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die ihm mehr zufällig in den Schoß gefallen war, ohne dass er ihre Dimension einzuschätzen wusste, oder ob er die große Enthüllung nur Schritt für Schritt vorbereitete, weil sich Skandale besser verkauften, wenn man immer noch einen draufsetzte.

      Fakt war, dass es zu der großen Enthüllung nicht kommen durfte. Dass eher die Hölle zufrieren würde, bevor der Name Hermann Liebenich durch den Schmutz gezogen wurde.

      Fakt war aber auch, dass er Hilfe brauchte, erst recht, nachdem seine Recherchen ergeben hatten, dass der Journalist tatsächlich über ein gewisses Renommee verfügte.

      Fakt wurde, nach intensivem Abwägen, intensiver, als er es sich sonst erlaubte, dass diese Hilfe nur von einer einzigen Person kommen konnte. Selbst wenn das bedeutete, dass er, Hermann Liebenich, so tun müsste, als bereue er etwas.

      Hermann Liebenich hatte noch nie ein Problem damit gehabt, über seinen Schatten zu springen, wenn es die Lage verlangte. Nur Holzköpfe glaubten, der einzige Weg durch die Wand führe mit dem Schädel voraus.

      Also schritt er zum Telefon, rief die Auskunft an, ließ sich verbinden und hinterließ eine Nachricht.

      Matthias Caspar hatte an diesem Samstagabend lange gezögert, bis er sich zu dem verlangten Rückruf durchrang. Er hatte sogar kurz erwogen, den Befehl zu ignorieren, aber dann doch nicht riskieren wollen, die ganze Nacht kein Auge zuzutun, weil er sich fragte, was der Alte plötzlich wollte. Nach Verfassen seines erwartungsgemäß kurzen Observationsberichts fehlten ihm weitere Ausreden. Noch in der Detektei griff er zum Hörer – die Kollegen hinter sich zu wissen, gab ihm ein irrationales Gefühl von Sicherheit, obwohl sie ihm bei einem Telefonat mit seinem Vater in keiner Weise helfen konnten. Seine Furcht wich einem lauten Lachen, so laut, dass einige der Kollegen ihm halb verwunderte und halb böse Blicke zuwarfen, als ihm sein Vater, der sich wie gewohnt nicht lange mit Nebensächlichkeiten aufhielt, offenbarte, dass er seine Hilfe brauche.

      Restlos sprachlos war Matthias Caspar, als der Alte dieses Wort nachschob, von dem er sich nicht erinnern konnte, es jemals aus seinem Mund gehört zu haben: »Bitte.«

      Doch das ganze Gefühl von Überlegenheit war passé, als er im Wohnzimmer seines Elternhauses stand, in dem sich ein neuer Fernseher, eine neue Sofagarnitur und verdammt viele Erinnerungen fanden. Matthias Caspar ging ans Fenster und starrte hinaus, starrte hinunter auf die Stadt, in der Hoffnung, sein Vater durchschaue nicht, dass er sich plötzlich wieder klein fühlte, dass ihn das Gefühl beschlich, in eine Falle getappt zu sein.

      Dann drang Essensgeruch in seine Nase. Er schnupperte, drehte sich um, erblickte den Vater, der seine Neugierde registrierte.

      »Du hast hoffentlich Hunger mitgebracht? Ich habe Bœuf Stroganoff kommen lassen. Spezialität meines Lieblingsküchenmeisters.«

      Matthias Caspars Magen begann erwartungsfroh zu knurren. »Was soll das? Willst du auf Sonntagstisch machen? Sind wir plötzlich wieder eine Familie?«

      »Nein, ich pflege bei meinen Geschäftsessen einen gewissen Stil. Ganz abgesehen davon glaube ich nicht, dass jemand, der seine Frau und seine kleine Tochter sitzen gelassen hat, in der Position ist, mir Vorträge über Familientraditionen zu machen. Oder, Herr Caspar?«, antwortete Hermann Liebenich.

      Matthias Caspar schnaubte, schließlich hatte der Vater seine Enkelin nur ein einziges Mal besucht, zur Taufe, und danach nie wieder Anläufe unternommen, sie wiederzusehen – Anläufe, die Matthias Caspar selbstverständlich mit aller Macht torpediert hätte. Er schnaubte, aber er erwiderte nichts. Er war solcher Diskussionen mit seinem Vater vor langer Zeit müde geworden.

      Die Zeitung lag schon auf dem Tisch bereit. Hermann Liebenich nahm zwei Bissen des Essens. Dann tupfte er sich mit der Serviette den Mund ab, trank einen Schluck Wein und warf seinem Sohn die Ausgabe hin. »Hast du gestern Zeitung gelesen?«

      Matthias Caspar ließ seine Gabel erst noch ein drittes und viertes Mal in seinem Mund verschwinden, bevor er das Besteck weglegte. Eines musste er seinem Vater lassen: Geschmack besaß er.

