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Bruder Manuel schlug die klamme Decke zurück, unter der Gabriel lag, und prüfte mit wachen Augen den körperlichen Zustand des Kindes. Keine Misshandlung und keine Auszehrung feststellbar.

      »Hör zu, Junge! Wir dürfen keine Zeit verlieren! Du musst schnellstens an einen sicheren Ort gebracht werden! Du wirst jetzt keine Nahrung mehr zu dir nehmen und nur noch Schmerzen haben. Wir müssen es schaffen, dass man dich in die Krankenstation verlegt. Alles Weitere findet sich dann.«

      Gabriel begegnete Bruder Manuel mit wachem Blick und verschlossenen Lippen. Es waren keine Fragen nötig. Er wusste, dass ihm an diesem Ort Unrecht angetan wurde, und ahnte, dass die Ungerechtigkeit sich mehren würde, wenn er hier blieb.

      Da er aber Gott vertraute und auf seine Gerechtigkeit baute, war es absehbar gewesen, dass Hilfe, auf welche Art auch immer, kommen würde.

      Und jetzt war der Mensch da, durch den Gott ihm zur Seite stand. Was sollte er noch fragen? Er wusste um das, was er zu erwarten und zu tun hatte.

      Die Wache hatte sich trotz aller Beleibtheit beeilt zurückzukommen. Schon waren Schritte zu hören. Eine kurze Weile noch, in der sich der Junge und Bruder Manuel schweigend im Blick behielten, dann waren sie nicht mehr allein. Bruder Manuel ging auf die Wache zu.

      »Gebt mir bitte das Wasser, Bruder!«

      Er ließ sich nichts anmerken, nahm den Krug an sich, setzte sich auf den Rand des Lagers und flösste dem Jungen etwas Wasser ein.

      »Der Junge muss trinken! Werdet ihr künftig darauf achten wollen?«

      Die Wache verspürte Unbehagen.

      »Und wenn er einfach nichts zu sich nimmt? – Die ganze Zeit, nur eben gerade nicht, steht ein Krug voller Wasser hier neben der Tür auf der Erde. Es ist seine Sache, die Notwendigkeiten für sein Leben zu erfüllen!«

      »Wenn ich euch darauf aufmerksam machen dürfte, Bruder: es ist auch unabdingbar eure Verpflichtung, die Notwendigkeiten zu erfüllen, um das Weiterleben des Kindes gewährleistet zu sehen.«

      Kein Widerspruch. Die Wache konnte sich ihre Verantwortung ausrechnen.

      Den Zusatz, den Bruder Manuel machte, hätte er sich sparen können.

      Dieses Kind, das ein Werk des Teufels war und Zeugnis für seine Existenz abgab, war für die wichtigsten Menschen der Kirche von enormer Bedeutung, sehr wohl auch für die Vertreter der Inquisition, die er hier schon manches Mal zu seinem eigenen Erschrecken ihr Werk verrichten hatte gesehen und um deren Kommen er auch dieses Mal ahnte. So durfte ihm also zu seiner Verantwortung nichts geschehen und durfte es nicht vor der Zeit, ehe alle Wahrheit aus ihm herausgepresst war, vom Leben zum Tode hin scheiden.

      Und so es doch geschehen würde, konnte es ihm zum Vorwurf gereichen, mit ihm im teuflischen Bunde gestanden zu haben.

      Nein, er brauchte wirklich keine Belehrung. Dass sie dennoch ergangen war, machte ihn noch unruhiger.

      Bruder, du hast dich teuflischen Vergehens schuldig gemacht und die göttliche Offenbarung ob der Existenz Satans zu durchkreuzen versucht. Darauf steht die gleiche Strafe wie sie die Kreatur zu erwarten hatte, deren Natur du zu verschleiern gedachtest.

      Derart konnte der Richtspruch der Heiligen Inquisition über ihn ergehen, wenn ihr verwehrt blieb, über das Kind zu richten, und sie nur noch seinen Leichnam in Augenschein nehmen konnte. Bruder Manuel blieb die Befindlichkeit der Wache nicht verborgen.

      »Ich rate an, sollte der Zustand des Kindes sich nicht bessern, den Prior darum zu bitten, es auf die Krankenstation zu verlegen!«

      Mehr sprach er nicht, um keinen neuerlichen Argwohn zu wecken. Ein Kreuz mit den Händen noch über dem Jungen schlagend erhob er sich und verließ die Zelle, das Kind sicher und die Wache unsicher zurücklassend.

      *

      Ein Missgeschick, ein gebrochenes Rad an dem von ihm benutzten Wagen, durch die immense Last der hölzernen Aufbauten zumindest mit bedingt, hatte sie zurückgeworfen. Die Reparatur ging nicht so schnell vonstatten, wie es sein Anliegen verlangte. Zwei der Soldaten, die ihn begleiteten, hatten erst Hilfe aus dem Dorf herbeischaffen müssen, das auf dem Wege vor ihnen lag. Stunden an wertvoller Zeit waren schon vergangen.

