und New Left Review und The Popular Arts gelesen und er dachte, ich wäre mit meiner Kombination von Interessen an Fernsehen, Film und popularer Literatur, meiner Kenntnis der Leavis-Debatte und meinem Interesse an Kulturpolitik eine gute Person für diese Arbeit. So ging ich 1964 nach Birmingham und heiratete Catherine, die im gleichen Jahr von Sussex nach Birmingham zog.

      Die Zeit in Birmingham

      SH: Oh ja, das stimmt absolut. Beide Geschichten sind wahr. Zunächst waren wir in den Cultural Studies an Klassenfragen interessiert. Am Anfang im Sinne von Hoggart und Williams, nicht im Sinne des klassischen Marxismus. Einige von uns waren in einem kritischen Verhältnis zu marxistischen Traditionen geformt worden. Wir waren an der Klassenfrage interessiert, aber es war nie die einzige Frage, die uns interessierte: zum Beispiel gab es wichtige Arbeiten über Subkulturen in den frühen Phasen des Zentrums. Wenn du den theoretischen Ansatz von Cultural Studies meinst, so sahen wir uns praktisch überall um, um einen reduktionistischen Marxismus zu vermeiden. Wir lasen Weber, wir lasen deutschen Idealismus, wir lasen Benjamin, Lukács, um den unserer Meinung nach unbrauchbaren Klassenreduktionismus zu korrigieren, der den klassischen Marxismus deformiert und ihn gehindert hatte, sich ernsthaft mit kulturellen Fragen auseinander zu setzen. Wir lasen ethnomethodologische und Konversationsanalyse, hegelschen Idealismus, ikonographische Studien und Kunstgeschichte, Mannheim; wir lasen sie alle, um zu versuchen, einige alternative soziologische Paradigmen zu finden (Alternativen zu Funktionalismus und Positivismus), die nicht reduktionistisch waren. Aber sowohl was die Empirie als auch was die Theorie angeht ist die Vorstellung, dass das CCCS ursprünglich nur an Klassen interessiert war, falsch. Wir wandten uns der Frage des Feminismus (des Prä-Feminismus eigentlich) und der Geschlechterfrage zu. Wir untersuchten Romane in Frauenzeitschriften. Wir verbrachten Ewigkeiten mit einer Geschichte, »Cure for Marriage« und ja, alle diese Texte, die für ein Buch überarbeitet werden sollten, verschwanden, so dass es über diese Phase der Geschichte der Cultural Studies keine Dokumente gibt. Das war die »prä-feministische« Phase des Zentrums.

      Eines Tages beschlossen Michael Green und ich einige Feministinnen, die außerhalb des Zentrums arbeiteten, einzuladen ins Zentrum zu kommen, um diese Frage dort einzubringen. Die »traditionelle« Geschichte, dass der Feminismus ursprünglich im inneren des Zentrums ausbrach, stimmt also nicht ganz. Wir waren bemüht, diese Verbindung herzustellen, teilweise weil wir beide damals mit Feministinnen lebten. Wir arbeiteten innerhalb der Cultural Studies, aber wir waren mit dem Feminismus im Gespräch. Die Leute innerhalb der Cultural Studies waren damals aufgeschlossen für Geschlechterfragen, aber nicht so sehr für feministische Politik. Was natürlich stimmt, ist, dass wir als klassische »neue Männer« überrascht wurden durch das, was wir – patriarchalisch – zu initiieren versucht hatten, als der Feminismus sich dann tatsächlich autonom zu Wort meldete. Solche Dinge sind einfach unvorhersehbar. Der Feminismus brach schließlich auf seine, explosive Weise, ins Zentrum ein. Aber es war nicht das erste Mal, das Cultural Studies über feministische Politik nachgedacht hatte oder sich dessen bewusst geworden war.

      KHC: In den späten Siebzigern hast du das CCCS verlassen. Warum?

      SH: Ich war seit 1964 am Zentrum gewesen und ich verließ es 1979. Das war eine lange Zeit. Ich machte mir Gedanken über die »Nachfolge«. Jemand aus der nächsten Generation musste nachfolgen. Der Mantel muss weitergegeben werden oder das ganze Unternehmen stirbt mit einem. Ich wusste das, denn als Hoggart schließlich beschloss zu gehen, wurde ich vertretender Direktor. Er ging 1968 zur UNESCO, ich vertrat ihn vier Jahre lang. Als er 1972 beschloss, nicht zurückzukommen, gab es einen massiven Versuch seitens der Universität das Zentrum zu schließen, und wir mussten kämpfen, um es zu halten. Es war mir klar, dass sie es nicht schließen würden, solange ich dort war. Die Universität hatte sich damals bei einer ganzen Reihe von Akademikern Rat geholt und alle sagten: »Stuart Hall wird die Tradition von Hoggart weiterführen, schließt das Zentrum nicht.« Aber ich wusste, sobald ich ginge, würden sie wieder versuchen es zu schließen. Ich musste also den Übergang absichern. Bis Ende der Siebziger glaubte ich nicht, dass die Position abgesichert war. Als ich jedoch davon überzeugt war, fühlte ich mich berechtigt zu gehen.

      Zudem war ich auch der Meinung, dass ich oft genug die jährliche interne Krise durchlebt hatte. Die neuen StudentInnen für das Aufbaustudium kamen immer im Oktober und November und dann gab es auch immer die erste Krise, das Diplomprogramm funktionierte nicht gut, alles ging drunter und drüber. Ich hatte das wieder und wieder und wieder erlebt und ich dachte: »Du wirst einer dieser typischen desillusionierten Akademiker, du musst hier raus, solange die Erfahrungen gut sind, bevor du in diese altertümlichen Gewohnheiten verfallen musst.«

      Die Frage des Feminismus war auch schwierig und zwar aus zwei Gründen: Der erste war, dass ich kein Gegner des Feminismus war, das wäre etwas anderes gewesen, aber ich war dafür. Zum »Feind« gemacht zu werden als die leitende patriarchale Figur, brachte mich in eine unmögliche, widersprüchliche Position. Natürlich mussten sie es tun. Es war absolut richtig, dass sie es taten. Sie mussten mich zum Schweigen bringen; das war das feministische politische Programm. Wenn die Rechte mich zum Schweigen gebracht hätte, wäre das in Ordnung gewesen. Wir hätten alle bis zum Letzten dagegen gekämpft. Aber ich konnte meine feministischen Studentinnen nicht bekämpfen. Man kann das auch als einen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis begreifen. Man kann für eine Praxis sein, aber das ist etwas ganz anderes, als wenn plötzlich eine echte Feministin vor einem steht und sagt: »Lass uns Raymond Williams aus dem Programm nehmen und stattdessen Julia Kristeva einsetzen«. Die Politik zu leben ist etwas anderes als abstrakt dafür zu sein. Ich wurde von den Feministinnen Schachmatt gesetzt. Im Arbeitsprozess des Zentrums konnte ich damit nicht fertig werden. Das war nichts persönliches. Ich stehe vielen Feministinnen aus der Periode immer noch sehr nahe. Es war eine strukturelle

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