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Vater von dieser Theorie nichts halten würde, denn er habe seit seinem sechzigsten Jahr noch eine Menge Geld verdient. Dann sei aber siebzig die äußerste Grenze, sagte George, und es wäre Zeit für sie zu gehen und ihr Geld den Kindern zu überlassen. Nun mischte sich Soames hinein, der bis jetzt geschwiegen hatte; er konnte die Bemerkung über das ›Leichenbitteramt‹ nicht vergessen und sagte mit kaum merkbarem Heben seiner Augenlider, daß Leute, die niemals Geld verdienten, gut reden hätten. Er selbst beabsichtige so lange zu leben wie möglich. Das war ein Hieb gegen George, der tatsächlich immer in Verlegenheiten war. Bosinney murmelte zerstreut ein »Hört, hört!« George gähnte, und die Unterhaltung brach ab.

      Bei der Ankunft ward der Sarg in die Kapelle getragen und die Trauernden gingen zwei zu zwei in einer Reihe hinterher. In dem großen London mit seiner überwältigenden Mannigfaltigkeit des Lebens, seinen unzähligen Berufen, Vergnügungen und Pflichten, seiner furchtbaren Grausamkeit, seinem furchtbaren Trieb zur Individualität, gewährte diese Leibwache von Männern, die alle durch Verwandtschaftsbande mit der Toten verknüpft waren, einen seltsamen, ergreifenden Anblick.

      Die Familie hatte sich versammelt, um über all das zu triumphieren, um ihr zähes Zusammenhalten zu zeigen, um jenes Gesetz des Reichtums zu verherrlichen, das dem Wachstum ihres Baumes zugrunde lag, demzufolge Stamm und Zweige gediehen, der Saft sie alle durchströmte und er zur bestimmten Zeit den vollen Wuchs erreichte. Der Geist der Greisin, die hier im letzten Schlafe ruhte, hatte sie zu dieser Kundgebung gerufen. Es war ihr letzter Mahnruf an diese Einigkeit, die ihre Stärke gewesen war – ihr letzter Triumph, daß sie gestorben, solange der Baum noch in Gesundheit stand.

      Es war ihr erspart geblieben mit anzusehen, wie die einzelnen Zweige aus ihrem Gleichgewicht gerieten. Sie konnte nicht in die Herzen derer blicken, die nach ihr kamen. Dem selben Gesetz, dem sie unterworfen war, da aus dem schlanken, hochaufgeschossenen Mädchen ein kräftig Weib geworden, aus dem kräftigen Weibe eine schwache, hagere, fast hexenhafte Greisin, deren Eigenart immer schärfer und schärfer hervortrat, da alles Weiche sich in der Berührung mit der Welt verlor – dem selben Gesetz war die Familie unterworfen, die sie wie eine Mutter bewacht hatte.

      Sie hatte sie jung und im Heranwachsen gesehen, hatte sie kräftig und vollerblüht gesehen, und ehe ihre alten Augen Zeit oder Kraft gehabt, noch mehr zu sehen, war sie gestorben. Gern hätte sie versucht, und wer weiß, ob ihr nicht geglückt wäre, sie – ein wenig länger noch – mit ihren alten Fingern, ihren zitternden Küssen jung und stark zu erhalten; aber ach! nicht einmal Tante Ann vermochte gegen die Natur zu kämpfen.

      ›Hochmut kommt vor dem Fall!‹ Und darum, ein Beweis für diese größte Ironie des Schicksals, hatte die Familie Forsyte sich, bevor sie fiel, zu einem letzten stolzen Gepränge versammelt. Ihre Gesichter, links und rechts in einzelnen Reihen, die Hüter ihrer Gedanken, waren fast alle gleichgültig zu Boden gerichtet; nur hier und dort blickte einer mit einer Falte zwischen den Brauen empor und schien an den Wanden der Kapelle etwas zu sehen, das ihn überwältigte, oder etwas zu hören, das ihn erschreckte. Und das leise Gemurmel der Stimmen beim Gottesdienst, durch die immer der selbe Ton, der selbe ungreifbare Familienklang zu hören war, hallte unheimlich, wie von einer einzigen Person in rascher Wiederholung hingestammelt.

      Als die Trauerfeier in der Kapelle vorüber war, reihten die Leidtragenden sich wieder an einander, um die Leiche an das Grab zu geleiten. Die Gruft stand offen und ringsherum warteten schwarzgekleidete Männer.

      Von dieser hochgelegenen, heiligen Stätte, wo Tausende des besseren Mittelstandes in ihrem letzten Schlafe ruhten, glitten die Augen der Forsytes über die Schar der andern Gräber hin. Dort – bis in die weite Ferne ausgedehnt, lag London, sonnenlos, und trauerte um den Verlust dieser Tochter, trauerte mit der Familie, die ihr so teuer war, um den Verlust derjenigen, die ihr Mutter und Hüterin gewesen. Hunderttausende von Türmen und von Häusern, hinter dem weiten grauen Gespinst des Reichtums kaum erkennbar, lagen dort kniend wie Andächtige am Grabe dieser ältesten aller Forsytes.