      Die Sonne schien durch das Geäst der Steineiche, an deren Stamm er sich niedergelassen hatte, und brannte wie Feuer.

      Aber schlimmer noch brannte die Glut der Ungeduld. Unablässig schoss ihm der Vortrag des Boten, von dem er vor Wochenfrist aufgesucht worden war, durch den Kopf. Der Teufel leibhaftig erschienen in der Gestalt eines Kindes, das keinen Schatten warf.

      Konnte es einen besseren Beweis als diesen geben, dass überall dämonische Kräfte die von Gott gegebene Ordnung beseitigen und dem seelenlosen Fürsten der Dunkelheit den Weg zur immerwährenden Herrschaft auf Erden bahnen wollten?

      Die Diener des wahren Herrn, zu denen auch er gehörte, sie mussten alle Tage, alle Stunden wachsam sein und durften weder ruhen noch sich blenden lassen und keinen Kampf scheuen, und sei es um das Opfer des eigenen Lebens. Es ging um das Heil der ganzen Christenheit, so auch um das seine, um das Heil seiner Seele und um das Seelenheil aller Aufrechten, es ging um den Einzug in die Seligkeit des Ewigen, um das Höchste, das ein Menschenleben erreichen konnte.

      In diesen Dienst der heiligen Sache hatte er sich voller Überzeugung gestellt, vom frühesten Mannestum an bis eben jetzt zu dieser Zeit, die ihn als mächtigen und gefürchteten Diener für den wahren und rechten Glauben kannte.

      Landauf, landab eilte ihm sein Ruf voraus, warfen sich die Gläubigen bei seinem Erscheinen in den Schmutz der Straße oder versuchten die Brüder und Schwestern des satanischen Bundes, diese elendigen Kreaturen, die wie Pilze aus der Erde sprossen, ihr Leben in der Flucht zu retten, um selbiges dennoch durch seine Entschlossenheit um aller Gerechtigkeit willen in den reinigenden, zum Himmel hin züngelnden Flammen einzubüßen.

      In seinen glühenden Visionen sah er ein Feuer, das die ganze Welt überkam und sie von allem Unrat befreite. Nur wer den rechten Glauben in sich trug, der musste keine Angst in sich reifen lassen.

      Ich, Alfonso de Torquemada, werde durch die Flammen gehen, aufrecht und sicher, und noch nicht einmal die Spitze meines Mantels wird versengt sein.

      Alle anderen jedoch, dieses faulig eitrige Geschwür der Menschheit, diese Ketzer gegen den Herrn und seine einzig wahre Lehre, würden ausgebrannt und ausgemerzt werden.

      O ja, es musste solch ein Feuer kommen, ein verheerender Sturm, der allem Unwerten das unverdiente Leben nahm.

      Bis Gott diesen Feuersturm sandte, war seine Aufgabe aber noch nicht erfüllt und hatte er den Glauben, wie die Väter ihn seit Anbeginn lehrten, zu verteidigen und Härte gegen sich einzufordern, um alle ihm sich offenbarende Sünde auszulöschen und gleichsam auch die, die sie hervorbrachten.

      Ein vom Mittelalter an schon über Jahrhunderte gehender Kampf der Kirche war zwar siegreich beendet worden.

      Die Conversos, die Bekehrten, die nur zum Schein vom Judentum oder vom Islam zum Christentum übergetreten waren und im Verborgenen weiter ihre zersetzenden Kräfte einzusetzen gedachten, waren niedergeworfen worden oder hatten ihr unwürdiges Leben durch Flucht gerettet. Doch unverändert war das Böse ein Feind mit hundert Köpfen, hinterhältig sich verbergend und gierig sich vermehrend, eine gefährliche Wurzel, unaufhörlich aus der Erde sprießend und von der schwarzen Lust getrieben, das Gute an seinem Stamme zu packen und zu ersticken.

      Überall trieb es sich um und lauerte es. Ein endlos langer Kampf weiterhin, der sich abzeichnete. Die Welt, sie war schlecht, noch immer fest in Satans Hand.

      Er musste kämpfen und stürmen, musste für die heilige Sache ganze Städte und Landschaften in Blut tauchen und je mehr Schuldige er bekam, desto mehr wuchs die Gewissheit um den Beistand des göttlichen Herrn. Auch dieses Kind gehörte gerichtet um der Reinheit der Erde willen, die Gott den Menschen anvertraut hatte.

      Aufgegangene Satansfrucht, ich werde Deine Fäulnis kenntlich machen und Dich zertreten.

      Hass stieg in ihm auf. Hass gegen ein Menschenleben, das

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