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war im Wochenbett gestorben. Eigentlich hätte sie sich nie hier aufhalten dürfen.

      Aber sie befand sich schon dem Tode näher als dem Leben, als sie vor der Pforte der Kartause gefunden wurde, wahrscheinlich von irgend einer gerührten Seele dort abgelegt, und fand Einlass, von den Padres, den Priestermönchen durch eisiges Schweigen missbilligt. Der Prior forderte die schnelle Entfernung des Kindes aus dem heiligen Bezirk. Barmherzigkeit war fehl am Platze, wo das christliche Heil in Gefahr geriet, noch dazu die Kartäuser kontemplativ und nicht der Welt zugewandt waren.

      Pepas Leben hing aber auch schon so am seidenen Faden. Zu früh war sie wegen der maßlosen Überanstrengung der Mutter, die bis zuletzt von niederer Arbeit zum Erhalt des erbärmlichen Daseins nicht ablassen konnte, geboren worden.

      Pepa atmete schwach, ihr Körpergewicht war viel zu gering, die Überlebensreife kaum erreicht.

      Die herbeigerufene Hebamme aus dem am Fuße des Klosterbergs gelegenen Flecken weigerte sich, das Kind mitzunehmen.

      Auch fand sich keine Amme. Schnell war das Gerücht im Umlauf gewesen, der Teufel sei schon im Besitze der Seele des Kindes. Deshalb wäre es nicht verwunderlich, dass es schon dem Tode näher als dem Leben sei.

      Wäre Bruder Manuel nicht für sie aufgestanden, wäre Pepa zum Tode verurteilt gewesen.

      Er vermochte das Interesse seines Meisters an dem Erhalt des winzigen Lebens zu wecken, päppelte Pepa mit Milch und geschmolzener Butter auf, schaffte es, so gut es ging, die Existenz des Kindes außerhalb des Augenmerks des Priors zu halten, wozu auch die nachhaltige Beteuerung gehörte, einen neuen Aufenthaltsort für Pepa finden zu wollen. Und doch wunderte er sich nach all seinen Erfahrungen, dass ihm das Kind nicht mit Gewalt genommen wurde, noch nicht einmal anlässlich der alle zwei Jahre stattfindenden Überprüfungen der Kartause durch jeweils zwei andere Prioren.

      Oft hätte er in der Folge Gelegenheit gehabt, seine Worte in die Tat umzusetzen. Es gab genügend reisendes Volk, das ein Kind mitzunehmen bereit gewesen wäre, sei es zur Gewinnung seiner Arbeitskraft, sei es zu einem Zwecke schlimmer Art.

      Bruder Manuel aber wollte Pepa, nachdem sie schon so unglücklich in die Welt gekommen war, jeden Schutz, den zu leisten er im Stande war, zukommen lassen. Vielleicht vermochte er sich auch nicht von ihr zu trennen, weil er für das Leben eines Mönches in tiefster Seele nicht geboren war, weil er nicht über das viele Unrecht, das im Namen Gottes von der Kirche verübt wurde, hinwegsehen konnte. Das wirtschaftliche Auspressen der Menschen, das Erpressen von ihnen im herrischen Glauben, alles an Seelenheil sei nur über die Kirche zu erlangen, das Zerpressen aller Kreatur, die diesem Glauben nicht blindlings zu folgen bereit war, weil sie andere Erkenntnisse und Wahrheiten gefunden hatte.

      Die Existenz Pepas in diesem Kloster war ein stiller Protest gegen all die im Namen Gottes praktizierte und geduldete Ungerechtigkeit, ein Vorführen der selbst sich erhebenden Macht, welche das Volk unablässig in den Schmutz drängte und selbst doch über und über besudelt war.

      Pepa hatte sich der Eintönigkeit und der Unmöglichkeit der räumlichen Entfaltung zum Trotz zu einem bemerkenswert fröhlichen und aufgeweckten Kind entwickelt. Sie litt nicht darunter, den Kranken- und Küchenbereich des Klosters nicht verlassen zu können, half entschlossen bei der Krankenpflege mit, holte das Essen ab, kümmerte sich um die Wäsche, die Reinigung der ärztlichen Utensilien und der Verbände, brachte die Notdurft weg, fegte und putzte den Boden und war, was sie mit der größten Freude erfüllte, da sie die helle Sonne und Luft zu spüren bekam, bei der Bewirtschaftung des Klostergartens behilflich.

      Dazu war Bruder Manuel ihr ein guter Lehrer und Erzieher und obendrein ein väterlicher Freund. Pepa musste viel entbehren, fraglos, aber es hätte schlechter, viel schlechter um sie stehen können … bis hin zum Verlust ihres für die Welt so unbedeutenden Lebens.

      Bruder Manuel musste ebenso viel entbehren, aber in der Obhut, die er dem Mädchen von Geburt an angedeihen ließ, fand er Glück und Lebenssinn.