      Ein paar Worte, ein Krümchen Erde, dann senkte man den Sarg hinab, und Tante Ann war zur letzten Ruhe eingegangen.

      Rund um die Gruft standen, die weißen Häupter gesenkt, als Wächter dieses Heimgangs, die fünf Brüder; sie wollten sehen, daß Ann gut aufgehoben war. Ihr kleines Vermögen mußte zurückbleiben, aber sonst sollte es ihr an nichts fehlen.

      Dann traten sie einzeln zur Seite, setzten den Hut auf und kehrten zurück, um die neue Inschrift an der Marmortafel der Familiengruft zu betrachten:

      Zum heiligen Gedächtnis von

       Ann Forsyte,

       Tochter von Jolyon und Ann Forsyte,

       gestorben am 27. September 1886,

       im Alter von 87 Jahren und

       vier Tagen.

      Bald vielleicht war für einen andern eine Inschrift nötig. Es war sonderbar und unerträglich, denn sie hatten nie daran gedacht, daß ein Forsyte sterben könnte. Und sie alle sehnten sich fort aus der peinlichen Stimmung, dieser Feier, die sie an Dinge mahnte, an die zu denken sie nicht ertragen konnten – rasch fort, um an ihre Geschäfte zu gehen und zu vergessen.

      Es war auch kalt; der Wind, einer langsam zersetzenden Macht gleich, blies die Anhöhe herauf über die Gräber hin und traf sie mit seinem eisigen Hauch; sie verteilten sich in Gruppen und eilten, so schnell wie möglich in die wartenden Wagen zu kommen.

      Swithin wollte zum Lunch zu Timothy zurückfahren und erbot sich jemand in seinem Coupé mitzunehmen. Es galt als zweifelhaftes Vergnügen mit Swithin in seinem zweisitzigen Wagen zu fahren, denn er war nicht groß; niemand folgte der Einladung, und so fuhr er allein davon. James und Roger brachen unmittelbar darauf ebenfalls auf; auch sie wollten zum Lunch dort sein. Die andern verloren sich allmählich, und der alte Jolyon nahm drei seiner Neffen mit in seinen Wagen, denn er hatte ein Verlangen nach diesen jugendlichen Gesichtern.

      Soames, der im Kirchhofs-Bureau noch einiges anzuordnen hatte, ging mit Bosinney zusammen fort. Er hatte vielerlei mit ihm zu besprechen, und nachdem das Geschäftliche erledigt war, schlenderten sie nach Hampstead, frühstückten zusammen und redeten lange eingehend über praktische Details des Hausbaus. Dann nahmen sie die Straßenbahn und trennten sich am Marble Arch, von wo aus Bosinney nach Stanhope Gate ging, um June zu besuchen.

      Soames war in ausgezeichneter Stimmung als er zu Haus anlangte und erzählte Irene bei Tisch, daß er sich mit Bosinney, der wirklich ein vernünftiger Mensch zu sein scheine, sehr gut unterhalten habe. Sie hätten auch einen tüchtigen Spaziergang gemacht und das habe ihm sehr gut getan, denn es fehle ihm seit lange an Bewegung; es sei überhaupt ein recht angenehmer Tag gewesen. Er wäre gern mit ihr ins Theater gegangen, das konnten sie aber mit Rücksicht auf die arme Tante Ann nicht und müßten darum versuchen, es sich zu Hause gemütlich zu machen.

      »Der ›Bukanier‹ hat mehr als einmal nach dir gefragt,« sagte er plötzlich; und in einem unerklärlichen Verlangen sein Besitzrecht geltend zu machen, erhob er sich von seinem Stuhl und drückte einen Kuß auf die Schulter seiner Frau.

      Zweiter Teil

       Inhaltsverzeichnis

      Erstes Kapitel

      Der Bau des Hauses

       Inhaltsverzeichnis

      Es war ein milder Winter gewesen. Das Geschäft ging flau, und die Zeit zum Bauen war günstig, wie Soames vorausgesehen hatte, ehe er sich dazu entschloß. Das Haus in Robin Hill war daher gegen Ende April im Rohbau vollendet.

      Jetzt, wo für sein Geld etwas zu sehen war, fuhr er ein-, zwei-, ja sogar dreimal in der Woche hinaus und stelzte, stets darauf bedacht, seine Sachen nicht zu beschmutzen, stundenlang in dem Schutt herum, ging schweigend durch das unfertige Mauerwerk der Türöffnungen oder im Kreise um die Säulen im Mittelhofe.

      Und

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