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sie noch nicht und sie können nun auch verstehen, warum Tante Lena und Onkel Franz sich so kaputtgelacht haben.

      Mittlerweile sind meine Schwestern etwas zu groß für solche Spielchen. Jetzt lädt Tante Lena mich und meine Cousins ein und wir gehen gerne zu ihr. Sie wohnt in einem neu gebauten Wohnblock mit Oma Gerke zusammen.

      Opa Gerke und Opa Wedding habe ich noch nie gesehen. Nur ein hässliches Totenbild von Opa Wedding. Ich fand es zufällig im Karton zwischen den alten Fotos. Entsetzt starrte ich das Bild an. Wie kann man so etwas Gruseliges fotografieren?

      Wenn ich Tante Lena besuche, sitzt Oma in ihrem Zimmer und nimmt wenig Notiz von mir. Sie ist ziemlich klein und etwas krumm. Ihre Haare sind noch nicht grau und zu einem Dutt gebunden. Sie trägt ständig schwarze Klamotten. Beim Laufen stützt sie sich auf einen Stock. Ich versuche, sie auf mich aufmerksam zu machen. Doch sie scheint keine Lust auf eine Unterhaltung zu haben. Da suche ich schnell das Weite. Tante Lena winkt nur ab und sagt: „Oma ist alt, die will lieber für sich sein. Komm, geh ins Wohnzimmer. Sie ist oft so komisch. Ich glaube, Oma ist eifersüchtig auf mich und Onkel Franz, wenn du verstehst, was ich meine.“ Dabei schaut Tante Lena mich vielsagend an. Doch ich weiß ganz und gar nicht, was sie meint. Da kann sie noch so viel mit ihren Augen rollen.

      Im Wohnzimmer ist alles modern eingerichtet. In der Ecke steht ein Glaskasten mit Korallen. Die sehen wirklich schön aus. Auf ihrem Tisch befindet sich in einer Schale künstliches Obst: Weintrauben, Bananen und Apfelsinen. Das Witzige ist, dass es solches Obst in echt bei uns gar nicht zu kaufen gibt. Wenn ich so tue, als würde ich die Bananen auf den Balkon genüsslich verspeisen, dann würden die Leute doch sicher neidisch schauen, denke ich. Doch es sieht mir niemand beim Obstessen zu, als ich mit dem Zeugs auf den Balkon sitze. Wie langweilig, muss ich mir eingestehen.

      Hinterm Haus erstreckt sich eine Rasenfläche mit einer Teppichklopfstange. An der habe ich schon herumgeturnt. Dahinter breitet sich ein abgemähtes Roggenfeld aus. Dort kann man die schönsten Kornblumensträuße sammeln, wenn das Korn reif ist. Als wir das einmal taten, freute sich Tante Lena über den ersten Strauß genauso wie über den letzten. Das hat richtigen Spaß gemacht. Daraufhin schenkte ich meiner Mutter auch solch einen Strauß, doch die sagte nur: „Was soll ich mit dem Dreck?“ Tante Lena dagegen kann so wundervoll tun, als würde sie sich freuen. Da wird einem so richtig warm ums Herz. Am liebsten würde ich ihr noch tausend solcher Blumensträuße schenken, um die Freude in ihren Augen zu sehen.

      Heute ist kein Kind draußen, mit dem ich etwas unternehmen könnte. Doch ich rieche Mittagessen und renne schnell in die Küche. Oma bekommt ihr Essen aufs Zimmer. Tante Lena und ich essen in der Küche.

      „Na, Ramona, was willst du dieses Jahr zu Weihnachten haben?“

      Es rattert in meinem Gehirn. Wann bekommt man schon mal solch eine Frage gestellt? Genau genommen fast nie, außer von Tante Lena. Wenn jemand schon danach fragt, dann muss man sich auch etwas ganz Besonderes ausdenken. Etwas, was mir meine Eltern nie im Leben schenken würden, geht es mir durch den Kopf. „Ich hab es! Ich wünsche mir einen Affen“, verkünde ich.

      „Einen Affen?“, fragt Tante Lena entsetzt. „Den kann ich dir nicht schenken.“

      „Aber über einen Affen würde ich mich doch furchtbar freuen“, bettele ich. Ich muss nur beharrlich an meinem Wunsch festhalten, dann wird er schon in Erfüllung gehen, bin ich insgeheim überzeugt. Doch da habe ich mich gewaltig geschnitten!

      In der Weihnachtszeit besuchen wir dann Tante Lena, um unsere Geschenke abzuholen. Meine zwei Cousins bekommen wundervolle Skier, nur ich schau mal wieder dumm aus der Wäsche. So wie voriges Jahr. Die Mädels erzählten mir nämlich, dass Onkel Franz für mich ein tolles Puppenhaus gebastelt hatte, mit allem Drum und Dran, kleinen Möbeln und Teppichen, sogar Licht legte er in das kleine Haus. Aber weil eine klitzekleine Glühbirne nicht funktionierte, bekam Onkel Franz solch einen Wutanfall, dass er das ganze Haus kurz und klein schlug. So ging ich letztes Jahr schon leer aus. An das Ersatzgeschenk kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Nicht, dass ich mich darum reißen würde, mit Puppen zu spielen, aber das Puppenhaus hätte ich doch liebend gern gehabt. So ergreife ich mein Geschenk und bin den Tränen nahe. Tante Lena nimmt mich in den Arm und sagt: „Es tut mir leid, dass du jetzt enttäuscht bist, aber ich habe dir gleich gesagt, dass du keinen Affen bekommen kannst. Du wolltest ja nicht auf mich hören.“ Das ist mir eine bittere Lehre.

