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die in livrierten Uniformen einherging und durch demonstrierte Gleichgültigkeit Pablo gegenüber die Geringschätzung seiner Person mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, hart ins Gericht gegangen. Dies machte Pablo für sein Verhör, was anderes konnte auf ihn nicht warten, noch unsicherer.

      Was Sion de Albanez da laut schimpfend äußerte, überhörte er, wie wenn in seiner Furcht alle seine Kanäle zur Welt verstopften. Der wachsende Druck in ihm war das einzige, was ihm bewusst wurde. Das Geschrei seines Herrn ging ihn einfach nichts an. Werk einer einsilbigen Erziehung. Und so nahm er auch nicht auf, dass es um ihn ging, um ihn, den bedeutungslosen, alten Fischer in seinen Lumpenkleidern.

      Pablos Blick irrte unsicher durch den weiten, mit fein geschliffenem Palisanderholz getäfelten Raum, der mit Bodenfliesen aus weißem Marmor von Ronda ausgelegt war, streifte die wertvollen Tapeserien, die Perlenstickerei, die unter das Glas des vor ihm stehenden Rundtisches eingelassen worden war, vermochte ob aller Fremdheit an nichts festzumachen und heftete sich dann an das kleine Stück Meer, an die große Vertrautheit, die er beim Blick aus dem Fenster auszumachen in der Lage war.

      Dort draußen war die Freiheit. Immerwährende Verbundenheit, die ihn wärmte, auch wenn das ihn zeitlebens ernährende Wasser sich ein einziges Mal zum schlimmsten Feind aufgeschwungen und er ihm lange, lange Zeit mit stillem Vorwurf und großer Bitternis in der Seele gegenüber gestanden hatte. Und doch hatte seine Seele aus dem Hass herausgefunden und Liebe und Vertrauen zurückerhalten.

      Das Meer war wie das Leben … es musste ihm alles im ewig harten Kampfe abgetrotzt werden. Doch ohne das Meer gab es für ihn kein Leben und kein Überleben.

      Unvorstellbar, an einem anderen Ort weit weg von ihm und dieser Küste, der Küste des Lichts, das Dasein sichern zu müssen, unvorstellbar, es nicht mehr in seinem Blick und in seinem Gehör zu haben und seine raue, salzhaltige Luft nicht mehr in seinem Gesicht zu spüren. Das Meer hatte Macht. Es hatte auch Macht über ihn und bestimmte ihn tagein, tagaus, von früher Kindheit an bis gewiss zu seinem letzten Tag. Trotz seiner Mächtigkeit aber stand es für ihn fühlbar in der Macht einer noch viel größeren Gewalt.

      Nein, die See hatte ihm nicht Frederico genommen. Dahinter steckte eine größere Macht, ein anderer Wille.

      So seine mühsam mit der Zeit gefundene Erklärung, die es ihm gestattete, an ihrer kargen Küste weiterzuleben.

      Endlich hatte Sion de Albanez den abgekühlten Raum betreten. Hatte schon sein Erscheinen die Bedrückung, die Pablo verspürte, noch einmal gesteigert, so ließ der Herr durch sein weiteres Verhalten die Anspannung nahezu unerträglich werden.

      Er ging, ohne von ihm Notiz zu nehmen, zum Fenster, nahm ihm Sicht und Licht und schaute eine Ewigkeit schweigend nach draußen. Pablo fühlte sich so unwohl wie selten in seinem Leben zuvor.

      Warum redete sein Herr nicht mit ihm? Er wusste doch um seine Anwesenheit in dem Raum.

      Wieso musste dieser hochgeborene Mensch sich überhaupt mit ihm einlassen? Pablo suchte nach einer Erklärung und fand den Mangel, warum keine Worte an ihn gerichtet wurden, allein bei sich.

      Er war ein Nichts, ein Niemand. Mit solchen Leuten verkehrten die Edlen nicht. Die Erfahrungen in seinem Leben bestätigten das.

      Noch nie hatte Sion de Albanez persönlich mit ihm gesprochen. Wenige Befehle nur, aus der Distanz an ihn und andere gleichsam gerichtet, mehr war für ihn nicht in all den Jahren über die Lippen seines Herren gekommen.

      Der geringe Wert seiner Person, den herauszustellen Sion de Albanez eindrucksvoll verstand, ließ Pablos Kopf nach unten sinken.

      »Warum hat er seinen Herrn nicht längst unterrichtet? Soll er nicht sagen, er hätte nichts gewusst und geahnt!«

      Nach langen Minuten des Schweigens waren endlich die ersten Worte gefallen.

      Die harte Stimme von Sion de Albanez schnitt ihm ins Fleisch. Pablo spürte, dass keine Antwort von ihm verlangt war, und wartete auf die Anklage.