      Ein Glück freilich, das vergehen würde. Pepa bewegte sich mit großen Schritten auf die Zeit zu, in welcher sie nicht mehr als Kind, sondern als junge Frau wahrgenommen würde. Dann spätestens musste sie das Kloster verlassen, selbst der so schwächliche und zaudernde Prior würde keinen Tag mehr ruhen, egal was aus dem Mädchen werden sollte.

      Vielleicht würde auch er das Kloster zu dieser Zeit verlassen. Diese Möglichkeit hatte sich seit längerem in Bruder Manuels Überlegungen als ein in Betracht zu ziehendes Tun festgesetzt. Und das obwohl er sich durch sein Gelübde auf ewig an den Orden gebunden hatte. Aber die innere Begeisterung der früheren Jahre war dahin.

      Je näher die Zeit der Entscheidung rückte, desto stärker verspürte er den Wunsch, Pepa, den Lichtquell seines bescheidenen Lebens, bei sich behalten zu wollen, sie in die Ferne zu begleiten.

      Die Kirche gab ihnen ein fragliches Obdach. Das würden sie beide auch ganz sicher anderweitig erlangen können. Sie würden keine Ansprüche stellen und irgendwo unterkommen. Ein unausgesprochener Hoffnungsschimmer.

      Dass alles ganz anders kommen sollte, und dies unter dramatischen Geschehnissen, davon ahnte Bruder Manuel an diesem Tage noch nichts, da er vergnügt und mit Ernst zugleich zusah, wie Pepa und Gabriel sich miteinander bekannt machten.

      »Einen Jungen hatten wir hier noch nie!«

      »Wo bin ich?«

      Gabriel wiederholte seine Frage, sah sich wieder um, erblickte Bruder Manuel im Hintergrund und schien eine Idee zu bekommen.

      »Ich mache dich gesund!«

      Bruder Manuel kam hinzu.

      »Seit dem vorgestrigen Tage, mein Junge, bist du hier, damit wir dir besser helfen können!«

      Gabriel entging nicht der Doppelsinn des Gesagten. Er dachte an die Worte, die Bruder Manuel in der Zelle zu ihm gesprochen hatte.

      »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Du musst schnellstens an einen sicheren Ort gebracht werden!«

      »Danke!«

      Gabriel schaute ihn, aber auch Pepa an. Sein Dank galt beiden.

      Zwei gute Menschen an seiner Seite, inmitten des großen düsteren Schweigens, das von diesem unheimlichen, gottlosen Ort und seinen übrigen Bewohnern ausging.

      Bald darauf war Gabriel wieder eingeschlafen. Er kam den ganzen Tag nicht mehr zu sich, und auch die Nacht schenkte ihm weiter den so dringend benötigten Schlaf.

      Andere Menschen, die zu seiner Welt gehörten, in freundschaftlicher, in feindlicher Gesinnung, fanden nicht in den Schlaf.

      Ein rastloser Diener Gottes, getrieben von dem hohen Fieber, den Teufel in der Gestalt eines Kindes zu stellen und zu richten, ein unruhiger Gutsherr, der seine Leute nach diesem finsteren Richter ausgesandt hatte und ihn gleichermaßen auch wie eine böse Heimsuchung erwartete, ein Prior, der ob der Beheimatung des Dämons in seinem Hause kaum noch ein Auge zubekam, ein alter Fischer, der seine Gebrechen vergaß und sich auf die Suche seines Lebens begeben hatte, um nicht wieder einen Sohn zu verlieren, ein Herz, das ihn begleitete und schließlich ein der wahren Lehre Gottes verschworener, der Nächstenliebe anbefohlener Mönch im einfachen Habit, der wusste, dass die Zeit gegen diesen Jungen arbeitete, der hier bei ihm auf der Krankenstation lag und nur mühsam wieder zu Kräften kam.

      Als er, nachdem er dieses Mal zu ihm gerufen worden war, ihn neuerlich gesehen hatte, war er vom Schrecken getroffen worden.

      Gabriels Zustand hatte sich verschlechtert, ob mit seinem Zutun, dass er nichts mehr aß und trank, oder ohne dieses, wusste Bruder Manuel nicht zu sagen. So konnte der Junge unmöglich auf die gefährliche Reise gehen. Ein Wunder bald musste geschehen, sonst war er verloren. Die Küche hatte schon die Order erhalten, nahrhafte Brühen zu kochen. Auch die streng rationierten Kartoffeln, die unter der Obhut des an sich geizigen Cellerars, des Verwalters des Klosterguts, standen, würden dem Jungen gereicht werden. Von den Schinken, die er für die Flucht des Kindes unerlaubt zu horten angefangen hatte, von mit Eicheln von Steineichen voll gefütterten iberischen Schweinen stammend, wollte Bruder Manuel dicke Scheiben abschneiden. Es waren wohl die ersten Schinken,

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