      Am nächsten Tag fahren wir zu Tante Sonja und die Jungs probieren ihre Skier aus. In der Nähe von Tante Sonja gibt es einen großen Berg mit einer Rodelbahn, die man hier „Dreihöckerbahn“ nennt. Erwin besorgt schnell einen alten Schlitten für mich und wir sausen den Berg hinunter. Bei jedem Höcker werden wir in die Luft geschleudert und landen unsanft wieder auf der Erde. Das Ende der Bahn ist um einiges steiler. Jedes Kind, das runterfährt, hört man dreimal „Aua“ schreien, weil einem beim Aufprall nach jedem Höcker der Hintern tierisch wehtut. Die Fahrt ist erst zu Ende, wenn das Kind juchzt, als würde es mit der Achterbahn einen riesigen Höhenunterschied überwinden. So steil ist das letzte Stück.

      Knut und Heiko flitzen die Rodelbahn hinunter und machen die beschriebenen Geräusche. Scheinbar funktioniert das wohl auch bei Skiern. Wenn ich mir das so anschaue, bin ich ganz froh, keine Skier zu besitzen. Da lob ich mir doch den alten Schlitten, den ich gerade unter meinem Hintern habe. Wir rodeln bis zum Abend und können kaum noch was sehen. Deswegen umarmt Heiko auch noch einen Baum, den er in der Dämmerung zu spät bemerkt. Schnell rennen wir zu Tante Sonja nach Hause ehe noch etwas Schlimmeres passiert. Tante Inga tritt mit ihren Kindern die Heimreise an und wir bleiben noch eine Nacht hier.

      Tante Sonja wohnt in einem Bauernhaus mit zwei Etagen. Unten die gute Stube, ein Schlafzimmer, ein Kinderzimmer und die Küche. Oben noch ein Zimmer und der Boden mit Räucherkammer. Vom Flur führt eine Treppe in den Keller. Der Keller und der Boden sind erstaunlich leer und aufgeräumt. In der Küche gibt es einen Wasserhahn, aus dem rostiges Wasser tropft, darunter steht ein Hocker mit einer Schüssel. Hier kann man sich die Füße waschen, Zähne putzen oder das Wasser zum Kochen benutzen. Die Küchenmöbel sind alt. Ein gelber Küchenschrank und ein Tisch mit zwei Stühlen. Der Herd ist noch älter. Er wird mit Feuer betrieben. Um die Wärme zu regulieren, muss man die Öffnung zum Feuer größer oder kleiner machen. Dazu benutzt man kleiner werdende Metallringe, die man raus- oder reinlegen kann. In der Ofenröhre brutzelt Tante Sonja den besten Braten der Welt. Heute zum Beispiel liegt eine lecker riechende, knusprige Gans darin. Auf dem Herd kochen die Kartoffeln.

      Von der Küche aus kommt man in den Stall. Links zwei Schweinegatter mit riesigen Futtertrögen. Ich kann zwischen Schweinezaun und Futtertrog nur die Schweineköpfe hin und her wackeln sehen. Darum stelle ich mich auf die Futtereinrichtung, so dass ich die Vierbeiner von oben beobachten kann. Hier hat mir Erwin mal gezeigt, wie man auf einem Schwein reiten kann. Er setzte sich einfach auf das Tier, fasste es an den Ohren und das Schwein rannte so lange hin und her, bis Erwin wieder runter fiel. Das sah witzig aus. Auf der anderen Seite wohnen die Hühner, sie können durch ein winziges Loch ins Freie gelangen. Auf den Hühnerstangen schlafen sie in der Nacht. Ich würde sicher von der Stange fallen, wenn ich so schlafen müsste. Die Kästen an den Wänden sind zum Eier legen. Tante Sonja klaut sie den Hühnern im wahrsten Sinne des Wortes unter dem Hintern weg. Wenn die Eier dann befruchtet sind, müssen sie unter eine Legelampe, bis die Hühnerkinder schlüpfen. Dann hat Tante Sonja im Wohnzimmer neben dem Ofen einen Karton voller gelber, flauschiger Küken zu stehen. Im Stall über den Hühnern sieht man die Luke zum Heuboden. Dort kann man wunderbar im Heu toben.

      Draußen stinkt es mächtig nach Mist. Auf dem Misthaufen thront der Hahn. Da fällt mir die Geschichte vom Hahn ein, der nicht mehr krähen will. Dem hatte man den Kopf abgeschlagen und der ist dennoch im Hof noch ein paar Runden gelaufen. – Wie gruselig! – Das hat mir Erwin erzählt.

      Hinterm Misthaufen befindet sich das Klo, auch „Donnerbalken“ genannt. Dort gehe ich nicht gerne rauf. Erstens stinkt es entsetzlich. Zweitens friert man sich im Winter den Arsch

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