      »Hat sein Herr nicht immer Geduld mit ihm geübt? Haben er und sein Vater ihm über all die Jahre hinweg nicht die Gnade erwiesen, sein Nichts von Leben ihrem Schutz anheim zu stellen? Sag, ist er sich nicht darüber bewusst, sein Dasein durch diesen ungeheuren Vertrauensbruch verwirkt zu haben?«

      Fragen auf Fragen ohne die Not der Erwiderung, jene Not aber schürend, dass sein Leben in Gefahr geraten war. Pablo hatte seinen Kopf gehoben, vermochte aber nicht dem Blick von Sion de Albanez standzuhalten.

      »Wer steckt mit im Bunde? Auch diese räudige Kreatur, die dein Freund sein soll … dieser Luis?«

      Sion de Albanez zeigte sich darüber unterrichtet, wer zu den Menschen gehörte, die Pablo nahe standen. Endlich regte sich in ihm der Wille, das Wort zu ergreifen, doch Sion de Albanez erstickte schon das erste auf seinen Lippen.

      »Du musst mir keine Lügen verkaufen! Also schweig! Ich weiß, wer dein schändliches Tun unterstützt hat.«

      Sion de Albanez wandte sich von Pablo ab, nur den Geruch von süßem Parfum, das seinen Körper umgab, ihm hinterlassend, durchschritt den Raum und postierte sich wieder am Fenster, den Blick nach draußen gerichtet. Es war an der Zeit, dass er seinen Plan in die Welt entließ. Noch einmal durchdachte er ihn.

      »Weißt du, wo Luis steckt? Und hüte dich, mir Unwahres zu berichten!«

      Pablo wusste nichts über den Verbleib seines alten Freundes zu sagen. Seit sechs Tagen hatte er ihn nicht mehr gesehen. Er sei auf der Suche nach seinem Sohn, hatte man ihm hinter vorgehaltener Hand gesagt. Pablo konnte das nicht glauben. Sein alter Freund wäre nie auf diese Suche gegangen, ohne ihn in diese mit einzubinden. Große Sorge erfüllte ihn aufgrund seines Ausbleibens.

      Das Drohende, zwei ihm so nah stehende Menschen zu verlieren, und noch dazu in so kurzer Zeit, war das Erlebnis der Hölle in irdischer Zeit. Und was war mit Luis Sohn, mit Joaquin?

      Genau diese Frage hatten sich die von ihm bestellten Häscher und hatte sich dann auch Sion de Albanez im Zuge seiner Suche nach dem Kind gestellt. Er hatte Luis, diesen gemeinen Hund, bespitzeln lassen, damit dieser ihn womöglich zu dem Versteck von Gabriel führte.

      Luis war alt, aber noch voller Kraft. Und ein Unruhegeist dazu. Und der Freund von Pablo. Sofort hatte Sion de Albanez den Verdacht gehegt, dass er was mit der gewaltsamen Befreiung von dieser schattenlosen Ausgeburt des Teufels zu tun haben könnte.

      Luis gleichwohl hatte sich unauffällig verhalten, war seiner Arbeit nachgegangen und nicht auf ungewohnten Wegen unterwegs gewesen. Auch hatte er zur Vermeidung jeglichen Argwohns für sich entschieden, in der ersten Zeit nicht zu Pablo zu gehen und mit ihm zu reden, obwohl er ihm so viel zu sagen gehabt hätte und den Freund wissen lassen wollte, dass er ihm beistand.

      Seine mit der Überwachung beauftragten Leute hatten aber Luis Sohn Joaquin ein, zwei Tage nicht zu Gesicht bekommen und ihren Herrn entsprechend informiert.

      Jetzt war der junge Mann noch immer nicht zurückgekehrt und dazu waren Luis, sein Vater, und auch der Junge nicht mehr da.

      Sion de Albanez war nicht länger mehr rastlos und suchend. Er verspürte grimmige Genugtuung. Die Geschehnisse der vergangenen Tage hatten sich ganz in seinem Sinn vollzogen. Doch wegen der verräterischen Umtriebe saß ihm noch tiefer Groll in der Brust.

      Pablo hatte er nicht zur Aufklärung, sondern zum bloßen Schein einbestellt.

      Was den Verbleib der Vermissten anbelangte, wollte er ihn über seine Ratlosigkeit nicht im Unklaren zu lassen. Sollte ihn in den Reihen dieser Gemeinen ja keiner bezichtigen können, etwas mit dem Verschwinden dieses unliebsamen Gesindels zu tun zu haben. Alle Mutmaßungen gehörten im Keim erstickt.

      So fragte er mit beschwörender Mimik, wo der Junge, den er als den leibhaftigen Teufel bezeichnete, und seine Verbündeten abgeblieben waren, genau wissend, dass nur er die Antwort kannte.

      Pablos Andeutung eines Achselzuckens und sein weitergehendes Schweigen waren der Auslöser von neuerlichen Wutausbrüchen seines Herrn.

      »Glaub er mir ja nicht, dass er so davon kommt!«

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