      »Seite vierundzwanzig oben«, befahl der.

      Matthias Caspar las, ohne erkennen zu lassen, was in seinem Kopf vorging. Als er fertig war, legte er die Zeitung beiseite und aß weiter, trank seinerseits einen großen Schluck Wein, betrachtete Glas und Inhalt, schwenkte, trank einen weiteren Schluck und nickte anerkennend.

      »Du steckst also in Schwierigkeiten? Hast die Kon­trolle verloren? Passiert dir doch sonst nicht«, spottete er schließlich.

      Hermann Liebenich ging nicht darauf ein. »Ich möchte, dass du herausfindest, was dieser Journalist weiß und von wem er es weiß. Und wie du dir vorstellen kannst, ist es eilig. Deswegen nutze ruhig alle Möglichkeiten, die dir zur Verfügung stehen, wenn du verstehst, was ich meine.«

      Matthias Caspar lächelte. Schwieg wieder für ein paar Sekunden. »Also ich habe das richtig verstanden: Du bittest mich um Hilfe. Mich. Es ist dir also auf einmal nicht mehr unsäglich peinlich, dass ich Privatdetektiv bin?«

      »Siehst du, mein Sohn, du gehst da von falschen Annahmen aus. Es war mir nie peinlich, was du gemacht hast. Alles, was ich getan habe, diente nur einem Ziel: dich anzuspornen, etwas aus deinem Leben zu machen.«

      Findest du das nicht auch amüsant: Wie Menschen, die sich nahestehen oder nahestehen sollten, einander die dreistesten Lügen an den Kopf werfen? Lügen, die ihnen im Umgang mit Fremden niemals in den Sinn kämen? Sei es, weil sie den anderen nicht verletzen wollen. Oder weil sie just das bezwecken. Oder sei es, weil sie nicht in die Verlegenheit kommen wollen, etwas erklären zu müssen.

      Es dürfte dir bewusst sein, dass Hermann Liebenich ein geübter Lügner ist, wobei er sich eher als Wahrheitsbeuger oder Wahrheitserneuerer sieht. In der Regel jedenfalls. Denn ihm ist schmerzhaft bewusst, dass seine Beteuerungen meilenweit von jeder Wahrheit entfernt liegen. Die Tatsache, dass sich sein Sohn mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hat, in seine Fußstapfen zu treten, ist die bitterste Enttäuschung seines Lebens gewesen. Zugeben würde er das niemals.

      Und dann lacht ihn Matthias Caspar aus. Weil er seinem Vater natürlich kein Wort glaubt. Kannst du dir vorstellen, wie sehr er deswegen kocht?

      »Warum ich? Hast du nicht irgendwelche Schergen, die sich um Probleme wie diese normalerweise kümmern?«

      »Ich brauche jemanden, dem ich absolut vertrauen kann.«

      Matthias Caspar lachte erneut. »Und das bin ich?«

      »Ja, weil es um die Familienehre geht. Und letztlich um dein Erbe. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass du bei deinem Gehalt und bei der Höhe deiner Unterhaltszahlungen ein kleines Zusatzhonorar ganz gut gebrauchen könntest.«

      Diesmal lachte Matthias Caspar nicht. »Dir ist aber schon klar, dass ich nicht einfach einen Nebenjob annehmen kann. Ich müsste mir das von meinem Chef genehmigen lassen.«

      »Lass das mal meine Sorge sein«, erwiderte Hermann Liebenich und schenkte Wein nach.

      Seinen Sohn wunderte die Antwort kein bisschen. »Ich muss mal auf die Toilette«, log er und ging davon, den Torkelnden mimend.

      Den Weg kannte er, das renovierte Bad noch nicht. Er setzte sich auf die Schüssel, schloss für eine halbe Minute die Augen, schlug sich zweimal kräftig auf die Wangen, atmete wie schon vorhin in seinem Auto tief durch und kehrte an den Esstisch zurück, an dem sein Vater die ganze Zeit über regungslos dagesessen hatte und dies noch immer tat, als sein Sohn in sein Blickfeld zurückgekehrt war.

      »Na gut. Dann weih mich mal ein. Und lass kein Detail aus.«

      Sie saßen danach noch eine Stunde zusammen, Matthias Caspar hatte irgendwann darauf bestehen müssen, keinen Wein mehr nachgeschenkt zu bekommen. Er erbat sich Bedenkzeit und bekam sie bis zum nächsten Morgen.

      Dabei wusste er längst, dass er zusagen würde. Er wusste es, weil dieser Auftrag genau dem entsprach, was der Job des Privatdetektivs ihm verheißen hatte, als er sich entschied, das Angebot auszuschlagen, stellvertretender Leiter seines Hauptstadtreviers zu werden, als er beschloss, den Polizeidienst mit all seiner Ödnis und Routine zu verlassen. Nichtsahnend,

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